Wieso ist „Leistungsschutzrecht“ das netzpolitische Wort 2012?

Julia Solinski hat sich mit dem netzpolitischen Wort 2012 beschäftigt und sich gefragt, warum gerade „Leistungsschutzrecht“ das Rennen gemacht hat. Ein Kommentar zur Wahl.

Vom 21.Dezember 2012 bis zum 7. Januar 2013 konnten Internetnutzer auf politik-digital.de aus fünf Begriffen das netzpolitische Wort des Jahres 2012 wählen. 43 Prozent der Stimmen gingen an den Begriff „Leistungsschutzrecht“. Die übrigen Begriffe waren klar abgeschlagen, der zweite Platz ging mit nur 20 Prozent an „Crowd“, andere Begriffe folgten in kleineren Prozentabständen nach. Doch wieso eigentlich „Leistungsschutzrecht“?

Auf den ersten Blick mag man den Kopf darüber schütteln, dass ausgerechtnet diese unförmige Worthülse das Rennen gemacht hat. Aus klangästethischen Gründen kann die Wahl nur verwundern, und auch in der Kategorie „Selbsterklärend“ wäre kein Blumentopf zu gewinnen gewesen. Denn das „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ schützt im eigentlichen Sinne nicht die Leistung der Urheber allgemein, sondern erst einmal die Leistung der großen Verlagshäuser. Wir erinnern uns: Tritt das Leistungsschutzrecht in Kraft, müssen Suchmaschinen wie Google, die zu Suchbegriffen Artikelüberschriften und Textauszüge (Snippets) anzeigen, den Verlagen dafür einen – bisher nicht näher bestimmten – Betrag zahlen. „Leistungsschutzgeld“, nennt das der auch-Journalist Matthias Spielkamp auf politik-digital.de. Denn ob die Journalisten, Texter, Photografen, Grafikdesigner und all die anderen überhaupt etwas von dem zu erwartenden Kuchen abbekommen, steht auf einem völlig anderen Blatt.

Besonders schön oder stimmig ist der Gewinner also nicht; was ist er dann? Seine Qualität zeigt sich beim Blick auf die Konkurrenten: Mit „Liquid“ und „Crowd“ standen zwei Worte zur Wahl, die gemeinhin als positiv bewertete Entwicklungen im Internet bezeichnen. Es sind Begriffe der Hoffnung: Verflüssigung soll bessere Politik, Crowdfunding soll rudimentäre Finanzierung ermöglichen. Hoffnungen sind schön und machen glücklich; starke Emotionalität oder hitzige Debatten sind selten damit verbunden: Die einen hoffen, die anderen winken müde ab. Auch der Begriff „Nettiquete“ geht in die Richtung Einverrnehmlichkeit: Ja, klar wäre es nett, wenn Online-Diskussionen zukünftig etwas netter und sachlicher ablaufen würden. Im Grunde könnte man alle drei Kandidaten unter einer Kategorie zusammenfassen: Wäre schön.

Anders nun „Microtargeting“, was eine Wahlkampfstrategie meint, die in unseren Breiten als datenschutzrechtlich anstößiges, aber auch exotisch und daher harmlos verstanden wird; der Begriff landete mit 10 Prozent auf dem letzten Platz. Sehr viel realer, körperlicher und kontroverser ist hierzulande dann doch das „Leistungsschutzrecht“: Denn gleich, ob Gegner oder Befürworter, für beide Seiten steht viel auf dem Spiel. Er steht nicht nur für lobbyhörige CDU- und FDP-Politik oder unrettbar altmodische Geschäftsmodelle, er steht auch für die sehr reale Krise des Journalismus. Wenn der Marktneuling Google mittlerweile 40 Prozent der gesamten Werbegelder einsackt, die von Unternehmen für Internetwerbung pro Jahr ausgegeben wurden, wenn genau dieses Geld dann den Verlagen fehlt, um die Urheber zu entlohnen, wenn erste große Zeitungen schließen: Dann erinnert die Motivation hinter dem Leistungsschutzrecht nicht wenig an Verzweiflung.

Nur so ist die Hitzigkeit, die Vehemenz und zum Teil auch die Dummheit zu verstehen, mit der sowohl die Verlage als auch Google im vergangenen Jahr ihre Kampagnen betrieben haben. Und jenseits der betrieblichen Organisation ist die Aufregung über das Thema mindestens genau so groß. „Leistungsschutzrecht“, der Begriff steht für eine wirklich emotionale Debatte um wirklich wichtige Grundsatzentscheidungen, und diese Emotionalität und Bedeutung spiegeln sich eben in der Wahl der bestimmenden Nutzer wider.

Für mich ist das Ergebnis auch ein Indiz dafür, dass sich an der Abstimmung zum netzpolitischen Wort des Jahres 2012 mal wieder nur die ÜNV (die Üblichen Netzpolitischen Verdächtigen, früher Nerds allgemein) beteiligt haben. Dieser Personenkreis hat meist schon von Berufs wegen mit dem Leistungsschutzrecht zu tun, auf der einen oder auf der anderen Seite. Mit einer ausgeglicheneren Grundgesamtheit wäre vielleicht doch einer der positiveren Begriffe gekürt worden. Immerhin, das Jahr ist noch jung: Bis zur Wahl des Wortes 2013 ist noch genug Zeit, um die Bewerbung der Aktion großflächig anzugehen. Wir freuen uns drauf!


 


studiert in Halle Politikwissenschaften im fortgeschrittenen Stadium. Auf den Geschmack von politik-digital.de hat sie ihre Beschäftigung mit Online-Bürgerhaushalten gebracht; derzeit überwintert sie in den Berliner Redaktionsräumen.


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