Zwei Trolle im Interview: “Anonym schimpft es sich immer leichter”

Viel wurde in den vergangenen Woche über Anonymität im Netz geredet. Sind Trolle eine Gefahr für die Diskussionskultur? Sorgen echte Identitäten für einen zivilisierteren Umgangston? Sollten Internet-Dienste weiterhin Pseudonyme erlauben? Eine eindeutige Antwort auf diese Fragen gibt es nicht, und Online-Medien wie die Huffington Post oder DerStandard.at gehen sehr unterschiedlich damit um. Doch wer in der ganzen Diskussion nicht zu Wort kommt, sind die Trolle selbst. Über verschlungene Wege habe ich kürzlich zwei Fake-Account-Betreiber (im Text als A.K. und R.H. benannt) kennengelernt, die ihre gefälschten Facebook-Profile zum Trollen nutzen. Im Interview erklären sie ihre Beweggründe, wie einfach Fake-Profile zu machen sind und was sie von der Klarnamenpolitik mancher Webseiten halten.

Warum betreibt ihr Fake-Accounts auf Facebook, was ist euer Antrieb?

A.K.: Ich bin von dem Konzept fasziniert, dass man mit ein paar Klicks real wirkende Personen kreieren kann. Ein paar Fotos von irgendwelchen Fastfood-Gerichten, dazu ein paar tiefgründige Sprüche aus der Stammbuchkategorie “mein Motto ist…”, und schon ist man lebendig! Ursprünglich wollte ich meinen Account ja öffentlich zur Verfügung stellen und ihn auf die Art einmal rund um die Welt schicken. Das hat aber leider nicht so gut funktioniert, und jetzt muss ich mich alleine um ihn sorgen. Die praktische Seite des Fake-Accounts liegt auf der Hand: Jeder hat irgendeine Spam-Email Adresse, ein Fake-Account ist das gleiche nur auf anderer Ebene. Es ist schön zu wissen, dass da keine persönliche Information mitgeschickt wird, wenn man sich beim x-ten Portal via Facebook-Login anmeldet oder bei irgendwelchen Gewinnspielen mitmacht.

R.H.: In erster Linie zur persönlichen Belustigung. Ich poste zeitweise derartigen Müll, und manchen Leuten gefällt es trotzdem. Das amüsiert mich sehr. An zweiter Stelle auch zur Belustigung von Freunden, die von meinem Zweit-Account wissen – auch wenn manche von denen ihn abgrundtief hassen. Manchmal verwende ich meinen Fake-Account auch zum Stalken anderer. Der hat immerhin knapp 500 Freunde mehr als ich und mit so ziemlich jedem genügend gemeinsame Freunde. Ein Fake-Account ist natürlich auch ein willkommenes Anmeldemittel für Gewinnspiele und einfach mal zum Ausprobieren von Facebook-Apps oder ähnlichem.

Wie betreibt ihr die Accounts, was postet ihr da so?

A.K.: Mein Account gibt in erster Linie einfältige Kommentare zu diversen gesellschaftlichen Ereignissen von sich. Er orientiert sich dabei an Kommentaren in öffentlichen Foren diverser Zeitungs-Portale und adaptiert diese für seine Zwecke. Er hat aber noch nie irgendetwas richtig verstanden, der alte Web-2.0-Tölpel. Es bereitet ihm eine kindliche Freude, seinen fremden Freunden herzliche Geburtstagswünsche oder andere Gratulationen auf die Wall zu posten. Er kann nicht viel, aber er ist ein Meister im Virtuellen-auf-die-Schulter-klopfen – und dafür ist das Social Network ja bekanntlich da.

R.H.: Mit meinem Fake-Account teile ich meistens Postings von irgendwelchen Leuten. Das sind oft sehr intime Postings wie „Meine Oma ist gerade gestorben“ oder auch einfach „Hilfe, mein Hund hat sich beim Spielen den Fuß verletzt“. Sehr, sehr gerne poste ich auch Sprüche wie „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter“ oder „Eine Beziehung klappt nur dann, wenn beide bereit sind, dafür zu kämpfen“. Dafür kriegt man schon ein paar Likes. Wird mir eine Freundschaft von Facebook vorgeschlagen, sehe ich mich natürlich oft gezwungen, diese Anfrage abzuschicken. Wenn dann nach ca. 15 Sekunden die Anfrage angenommen wurde, poste ich gerne auf deren Wall, ob und woher wir uns denn kennen. Daraus ergeben sich oft schöne, kurze Gespräche.

Wo klaut ihr die Fotos für eure Profile?

A.K.: Wenn meinem Account gerade danach ist, infiltriert er gerne Pressebilder jeglicher Art. Vom spröden Politikerportrait bis zur Michael-Jackson-Denkmal-Eröffnung in Mistelbach ist da eigentlich alles dabei.

R.H.: Großteils share ich Fotos einfach von anderen Usern. Ansonsten geb ich auf Google „cute cat“ ein und nehme das erste. Immer das hässlichste. Klauen ist nicht so das Ding meines Fake-Accounts – ich will dem keinen Rechtstreit antun, dazu hab ich ihn zu gern.

