Bei der Paywall der Winnipeg Free Press zahlen Leser pro Artikel

Sind Sie auch einer dieser Menschen, die behaupteten, das Paywall-Modell “iTunes als News“ könne das Nachrichtenmodell revolutionieren? In Kanada gibt es jetzt eine Zeitung, die dieses Modell ausprobiert. Die Idee wird im Nachrichtengeschäft schon seit Jahren diskutiert: ein iTunes für Nachrichten. Ob die Leser bereit wären, für Nachrichten durch Micropayments pro Artikel zu bezahlen, so wie sich bei den Musikfans das Bezahlmodell einzelner Songs über Apple durchgesetzt hat?

Diese Metapher stand immer schon vor gewissen Problemen. Man kann einen einzelnen Song mehrere Dutzend Mal hören, ein Artikel wird jedoch meist nur einmal gelesen. Bevor man sich entscheiden muss, ob man für einen Song bezahlt, kann es gut sein, dass man ihn schon an anderer Stelle gehört hat (Radio, Youtube) oder man den Künstler bereits kennt. Eine Nachrichtenmeldung ist ein klassisches Erfahrungsgut, und es ist schwer, seine Qualität zu beurteilen, bevor man es konsumiert hat. In den Jahren, seit die Menschen begonnen haben, sich ein “iTunes für Nachrichten” zu wünschen, lief es bei iTunes nicht so gut. Sie haben eine Menge Einfluss verloren, seit es monatlich buchbare Streamingservices wie Spotify gibt. Apple ist ihnen aber auf den Fersen.

In Nordamerika wird aber auch noch ein anderes Modell des Micropayment getestet. Die Winnipeg Free Press will später in diesem Monat eine neue Paywall einführen, bei der man 27 Cent (0,21 US-Dollar) für jeden Artikel, den man lesen will, zahlt. Die Nutzer können auch ein komplettes Onlineabo abschließen und zahlen dann 16,99 EUR (13,47 US-Dollar) monatlich. Die Leser, die die Print- oder E-Reader-Version abonnieren, haben unbegrenzten Onlinezugang. Zudem gibt es eine Testversion von 30 Tagen.

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Eine Handvoll Outlets, insbesondere das niederländische Startup-Unternehmen Blendle, haben ein Modell implementiert, bei dem man pro Artikel bezahlen kann, doch die Winnipeg Free Press ist die erste nordamerikanische Zeitung, die dieses Modell ebenfalls adaptiert.

“Wir wollten ein neues System ausprobieren, bei dem Probleme vermieden werden, die wir bislang schon bei Anderen gesehen haben, aber eigentlich ging es darum, etwas zu erschaffen, das funktioniert”, sagt Redakteur Paul Samyn von der Free Press. Angeleitet durch das Vorbild der New York Times, die im vergangenen Jahr mehr als 910.000 Digitalabonnenten vorweisen konnte, haben in den letzten Jahren nun schon mehrere amerikanische Zeitungen gebührenpflichtige Paywalls bei manchen Artikeln eingeführt. Es gab dort generell freien Zugang zu allen Artikeln, bis der Einzelne eine bestimmte Anzahl, beispielsweise 10 Artikel im Monat, erreicht hatte, und erst dann musste man fürs Weiterlesen zahlen. Doch es gab viel Streit darum, dass die Times und andere gebührenpflichtigen Publikationen langsam an das Limit stoßen, bei dem die Leser, die monatlich zahlen wollen, die Schwelle zu den kostenlosen Artikeln pro Monat überstiegen haben.

Wir haben den anderen Zeitungen dabei zugeschaut, wie sie mit der Paywall umgegangen sind, und während sie durchaus Zuspruch hatten, denke ich trotzdem nicht, dass der Erfolg so übermäßig groß war, sagt Samyn. Das Wachstumsvermögen der digitalen Abos bewegt sich entweder verzögert oder nur in sehr geringem Maße nach oben.

