Amazon.de nach dem Shitstorm: Fans bleiben treu, trotz herber Kritik

Der Amazon-Shitstorm hat die sozialen Medien bewegt. Nun ist er vorbei und was bleibt ist ein laues Lüftchen. Nico Pliquett hat die Causa Amazon ein zweites Mal analysiert.

Nach TV-Beitrag: Amazon.de versinkt auf Facebook im Shitstorm

Amazon.de hat es wohl hinter sich. Am Abend des 13. Februar hatte die ARD über Missstände bei Deutschlands größtem Onlinehändler berichtet – noch in der Nacht brach über Amazon.de auf Facebook ein Shitstorm herein, klassische Medien heizten die Stimmung weiter an. Inzwischen beruhigt sich die Lage. socialBench hat sich die Zahlen nach dem Sturm angeschaut.

Der TV-Beitrag am 13. Februar hatte es in sich: ARD-Reporter hatten menschenunwürdige Behandlung von ausländischen Leiharbeitern bei Amazon.de festgestellt, die zudem noch von Sicherheitspersonal aus der Neonazi-Szene bewacht und schikaniert würden. Tausende Facebook-Nutzer riefen daraufhin die offizielle Fanpage von Amazon.de auf und fluteten das Unternehmen mit einem Shitstorm. Die Reaktion von Amazon.de: Bis auf die Veröffentlichung einer offiziellen Pressemitteilung ließ das Unternehmen den Shitstorm schweigend über sich ergehen. War diese Taktik erfolgreich?

In der Kalenderwoche bis zum 14. Februar gewann Amazon.de noch 29.653 Fans hinzu. Die Woche darauf schlugen die Zahlen in den negativen Bereich aus: Amazon.de verzeichnete 4.147 Fans auf der Sollseite. Und auch in der aktuellen Kalenderwoche setzt sich der Negativtrend fort: Bis zum 26. Februar generierte Amazon.de ein Minus von 1.367 abgewanderten Fans.

Ihren Höhepunkt hatte die Abwanderung am 18. Februar, als Amazon.de ein Minus von 1.395 Fans auswies. Um diese Zahlen richtig zu bewerten, ist allerdings zu berücksichtigen, dass Amazon.de in diesem Zeitraum auch neue Fans gewinnen konnte. Insgesamt fiel die Anzahl der Fans bei weitem nicht so dramatisch, wie die Lautstärke der Diskussion auf Facebook und in den klassischen Medien vermuten ließe: von 2.815.000 Fans am 14. Februar (der bislang höchsten Fanzahl, die Amazon.de je generiert hat) auf 2.808.632 Fans am 26. Februar – ein Minus von netto nur 6.368 Fans.

Amazon.de nach dem Shitstorm: Tausende Beiträge, Taktik des Schweigens, Fans bleiben treuEntwicklung der Fanzahlen von Amazon.de im Februar 2013: Verluste selbst für kleinere Seiten zu verkraften.

Das ist ein Verlust, mit dem auch weitaus kleinere Seiten gelassen umgehen könnten. Für Amazon.de ist die Zahl vermutlich nur insoweit beachtenswert, als dass zum ersten Mal in der Facebook-Historie des Onlinehändlers überhaupt negative Werte bei der Generierung von Fans in der Statistik auftauchen.

Beim zweiten Wert, der für die Öffentlichkeit sichtbar neben den Fanzahlen auf der Fanpage platziert ist – die Sprechen darüber – gestaltet sich die Situation ähnlich. Am 14. Februar lag dieser Wert bei 40.208 Nutzern und erreichte seinen Höhepunkt am 19. Februar mit 70.095 Nutzern. Aber bereits zum 26. Februar hatte sich die Lage beruhigt: Mit 30.908 Sprechen darüber verzeichnet Amazon.de an diesem Tag den zweittiefsten Wert des Jahres überhaupt. Zum Vergleich: Durch eigene Maßnahmen auf Facebook erzielte Amazon.de am 2. Januar den bisherigen Jahreshöchstwert von 150.986 Sprechen darüber.

Amazon.de nach dem Shitstorm: Tausende Beiträge, Taktik des Schweigens, Fans bleiben treuEntwicklung der „Sprechen darüber“ bei Amazon.de im Februar 2013: Zweitniedrigster Wert seit Jahresbeginn.

Es zeigt sich wiederholt, dass die beiden am prominentesten ausgewiesenen Kennwerte einer Facebook Fanpage – Page Likes und Sprechen darüber – für sich gestellt keine Aussage über die Situation der Fanpage zulassen.

Das Ausmaß des Shitstorms und das Schweigen von Amazon.de lassen sich am ehesten mit der Aktivität der Fans erklären. Hier sind Bewegungen zu beobachten, die jeden Social Media Manager ins Schwitzen geraten lassen müssen.

