Alternativen zu den kontrollierenden Konzernen

Sind Alternativen zu kontrollierenden Konzernen möglich? Nur wenn sich Politik und Wirtschaft transformieren. In einem seiner ersten Auftritte nach seiner Haftentlassung äußerte sich der wegen Beihilfe zu Copyright-Verletzungen verurteilte Pirate Bay Gründer Peter Sunde desillusioniert: Das Internet sei zu einer Scheindemokratie verkommen, ohne mögliche Beteiligung des Einzelnen: Wenige Konzerne aus einem Land kontrollierten die weltweit genutzten Dienste im Netz.

Mit dieser Sichtweise scheint er ein schon lange gehegtes Unwohlsein mit der technologischen Konsolidierung und Monopolisierung Ausdruck zu verleihen, welches durch die jüngsten Äußerungen des EU-Kommissars Oettinger weiter bestätigt wurde: „Wir haben das Spiel in der IT Branche verloren„, konnte dieser mit Blick auf die übermächtige Konkurrenz aus Silicon Valley nur mehr bedauernd konsternieren. Man sollte diese bittere Erkenntnis von ihrer Dramatik her nicht unterschätzen und es verwundert, dass diese von den Medien nicht weiter groß aufgegriffen wurde: Denn, nicht nur die IT-Industrie ist betroffen. Kauft man etwa heute deutsche Autos aufgrund ihrer überlegenen Fahrqualität und Verarbeitung, so werden in der Zukunft die Software der Selbststeuerung der Fahrzeuge und über soziale Medien und GPS agierende geographische Dienstleitungen zum Einkauf während der Fahrt immer wichtiger und diese Steuerungen werden nicht mehr aus Deutschland kommen. Auch der Online-Handel – um bei diesem Beispiel zu bleiben – befindet sich schon überwiegend in der Hand von drei US-Konzernen: Apple, Amazon und ebay vereinen bereits 65% des Umsatzvolumens in Deutschland.

Was aber ist zu tun in einer solchen Situation und gibt es wirklich keinen Ausweg mehr? Möglichkeiten gibt es schon, allerdings nur um den Preis, dass wir alle in politischen oder ökonomischen Bereichen partizipieren und aktiver werden.

Der Geist der Maschine

Die Frage der Monopole und Machtkonzentration in Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch in Organisationen ist für die Wissenschaft keine neue Frage. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg und unter dem Eindruck der geplanten Kriegswirtschaft, begannen sich vor allem Wirtschaftswissenschaftler mit dieser Frage intensiv zu beschäftigen. Der polnische Ökonom Oskar Lange sah schon zu dieser Zeit, die Gefahr der Monopolisierung im Kapitalismus und schlug vor – ganz im Sinne seiner Zeit – dass diese nur durch eine staatliche Planungsinstanz verhindert werden kann. Faszinierend ist hier, dass Lange dem Marktmechanismus vorwarf, antiquiert, krisenanfällig und ineffizient, sprich: Ein Kind des vorelektronischen Zeitalter zu sein. Er antizipierte deshalb Jahrzehnte vor dem Einsatz von Computern an der Börse, dass Preise durch eine „Maschine“ effizienter auch schneller festgelegt werden könnten (er entkräftete damit Hajeks Kritik, dass die Unmengen an Gleichungen, die notwendig wären, um Preise zu berechnen, die Fähigkeiten der Planinstanz überschreiten würden). Viel wesentlicher – und oft vergessen – aber war, dass er diese zentrale Instanz durch einen transparenten und demokratischen Prozess kontrolliert sah, er also die „Maschine“ durch Demokratie regulieren wollte.

Der Kybernetiker Norbert Wiener kam nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer ähnlichen Erkenntnis, indem er etwas verklausuliert anmahnte, dass der Maschinengott ja mit seinen Schöpfungen nicht Schach spielen könne. Erstaunlich ist zudem, dass auch systemunkritische Wissenschaftler diese Regulierung durch das Individuum als einzigen Ausweg sehen, um Machtkonzentration auszugleichen. Der Nobelpreisträger und Forscher der konservativen Rand Cooperation, Kenneth Arrow, der Autorität in der Hierarchie („Nature loves hierarchy„) und im Militär in seiner reinsten Ausprägung sah, kam gegen Ende seiner Ausführungen über die „Grenzen der Organisation“ zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass deren Autorität „Reviews“ oder auch „irregulären und fluktuierenden Wellen von Ungehorsam“ ausgesetzt sein müsste. Schlussendlich – so könnte man diese und andere Sichtweisen zusammenfassen – kommt es immer wieder auf das Individuum an, welches sich gegen Monopole, Chaos und Machtkonzentration durchzusetzen habe und sich wohl dabei ziemlich allein gelassen fühlen muss, da keine Beschreibungen und Hilfen für einen derartigen Widerstand gegeben wurden.