Was war der böseste Witz, den ihr euch erlaubt habt?

A.K.: Poser-Fotos von seinen Freunden (oder Freunden in spe) zu kapern und mit seinem eigenen Kounterfeit zu verzieren. Das sorgt oft für Unmut und Irritation – aber das macht das originale Poser-Foto ja auch, insofern ist das wohl legitim. Richtig böse wird es dann, wenn der Account sich mit Leuten in der realen Welt verabredet, weil ihm das Erscheinen sehr schwierig fällt. Aber so was würde er ja nie machen, soweit ich weiß.

R.H.: Mein Fake-Account entstand zeitgleich mit dem bösesten Witz, den wir uns erlaubt haben. Dadurch ging eine Freundschaft und Vertrauen verloren – näher möchte ich jetzt nicht drauf eingehen. Ansonsten ist mein Zweitaccount sehr friedfertig und findet alles urgut, urlustig und urlieb! Mit vielen Rufzeichen und Einsern hinten dran!!!1

Wie gutgläubig sind Social-Media-Nutzer? Durchschauen sie euer falsches Spiel, oder denken sie, es mit einem echten Menschen zu tun zu haben?

A.K.: Sehr gutgläubig! Das ist ja mit ein Grund, warum es Spaß macht, so einen Account auch aktiv zu betreiben. Die Person wird wirklich oft für voll genommen, obwohl es offensichtlich ist, dass da irgendwas nicht stimmen kann.

R.H.: Es gibt da solche und solche. Manche wissen es vielleicht, die akzeptieren aber meine Freundschaftsanfrage trotzdem, weil ich eine Frau bin, eine junge Katze als Profilbild eingestellt hab und sie mich dann zu ihrer Page oder zu Events einladen können. Die meisten haben sicher keine Ahnung, was da abgeht – ich gebe ja überall meinen Senf dazu, das machen nicht so viele Fake-Accounts. Man muss sich schon ein bissl um die Freunde kümmern, ihnen bei Problemen gut zureden und ihre Taten und Statements loben!

Ist es schwer, eine gefälschte Identität aufrecht zu erhalten? Facebook, Google oder Twitter wollen ja auch Telefonnummern, Adressen haben, prüfen auf echtes menschliches Verhalten, gleichen Freundeslisten ab.

A.K.: Wenn man die Sache natürlich wachsen lässt und nicht zu auffällig agiert (à la 100 Friend Requests an völlig Fremde schicken), ist es kein Problem. Und echtes menschliches Verhalten lässt sich mit Katzenfotos und schlecht zitierten Klorollen-Sprüchen sehr gut simulieren. Die Grenze zur Satire ist ja bei vielen Profilen nicht mehr klar auszumachen – oft nicht ganz freiwillig.

R.H.: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich meinen Fake-Account schon ewig habe. Damals gab es noch nicht so strenge Anmeldeverfahren. Twitter und Foursquare waren auch gar kein Problem. Und wie gesagt – menschliches Verhalten muss man schon hin und wieder an den Tag legen, dann hat man da gar keine Probleme. Am besten auch keine nicht jugendfreien Sachen posten, dann wird man auch nicht gemeldet und kann in Ruhe alle ausspionieren und sich mit Unsinn erster Güte berieseln lassen. In meinem realen Freundeskreis ist es schon Leuten passiert, dass sie von Facebook des Fake-Accounts beschuldigt wurden, obwohl sie ihre echten Daten angegeben haben. Sowas könnte mir nie passieren.

Was haltet ihr von dem Trend zur Klarnamenpflicht, den Facebook oder Huffington Post vorantreiben? Wird das ein zivilisierteres Internet zur Folge haben?

A.K.: Gerade im Zusammenhang mit den zeitweise doch sehr rauen Umgangsformen (je anonymer desto heftiger) in diversen Foren, kann ich das Verlangen nach Klarnamenpflicht durchaus nachvollziehen. Es hat sich ja schon gezeigt, dass man unter seinem echten Namen um vieles gesitteter bzw. verantwortungsvoller auftritt. Und wenn die Daten dann an Werbekunden weiterverkauft würden, dann hätte ich ja vielleicht sogar mal die Chance beim nächsten Direkt-Mail mit meinem richtigen Namen angesprochen zu werden!

R.H.: Ich kann den Trend sehr gut nachvollziehen, denn anonym schimpft es sich immer leichter. Ich weiß nicht, wie sich dieser Trend entwickeln wird, denn Telefonnummerneingabe ist in Zeiten der Abhörskandale schon ein starkes Stück. Natürlich wird es und gibt es bereits genügend Leute, denen das egal ist und genau die sind meine Zielgruppe. Ein zivilisiertes Internet wird es dadurch natürlich nicht geben, dazu gibt es leider zu viele Leute, die auch unter ihrem echten Namen viel zu viel Scheiße in die Welt schicken.


Image (adapted) „Cave troll contemplates God, financial Accounting“ by Kevin Dooley (CC BY 2.0)


ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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