Die sinnlosen Bullet-Point-Plantagen des Managements – Leere in Wissenschaft und Wirtschaft

Erleben wir im Augenblick beim VW-Verwesungsprozess nicht nur die Götterdämmerung des Verbrennungsmotors, sondern auch den Niedergang einer rückwärtsgewandten Firmen-Autokratie, die der ehemalige DAX-Vorstand Thomas Sattelberger an der Hochschule Fresenius in Köln skizzierte?

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Folgt man der herrschenden BWL-Lehre an deutschen Universitäten, ist davon nichts zu spüren. Große Teile der Betriebswirtschaftslehre sind in den 1960er Jahren stecken geblieben. „Das war die Zeit, als Großkonzerne die Organisationsform à la mode waren“, schreibt Axel Gloger in seinem Buch „Betriebswirtschaftsleere – Wem nützt die BWL noch?“. Die meisten Fakultäten züchten Nachwuchs für Konzerne, Staat und Unternehmensberatungen. Der legendäre und stinklangweilige Wöhe, die Bibel der Betriebswirte, ist nicht nur schlecht geschrieben, er vermittelt in technokratischen Darstellungen Binsenweisheiten („Unternehmen erzielen in guten Jahren Gewinne, in schlechten Jahren Verluste“), erzeugt Scheinsicherheiten, produziert Planungsillusionen und  vermittelt ein „Alles-im-Griff-Denken“.

Mechanischer Jargon der BWL

Das BWLisierte Management glänzt mit mechanischem und gestanztem Jargon. Die Sprache und das Denken verkümmern: „Die Herrschaft der Zahlen hat dazu geführt, dass sich Buchstaben nicht mehr wie Buchstaben verhalten, sondern wie Zahlen“, zitiert Gloger den Philosophen Jürgen Werner. Die Folgen illustrierte Sattelberger in empirischen Befunden:„Bestnoten gibt es für Deutschlands Manager von ihren Mitarbeitern vor allem für die Fachkompetenz sowie für die Fähigkeit zur Kostenkontrolle. Bei der Führungskompetenz schneiden sie in allen Punkten erheblich schlechter ab als Führungskräfte, sowohl in der EMEA-Region als auch weltweit. Gerade das Vermitteln von Visionen und Inspiration gelingt deutschen Führungskräften im Vergleich zu ihren Kollegen weltweit weniger“.

Sattelberger spricht von einer Herrschaft der Klone in den Top-Etagen der Konzerne und großen mittelständischen Unternehmen. Und die wird eben auch schon im universitären Standardwerk Wöhe angelegt. „Wenn wir unseren BWL-Klassiker aufschlagen, wissen wir, warum die Welt verbulletpointet ist. Das ganze Buch ist so, eine riesige, nicht enden wollende Bullet-Point-Plantage,“ meint Gloger.

Das ist auch für das Management stilprägend. In Lehre und Praxis dominieren Aufzählungs-Friedhöfe. „Erst mal einen Business-Plan machen, Best Practice-Folien vorbereiten und Perfomance messen“ – fertig ist das Tunnel-Denken im Management. Je stärker das Kästchendenken die Regentschaft in Organisationen prägt, desto geistloser funktioniert das System. In diesem Sperrgut der Leerformeln gedeihen Kontroll-Biotope, Misstrauen, ermüdende Rechtfertigungs-Meetings und gefälschte Erfolgsmeldungen.

Querköpfe werden demoralisiert

Aus dieser ökonomistischen Wagenburg müsse man ausbrechen, fordert Sattelberger in seinem Kölner Vortrag vor über 200 Studierenden. Das fange bei den systemstabilisierenden Mechanismen der Rekrutierung und Beförderung von Gleichartigkeit an. In Schaufenster-Reden fordern Top-Manager Unternehmertypen und Querköpfe. „Nur 20 Prozent der Firmen rekrutieren sie schließlich. Wenn ‚die Typen‘ dann da sind, gibt es ‚Demoralisierung‘ durch süße Verlockung, Daumenschrauben oder Gruppendruck“, konstatiert Sattelberger.