Wir haben den Gegner gesehen und es sind wir!

Dem politischen System und seinen Organisationen scheint es hingegen nicht mehr möglich zu sein, gegen die Interessen von Monopolen einzuschreiten. Wir sind so gesehen in einer Phase der Postdemokratie (Collin Crouch). Diese Unfähigkeit des Staates liegt im konkreten Fall der digitalen Wirtschaft und ihrer „exponentiellen Unternehmen“ nicht nur daran, dass Politiker noch nicht ganz verstanden haben, welche Entwicklungen hier ablaufen bzw. keine Ideen oder Gegenmittel haben, sondern auch, dass die Politik, wenn sie gegen diese Technologiekonzerne vorgehen würde, immer auch gegen den Bürger vorgeht, der die Leistungen dieser Anbieter nutzt, weil sie das Leben einfacher und interessanter machen. Wir selbst sind „stille“ Mitproduzenten dieser Monopole: Die Inhalte der Suchmaschinen und Handelsplattformen werden von uns entwickelt bzw. bereitgestellt. Obwohl kaum einer bewusst Monopole unterstützen möchte und wir von der Politik deren Begrenzung erhoffen, sind unsere Handlungen also widersprüchlich und damit oft erfolglos.

Dabei kann individueller Widerstand durchaus erfolgreich sein. In der Tat scheint der Einfluss auf diese Anbieter eher dann am besten zu funktionieren, wenn er von uns bzw. den „stillen Produzenten“ direkt ausgeht, wie etwa Episoden zeigten, in denen Nutzer gegen gekaufte „Buchrezensionen“ und Suchplatzränge erfolgreich protestierten und mit Abwanderung drohten. Diese Erfolge lenken den Blick auf einen wichtigen Aspekt bei dieser Art des Protestes: Wie schon Niklas Luhmann aufzeigte, geht es bei diesem nicht so sehr darum, die Verantwortung anderer anzumahnen, sondern selbst Lösungen zu erarbeiten! (Wenngleich Luhmann selbst von dieser notwendigen Fähigkeit der Protestierenden nicht überzeugt war: „Das Geheimnis der Alternative ist: daß sie gar keine Alternative anzubieten habe.“)

Der einzige Ausweg scheint also zu sein, neue Wege der Aktivierung des Individuums zu finden und die Chancen dafür stehen heute vielleicht etwas besser als zu Luhmanns Zeiten: denn heute können wir alle mehr für uns aber auch gemeinsam mit anderen tun.

Der Bürger als Produzent

Diskussionen allein – so musste der Schöpfer des Konzeptes der Deliberation, Jürgen Habermas, ja feststellen – sind ja oft weit weg von der eigentlichen Entscheidung, sie sind oft zahnlos. Weiter gibt es keinerlei Konzepte, wie eine große Anzahl an Menschen, sich über komplexe Sachverhalte einigen kann: Dies war ja eine Erkenntnis von Arrows „Unmöglichkeitstheorem“ in den 1950er Jahren: Politik sollte deshalb nicht Optionen bottom-up entwickeln, sondern nur über den generellen – wie immer auch vordefinierten – „politischen Willen“ abstimmen. Der Quietismus – die politische Apathie – ist also durchaus ein Konzept, welches die politischen Systeme bewusst zur Stabilisierung einsetzen: Nicht alle sollen mitreden, sondern ihre Stimme an Fachkräfte delegieren, die in festgelegten Abläufen Lösungen finden. Das Dilemma scheint also zu sein, dass wir alle oder viele von uns auf Basis von Diskussionen aktiv werden müssten, die politischen Prozesse für eine solche Aktivierung jedoch noch nicht bvorhanden sind. Schlimmer noch, selbst in Sachen Mitwirkung erfolgreiche Länder wie Norwegen, scheint die Partizipation zu einer Fragmentierung und Schwächung des politischen Systems zu führen, da dieses die neuen Stimmen und Aktionen nicht integrieren kann und so parallele „politische Surrogate“ sprießen.