Im Jahr 2011 führte die Winnipeg Free Press eine Paywall für Nutzer außerhalb Kanadas ein. Im Jahr 2014 erzielte der Mutterkonzern FP Newspapers Limited Partnership, die auch einige andere kleine Zeitungen besitzen, digitale Abonnenten mit Einnahmen von 3,85 Million Euro (3,05 Millionen US-Dollar). Dies stellt ein Wachstum von etwa 400.000 Euro (317.000 US-Dollar) im Gegensatz zum Vorjahr dar. Seit der Einführung der neuen Paywall äußerte das Unternehmen, dass man vermehrt mit steigenden Einnahmen aus dem digitalen Bereich rechne (meist durch Werbung). Diese sollten etwa bei 10 bis 15 Prozent im Jahr 2015 liegen.

Die Winnipeg Free Press meinte dazu, man sei optimistisch, dass man auf diese Weise auch Leser, die nicht so häufig auf das Angebot zurückgreifen würden und nur eine Handvoll Nachrichten konsumierten, erreiche. “Eine riesige Anzahl an zufälligen Lesern” würden nur etwa 15 Artikel pro Monat lesen, wie eine Analyse der Free Press herausstellte. Innerhalb des neuen Systems würde ein Leser etwa 4,05 US-Dollar im Monat zahlen, bei der “Wir versuchen herauszufinden, welche Summe angebracht wäre, um sie mit den besten Optionen zu vergleichen, und uns dabei auch mit konkurrierenden Webseiten vergleichen”, meinte Samyn in einer Kolumne, in der er die Änderungen ansprach.

Man bedenke in diesem Kontext die weitreichenden Veränderung der Zeitungslandschaft, die sich für ihre Umsatzsicherung eher auf die Leser als auf die Werbeanzeigen verlassen. Bei einer Gebühr von 27 Cent pro Artikel, der für die Leser erhoben wird, fährt man fast die gleichen Einnahmen ein wie eine Anzeige für 270 US-Dollar es täte, die der Tausender-Kontaktpreis (i.e.: der Preis, den man für 1.000 Klicks bekommen würde) einbringt. Die meisten Zeitungen verdienen an ihren Werbeanzeigen nicht so viel. Man verdient diese 27 Cent allerdings nur, wenn die Leser diese auch bezahlen wollen. Die psychologische Hürde für jeden Klick, der ein Preisschild mit sich herumträgt, ist recht hoch. Manche Gelegenheitsleser werden vielleicht ein Komplettabo abschließen, manchen werden sich dazu entscheiden, für den einzelnen Artikel zu zahlen, und manche werden sich weigern, ihre Kreditkarte zu zücken und werden sich dann anderswo umsehen. Der Anteil dieser Gruppe wird sich, wenn das Modell funktioniert, dezimieren. Man kann sich kaum ein Szenario vorstellen, bei dem der Traffic nicht erheblich sinken würde.

Obwohl die Zeitung noch keine Gebühren kassiert, muss man sich bereits als Nutzer auf der Seite anmelden. (Und sogar um den hier besprochenen Artikel über die Paywall lesen zu können, mussten wir uns anmelden.) Wenn die Paywall erst einmal aktiv ist, muss jeder Leser eine Kreditkarte bereithalten, die mit dem Account verbunden ist. Die Idee dahinter ist, dass wenn die Nutzer erst einmal ihre Accounts angemeldet haben, die Übergangsphase erleichtert werden soll.

Neben dem Geschäftsszenario muss festgehalten werden, dass einem völlig neue redaktionstechnische Möglichkeiten offenstehen, wenn erst einmal alle Nutzer mit einem Profil eingeloggt sind. Die Winnipeg Free Press plant, ihren Personalstamm aufzustocken: Liest man viel über die Winnipeg Blue Bombers, ist man sehr wahrscheinlich am Kampf der Stadt gegen die Erdhörnchen interessiert. Die Seite sollte dieses Interesse herausfiltern und dementsprechende Artikel nach oben setzen, die sich Ihren Interessen anpassen. Besucht man die Seite mehr als einmal täglich, werden bereits gelesene Artikel weiter nach unten geordnet, ungelesene werden dabei weiter nach oben gesetzt. Zudem wird, wenn man einen Artikel bereits mit 27 Cent bezahlt und ihn dementsprechend gelesen hat, diese Gebühr nicht noch einmal fällig, sollte man ihnnoch einmal lesen wollen oder der Artikel aktualisiert worden sein.