Man sollte nach seiner Ansicht Disruptoren in die Chefetagen schicken und nicht Böcke zu Gärtnern machen wie bei VW, RWE, EON oder der Deutschen Bank. Die Forderungen des Personalexperten: „Gründen und soziale Innovation in entstehende Unternehmens-DNA integrieren. ‚Reinfräsen‘ innovationsfördernder Kulturinseln in alte Arbeitskultur: Social Labs und Experimentierfelder für ‚New Work‘ schaffen. Abspaltung aus alter Unternehmensstruktur heraus (OldCo & NewCo) oder Diversifikation unter Beteiligungsholding. Auf- und Ausbau kreativer Ökologien. Der Nukleus hierfür muss an Hochschulen entstehen. Zudem benötigen wir ‚Digitale Freiheits-Wirtschaftszonen’„.

Homer statt Wöhe

Wir brauchen auch mehr Freiheitsgeist in der Ökonomik. Gloger bringt in seinem Opus die klassische Bildung ins Spiel. Das Notiz-Amt betrachtet den Lehrplan des St. John’s College in Santa Fe als Vademekum gegen die Stoff-Huberei in BWL und VWL. In der Leseliste findet man Homers „Odyssee“, die „Nikomachische Ethik von Aristoteles“, Machiavellis „Fürst“ und Thomas Hobbes’ „Leviathan“. Dante, Molière, Leibniz, Kafka, Kant, Goethe, Plato und Einstein sind die Wegbegleiter der Studierenden und nicht die technokratischen Schwurbeleien eines Wöhe.

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Zur Next Economy Open #NEO16x am 2. Dezember um 14 Uhr werden wir den Diskurs zur Managementleere fortsetzen. Da hört, sieht und streamt man sich hoffentlich :)


Image “update” by geralt (CC BY 2.0)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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11 comments

  1. Der Satz „Unternehmen erzielen in guten Jahren Gewinne, in schlechten Jahren Verluste“ ist übrigens keine Binsenweisheit, da er weder weise noch richtig oder gar nützlich ist. Daran zeigt sich doch wieder die Kurzsichtigkeit oder auch Blindheit der BWL, indem sie nämlich „gut“ und „schlecht“ einzig an Gewinn und Verlust festmacht. Auf die Idee, dass die Art und Weise, wie Gewinne und Verluste errechnet oder erwirtschaftet werden, eine Bedeutung hat, kommt die „klassische“ BWL nicht. Es stimmt also einfach nicht, dass Gewinne gut und Verluste schlecht sind! Die obige Aussage ist also keine Binsenweisheit, sondern eher eine Lüge.

  2. Die Schwächen in vielen Teilen der BWL sind bekannt – da würde ich übrigens weder Lehrende noch Lernende ausnehmen (08/15 trifft stets auf hohe studentische Nachfrage, spannende Inhalte – wenn sie mit Arbeit verbunden sind – nicht immer). Aber ausgerechnet Herr Sattelberger ist der falschestmögliche Ratgeber. Jetzt könnte ich mit seiner stetigen Rechthaberei argumentieren und als Beispiel einen alten Scherz aus der Deutschen Telekom anführen („Was ist der Unterschied zwischen Sattelberger und Gott? – Gott weiß, daß er nicht Thomas Sattelberger ist.“). Aber das ist gar nicht das Problem, das Problem ist viel ernster. Ich kann mich gut daran erinnern, wie er als Personalvorstand der Telekom seine Leute losgeschickt hat, um einige Hochschulen und Unis zu überreden, Master-Studiengänge auf die Telekom maßzuschneidern, damit diese Bachelor-Absolventen einstellen und durch Master-Angebote langfristig binden kann. Da gab’s hübsche Veranstaltungen für Unis, z.B. im Kameha Grand in Bonn. Bei den Gesprächen im kleinen Kreis wurde dann Förderung in Aussicht gestellt und die Wünsche genannt: Abstimmen der Inhalte, Telekom-Mitarbeiter als Lehrende, Leistungspunkte können auch im Unternehmen erbracht werden. Ich vermute, da wäre eher weniger Homer gelehrt worden.

    1. Antwort von TS: Das ist eine windelweiche Aussage.1.Es gab zu meiner Telekomzeit keinen einzigen Studiengang, der nicht employability jenseits der Telekom ermöglicht hat.Und die Freiheit von Forschung und Lehre wuerde ich nie und nimmer antasten 2.Bitte Ross und Reiter

      1. Oh wie hübsch, eine Diskussion über einen Mittler…
        Meine Aussage ist sicher nicht windelweich, das gilt eher für die Antwort 1. (denn das ist bei einem Master ja per Definition gegeben). Zu 2. der Leiter Academic Relations, Vor- und Nachname je vier Buchstaben.

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