Analoges Wer-kennt-wen?

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Die politische Kultur, also die Abbildung, Reflexion und Kontrolle politischer Prozesse und Willensbildung, beruhte bis zum Durchbruch der Online-Medien auf der Arbeit einiger Leitartikler oder leitenden Journalisten in den Leitmedien. In der Bonner Republik sprach man noch davon, dass es ausreichend sei, die sieben wichtigsten Journalisten des Landes zu kennen und zu informieren, um die öffentliche Meinung nachhaltig zu beeinflussen. Der kleinen Zahl der Leitartikler und Kommentatoren entsprach eine entsprechende Zahl von Medien. Die Milieus der Gesellschaft waren ebenso überschaubar. Dass, was man heute fälschlicherweise eine Mehrheitsgesellschaft nennt, war in dieser Zeit noch Realität.

Die Gesellschaft hat sich ausdifferenziert. Die digitalen Medien bedienen diese Entwicklung und stellen die Kanäle zur Verfügung, innerhalb derer diese aufgefächerte Gesellschaft in ihren vielen Gruppen, Grüppchen und Untergruppen Austausch pflegt und Meinung bildet. Die Veränderung im Online-Bereich haben die alten Medien-Marken nahezu bedeutungslos gemacht, die neuen Akteure sind noch zu unbedeutend und zu heterogen, als dass sie die Gesellschaft in einem erfassen oder erreichen könnten. Online gibt es noch keine deutenden Leitmedien. Im Web 1.0 und 2.0 stehen, je mit unterschiedlichen technischen Mitteln und verschiedenen Formaten die Vermittlung von Tatsachen, Nachrichten, am besten in Echtzeit, im Mittelpunkt, nicht aber deren Interpretation.

Der Begriff Media Shift beschreibt den Weg von den klassischen Medien zu den neuen, digitalen. Die bis zu 19-Jährigen heute haben gar keinen Zugang mehr zu diesen herkömmlichen Medien, die 25-34-Jährigen nutzen mittlerweile kein Medium so häufig wie das Netz. Radio, Fernsehen und Zeitung verzeichnen rückläufige Nutzungen. Vom analogen Abstellgleis weg bewegen sich diese Verlage und Sender ins Netzt, um dort neue Produkte und Erlösmodelle zu finden. Dieser Weg ist unumkehrbar, die Mediatheken der Sender oder die Internetradios sind die besten Belege dafür.

Der Begriff Media Shift beschreibt auch die Veränderungen des User-Verhaltens. Sie fragen immer mehr Information und Unterhaltung über ihren Rechner ab. Dieser Trend setzt sich auch in der Freizeit und am Wochenende fort. Das Internet ist kein Medium mehr, das ausschließlich am Arbeitsplatz verwendet wird.Neben Newsseiten wird das Netz zum Mailschreiben und zum Aufenthalt in Social Networks a la facebook und xing genutzt. Das digitale hat das analoge Wer-kennt-wen längst der Bonner Republik längst abgelöst.

ist Chefredakteur und Herausgeber des Online-Debattenmagazins The European (www.theeuropean.de). Für die Netzpiloten schreibt Alexander Kolumnen und kritische Beiträge zur Medienlandschaft und natürlich zu aktuellen politischen Ereignissen.


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