Und wie kam man überhaupt auf diese 27 Cent? Die Winnipeg Free Press hatte ein Komiteetreffen angesetzt, das erforschen sollte, wie viel man verlangen könne. Man legte sich schließlich auf diese etwas merkwürdige Einpreisung fest, nachdem Umfragen und stichprobenartige Recherchen ergeben haben, dass der Preis “nicht zu hoch, aber auch nicht zu niedrig” sein dürfe, meint Samyn. “Wir versuchten, wie in dem Märchen von Goldlöckchen vorzugehen: nur ein paar Bissen von diesem und jenen,und hoffen, dass wir genau den Mittelweg treffen”, schrieb er.

Dennoch fügte er hinzu, dass die 27 Cent zunächst einen Versuch darstellten. Habe sich das System des Micropayments einmal durchgesetzt, könne die Zeitung eine dynamischere Zahlungsweise etablieren, bei der der Wetterbericht beispielsweise günstiger werden könnte als ein journalistisch investigatives Stück, das in monatelanger Vorbereitung entstanden ist.

Zunächst sollte es nicht zu kompliziert oder schwierig sein. Wir wollten nicht, dass manche Sachen 55 Cent kosten, andere aber 27 oder gar nur 5, sagt er. Wir können irgendwann sicherlich dort hin gelangen, aber lasst uns um Gottes Willen erst einmal mit den 27 Cent anfangen. Es gibt keinen Grund, das Sytem später nicht anzupassen, je nachdem, wie es läuft.

Die Winnipeg Free Press bietet ihren Lesern sogar eine Rückzahlung an, wenn sie mit einem Artikel unzufrieden seien, für den sie bezahlt haben. Samyn meint, diese Idee stammte von Blendle, dem niederländischen Startup-Unternehmen, das viele seiner gesammelten Inhalte von niederländischen Verlagen und einer immer länger werdenden Liste von englischsprachigen Artikeln bezieht, genau wie die Idee, eine Geld-zurück-Garantie zu nutzen, um die Ängste der Leser zu beruhigen, dass sie für Nachrichten zahlen zu müssen. Die Winnipeg Free Press macht es nun genau so.

“Wir möchten, dass Sie der Free Press vertrauen”, sagt Samyn. Meistens, wenn Zeitungsseiten eine Paywall aufbauen, die ähnlich restriktiv ist wie diese hier, brechen die Nutzerzahlen ein. Die Winnipeg Free Press erwartet, dass der Traffic ebenso abnehmen wird, wenn erst einmal die Paywall online ist. Samyn sagt jedoch, die Zeitung ist selbstbewusst und wird auch von der Konkurrenz Winnipeg Sun (dessen Konzern nun die Nachrichtenteile verkaufen will, und der Canadian Broadcasting Corporation (CBC), die im Moment ihre Berichterstatterriege reduziert, Nutzer übernehmen. Samyn dazu: “Wir haben die Verantwortung, unserer Stadt und unserem Staat zu dienen.”

Zuerst erschienen auf niemanlab.org. Übersetzung von Anne Jerratsch.


Image (adapted) “Winnipeg Free Press News Café” by AJ Batac (CC BY 2.0)


schreibt für das an der Harvard Universität angesiedelte Nieman Journalism Lab über Innovation in der Medienbranche. Davor arbeitet er für die Nachrichtenagentur Reuters und berichtete über den wirtschaftlichen Niedergang von Detroit.


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1 comment

  1. Am Anfang des Artikels dachte ich noch:“wow, eine Zeitung die es mal verstanden hat, dass man nicht für das bezahlen will was man nicht liest.“ Aber dass es trotzdem ein Online-Abo für Vielleser gibt finde ich sinnvoll. Und auch der Preis mit 27ct. passt, obwohl ich für einen umfangreichen und aufwändigen Artikel mehr bezahlen würde. Deshalb finde ich ein an den Artikel angepassten Preis am besten.

    Als ich jedoch die Stelle mit der Bezahlmetode und dem Account gelesen habe, ist meine Vorstellung – sowas in Deutschland auch zu haben – zerfallen.

    Für meinen Konsum würde ich Accounts für die Zeit, Spiegel, Süddeutsche Zeitung, TAZ, Heise, Geo usw. benötigen. Ich finde durch das ständige einloggen sinkt die Kaufbereitschaft!

    Aber Later-Pay zeigt ja wie es richtig geht :)

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