Seit der Ausstrahlung des ARD-Beitrags wurden auf der Fanpage von Amazon.de binnen knapp 14 Tagen 3.819 Beiträge von Fans veröffentlicht (im gesamten Jahr 2012 waren es 4.989). Die Fans posteten seit dem 13. Februar 18.103 Kommentare (2012: 17.651 Kommentare). Die Anzahl der Shares von Beiträgen auf der Seite seit dem 13. Februar beträgt 1.470 (2012: 5.267 Shares).

Damit erreicht die Aktivität mit 0,72 Prozent einen für Amazon.de extrem hohen Wert – 2012 lag die Aktivität durchschnittlich bei 0,04 Prozent. Die Bewegungen auf der Seite waren zwischenzeitlich 18mal höher als normal – bei 2.808.632 Fans bedeutet das: Statt mit durchschnittlich etwa 1.123 Aktionen von Fans pro Tag muss die Seite mit über 20.000 Aktionen zurechtkommen, von denen der überwiegende Teil aus Sicht des Unternehmens auch noch als sehr kritisch einzuschätzen sein dürfte.

Amazon.de nach dem Shitstorm: Tausende Beiträge, Taktik des Schweigens, Fans bleiben treuEntwicklung der Aktivitäten von Fans bei Amazon.de im Februar 2013: Bis zu 18mal so hohes Aufkommen wie an normalen Tagen.

In dieser Situation entschloss sich Amazon.de, ein altes Sprichwort zu befolgen: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Amazon.de betrieb bei einer durschnittlichen Antwortrate von 0 Prozent allerdings auch noch so etwas wie einen Dialog mit den Fans auf Facebook, sondern nutzt die Seite fast ausschließlich als Marketing-Plattform für seinen Onlinehandel – durchaus im Einverständnis mit den Millionen von Fans.

Lediglich am 18. Februar wurde das Schweigen gebrochen: Amazon.de veröffentlichte auf Facebook die offizielle Pressemitteilung zu den in der ARD geschilderten Vorgängen. Ein sehr knappes Papier, dass nur wenigen Fans und Kunden das Gefühl gegeben haben dürfte, dass Amazon.de an Kommunikation auf Facebook interessiert sei.

Es ist das meistbeachtete Posting, dass Amazon.de jemals auf Facebook abgesetzt hat. Und es ist mit 4.146 Kommentaren das meistkommentierte Posting von Amazon weltweit in diesem Jahr. Selbst die Beiträge auf der Fanpage von Amazon.com, die mit 16.990.057 Fans deutlich größer und internationaler ist, wurden 2013 nie so häufig besprochen wie dieses eine Statement des deutschen Ablegers. Einen Stimmungsumschwung konnte aber auch dieses Posting nicht erzeugen – im Gegenteil, jetzt entluden sich die Emotionen in der Kommentarspalte.

Amazon.de nach dem Shitstorm: Tausende Beiträge, Taktik des Schweigens, Fans bleiben treuDie Top 5 der am häufigsten kommentierten Beiträge von Amazon weltweit für 2013: Kein Posting von Amazon wurde häufiger kommentiert, als das Statement des deutschen Ablegers.

Hier zeigt sich möglicherweise ein Grund für das Schweigen von Amazon.de auf Facebook: Das Unternehmen ist eine Kommunikation mit Fans auf Augenhöhe möglicherweise nicht gewohnt und verwechselt Rufe nach Aufklärung von Seiten der Nutzer mit dem Schlagzeilenbedarf der Tagespresse. Umgekehrt wurde Fans und potentiellen Kunden in der Vergangenheit nie gezeigt, wie eine Verständigung mit Amazon.de in kritischen Situationen auf Facebook überhaupt funktionieren könnte.

Das aktuelle, unterkühlte Verhalten von Amazon.de trägt kaum zur Etablierung einer Diskussionskultur in sozialen Netzwerken bei, sondern provozierte mit der dürren Pressemitteilung im Gegenteil einen weiteren Ausläufer des Shitstorms in den Kommentarspalten. Die Zahlen zeigen dennoch: Amazon.de hat es überstanden, die Fans bleiben der Marke – zumindest nach den Facebook-Kennwerten zu urteilen – treu.


Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im socialBench-Blog.


ist Gründer und Geschäftsführer der socialBench GmbH. Sein mittlerweile drittes Startup beschäftigt sich mit großen Daten und der Auswertung und Analyse von Social Media (Marken-)Profilen.


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3 comments

  1. Haben Shitstorms überhaupt eine Auswirkung ? Diese Frage kam in letzter Zeit schon häufiger zur Diskussion. Im Einzelfall bin ich der Meinung nein, da sie noch keine Massenbewegung auslösen, sondern nur das Ventil vieler Einzelner sind, daher verlieren sich diese auch so schnell wie sie gekommen sind. Den genauso wie Vertrauen sich immer wieder bewähren muss, muss sich auch Leistungskritik erst vermehrt Gelegenheiten geben um wahrgenommen zu werden. Der Hauptgrund das Shitstorms wenig Wirkung zeigen ist aus meiner Sicht darauf zurückzuführen, dass eine große Anzahl von Menschen noch keine Masse ist. Die Vorbedingung für Massenerscheinungen ist ein gemeinschaftliches Interesse und das fehlt.

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