Die Unzufriedenheit mit den Medien in Demokratien scheint diese Situation wider zu spiegeln: Diese sind in ihrer elitären und selbstregulierenden Ausrichtung eher bestimmt, in quietistischen Konstellationen vordefinierte Meinungen zu verfestigen, die in Zeiten, in denen immer mehr Menschen in ihrem jeweiligen Kontext ihren eigenen Meinungsbildungsprozess unabhängig vollziehen können, immer mehr hinterfragt werden. Wie also kann der Demos wieder in der Demokratie gestärkt werden – eine Forderung des neuen griechischen Finanzministers – und der Staat damit nicht geschwächt, sondern vielmehr gestärkt werden? Die bisherigen Erfahrungen lassen vermuten, dass es hier vor allem auf der kommunalen Ebene – im unmittelbaren Umfeld des Individuums – neue Möglichkeiten zur Kollaboration und Aktion gibt. Über definierte Schnittstellen (Application Programming Interfaces) können Individuen auf öffentliche Daten (Open Government Data) zugreifen, um Ihre Probleme selbst oder gemeinsam mit anderen zu lösen: „To resist is to create“. Hilfreich ist hier, dass die Vernetzung und Einbindung über das Strukturelement der virtuellen Plattformen als eine Art virtueller Arbeitsraum sehr viel einfacher geworden ist, wie die Bertelsmann Plattform „Beteiligungskompass“ zeigt. In dem Sinne, dass das kommunale Engagement immer wichtiger wird, da global der Großteil der Menschen in urbanen Zentren wohnt, die überall auf der Welt ähnliche Probleme haben, entsteht hier ein wichtiger politischer Partizipationsweg.

Mit dieser neuen Rolle als Produzent öffentlicher Leistungen wird zugleich auch eine neue politische Position geschaffen: alles wirtschaftliche Handeln ist immer auch soziales Handeln (Luhmann) und die Art und Weise, wie ökonomisch agiert wird (selbstbestimmt, selbstgesteuert, meritokratisch), ist zugleich auch ein politisches Statement der „freien Produzenten“ (Peers), die sich nun zusammenschließen und frei verfügbare Dienstleistungen und Produkte (Allmende) entwickeln (Freie Software, Lerninhalte journalistische Arbeit, soziale Hilfsdienste etc.).

Der Staat als Investor, Partner und Plattform

Wie müssen nun beobachten, dass sich große Konzerne diese Leistungen zunutze machen: Diese monetarisieren die Plattformen der freien Produzenten (IBM verdient einen großen Teil seines Umsatzes mit Dienstleitungen zu Open Software). Die freien Produzenten könnten nun aber anfangen für Ihre Leistungen auch etwas zu verlangen. In diese Richtung geht etwa die Diskussion um die „Peer Production License“: Diese sieht vor, dass all jene, die keinen Beitrag zu einem frei verfügbaren Gut schaffen, dieses aber benutzen wollen, einen Beitrag zahlen. So würde der passive Benutzer von Open Software etwas zahlen müssen, die „freien Produzenten“ dieser Software hätten nun aber einen monetären Gegenwert für Leistungen und könnten beginnen, einen eigenen Peer-Produktions-Sektor mit eigenen egalitäreren Strukturen aufzubauen.

Dies bedeutet nicht, dass der Staat von sich aus nichts tun kann. Gerade das Beispiel von Silicon Valley zeigt ja, wie wichtig und wirksam staatliche Investitionen sind: Fast alle Bestandteile des Smartphones sind z.B. im Rahmen öffentlicher Investitionen entstanden. Und so gesehen, gibt es eigentlich keinen Grund, warum der Staat nicht auch verstärkt öffentliche Programme und Plattformen zur Förderung und Vernetzung von Start-Ups, KMUs und Freien Produzenten organisieren und unterstützen könnte. Scheinbar hat aber der Staat im Neoliberalen Zeitalter verlernt, solche Programme zu entwickeln und natürlich ist das Bauen von Straßen einfacher als die Förderung von Ideen. Wie einfach man über Plattformen neue politische Strategien lancieren und so verlorenes Terrain wettmachen könnte, zeigt ja der Bildungsbereich. Anstatt mit traditionellen Elementen wie etwa Projekten – die zumeist verpuffen – und Exzellenzinitiativen – die vor allem zur Innenbeschäftigung führen – zu arbeiten, könnte der Staat ja eine eigene Plattform für Digitale Lerninhalte aufbauen. Diese stehen jedem frei zu Verfügung und die Qualität der einzelnen Inhalte wird über Reviews der Nutzer (und nicht Akkreditierungsinstitute) ermittelt. Universitäten könnten es als Qualitätswettbewerb und breitenwirksame Marketingmaßnahme betrachten, hier Lerninhalte einzureichen. Der Aufbau einer solchen Plattform hätte auch den Vorteil, Wissen für junge Unternehmer und Freie Produzenten schnell und unkompliziert zur Verfügung zu stellen und so ihre Produktivität und Erfolgschancen zu erhöhen. Auch hier muss man wieder feststellen, dass derartige Initiativen vor allem wieder im Privatbereich (z.B. edx.com) und in den USA auftauchen. In Deutschland gibt nun allerdings die jüngste Initiative der Stadt Hamburg zu Schaffung einer digitalen Lernplattform Anlass zu Hoffnung. 

Es bleibt bei all diese neuen Möglichkeiten allerdings die Erkenntnis, dass diese Art der Partizipation einen Zeitaufwand für jeden Einzelnen bedeutet, der heute bei vielen so nicht anfällt, da wir bisher die politische Interaktion ja zumeist delegieren. Der bittere Beigeschmack ist dann, dass diese Art der Mitwirkung wohl wieder ein elitäres Projekt zu sein scheint und damit weniger effektiv werden kann. Dies ist wohl nicht ungewöhnlich, da soziale Neuerungen zumindest am Anfang immer eine gewisse Ungleichheit erzeugen. Allerdings zeigen aktuelle Umfragen in Deutschland, dass bereits 55 Prozent Männer und 44 Prozent der Frauen heute schon Online bei wirtschaftlichen und ökonomischen Projekten in der einen oder anderen Art und Weise zumindest einmal partizipiert haben. Es wäre also schon ein gewisser Start, wenn diese Ressourcen und Bereitschaft über öffentlich unterstützte Plattformen eingesammelt und zum Aufbau von neuen Lösungen abseits der Monopole und zur Ergänzung staatlicher Handlungen genutzt werden könnten.


Image (adapted) „Büro“ by moerschy (CC0 Public Domain)

ist ein Professor für Change Management und Consulting. Momentan forscht er am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) auf dem Gebiet der internetbasierten Innovationen und ist Geschäftsführer der Beratungsagentur «tebble». Zuvor war er Professor an der ESCP Europe Wirtschaftshochschule Berlin und der Hertie School of Governance in Berlin. Zusätzlich führte er die Berliner ESCP Europe Wirtschaftshochschule Berlin als Rektor. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Change Management, Digitale Ökonomie und Politik, Organisationtheorie und Strategisches Management. Prof. Al-Ani verfügt über 20 Jahre Erfahrung in internationaler Beratungsfirmen und war zuletzt Executive Partner bei Accenture und Managing Director des Wiener Büros.


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1 comment

  1. Die Frage ist doch, warum schafft es kein deutsches Unternehmen, Konzernen wie Apple, Amazon oder eBay das Wasser zu reichen und eine echte Alternative zu sein? Warum kommt das „nächste große Ding“ nicht aus Deutschland? Von Open Software wie im Artikel beschrieben, halte ich persönlich nicht viel. Einzig WordPress als Blogsoftware bildet da eine Ausnahme. Ansonsten schätze ich gerade dieses mehr oder minder geschlossene System an Apple, wo ich sicher sein kann, dass gekaufte Software mit meinem System kompatibel ist. Ich denke es ist der falsche Weg, die Verantwortung an den Staat abzuschieben. Dieser kann zwar über das Bildungssystem dirigieren, die Ideen und Impulse sollten aber von den Bürgern selbst kommen. Was spricht denn dagegen, wenn sich Leser dieses Blogs zusammensetzen und die im Artikel genannte Plattform für digitale Lerninhalte aufbauen z.B. nach dem Wiki Prinzip.

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