WG-Suche: Der neue Trendmarkt für Startups

Wer als junger Mensch eine Bleibe in einer Großstadt sucht, hat es nicht leicht. Der Wohnraum wird knapper, die Mieten teurer, die Angebote seltener. Genau diese Situation haben nun einige Startups als Trendmarkt erkannt. Sie spezialisieren sich vor allem darauf, junge Menschen bei der WG-Suche zusammenzubringen.

Berlin, das Mietparadies? Das war einmal!

Berlin galt mal als Mietparadies: viele Wohnungen, günstige Preise. Doch auch wenn der Quadratmeter Wohnung in Berlin im internationalen Vergleich immer noch relativ günstig ist, die Lage spitzt sich zu. Laut Wohneigentumsreport 2017/2018 gibt es für die steigende Nachfrage nach Wohnraum in der Hauptstadt nicht genug Angebote.

 

Grafik Wohnungsnot
Bevölkerung im Vergleich zum Wohnraum, Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt

Besonders kritisch ist es im unteren Preissegment. Nach den Ermittlungen des Wohneigentumsreports ist die Nachfrage nach Wohnungen für weniger als 1.000 Euro/m² um einen Prozent gestiegen, das Angebot ist aber gleich geblieben. Das bedeutet, gerade Studenten oder junge Menschen, die sich die teuren Mieten nicht leisten können, haben es zunehmend schwer, eine bezahlbare Bleibe in Berlin zu finden. Selbst der typische Studenten-Wohnungsmarkt, bei dem vorwiegend junge Leute Wohngemeinschaften suchen, ist völlig überschwemmt. Es ist beispielsweise nicht ungewöhnlich, dass sich auf ein attraktives WG-Zimmer in Berlin 300 Personen bewerben.

Das gilt natürlich nicht nur für Berlin. Aktuell ist in den meisten gefragten Großstädten dieser Welt die Nachfrage nach Wohnraum größer als das Angebot. Tendenz: Es wird noch schlimmer. Was für Wohnungssuchende frustrierend sein mag, haben einige Startups jetzt als neuen Trendmarkt entdeckt.

Von der WG-Suche zum Startup

Presse-Foto Desireé und Anne WOVIVI 1
Desireé und Anne (Image by Sophie Werche)

Eigentlich wollten Desireé Städter und Anne Pehla nach ihrem Abitur nach Berlin ziehen, eine WG eröffnen und von dort aus ein eigenes Projekt starten. Bis sie feststellten, dass der erste Schritt – eine Wohnung finden – viel schwieriger war als anfangs gedacht. Drei Monate lang suchten sie vergeblich. „Wir sind dafür zum Teil auf Wohnungsbesichtigungen mit 30 anderen Personen gegangen und hatten dabei nie die Chance unsere Persönlichkeiten zu zeigen”, sagt Desireé Städter im Netzpiloten-Interview. Die beiden Freundinnen beschlossen daher, ein Vorstellungsvideo von sich zu drehen, damit Makler oder Hausverwaltungen sie besser kennen lernen konnten. „Wir haben das viel größer aufgezogen als es eigentlich notwendig war, mit einer Couch auf einem Hochhausdach in Berlin und einem ganzen Filmteam“, erinnert sich Anne Pehla.

Dabei kam ihnen die zündende Idee: Warum nicht eine Plattform für andere Wohnungssuchende in Berlin starten, auf der sich WG-Bewerber und WGs mit verfügbaren Zimmern in persönlichen Videos vorstellen und so schneller zueinander finden können? Ihr eigenes Video stellten sie danach zwar nie fertig, die Idee für ihr eigenes Startup war aber geboren – Wovivi. Auf der Webseite können sich WG-Suchende in kurzen Videos vorstellen, und sich so auf eine sehr persönliche Art um ein WG-Zimmer in Berlin bewerben.

 

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Wer so ein Porträt erstellen möchte, bewirbt sich über ein Kontaktformular auf der Webseite. Die beiden Gründerinnen treffen die Bewerber dann persönlich in Berlin und nehmen die Videos auf, die die jungen WG-Bewerber anschließend an ihre Wunsch-WGs schicken können. Insgesamt drei bis vier Stunden dauert die Erstellung eines solchen Video-Porträts. Bisher wird der Service von den Gründerinnen gratis angeboten. Ihr Ziel ist es, zunächst genug Nutzer – WG-Suchende und WGs – auf ihre Webseite zu führen, um dann für die Vermittlung eine Gebühr verlangen zu können.

So will Wovivi DIE Plattform für WG-Suchende werden. Ganz schön ehrgeizig für zwei junge Unternehmerinnen Anfang Zwanzig. Doch die beiden sind davon überzeugt, dass sie einen einzigartigen Service anbieten, der sich von Massenportalen wie wg-gesucht.de abheben kann. „Die großen WG-Portale sind unsere größte Konkurrenz, aber wir bieten mit unserer Plattform die Möglichkeit, seine Persönlichkeit zu zeigen und aus der Anonymität der Zimmersuche auszubrechen.“

Tatsächlich könnte ein Portal wie Wovivi sowohl Wohnungs- als auch Mitbewohnersuchenden viel Zeit sparen. „Aktuell ist es so, dass WGs zum Teil 50 Bewerber zu sich einladen, allen eine Wohnungstour geben, und sich immer wieder vorstellen müssen. Mit einer Plattform wie unserer sieht man viel schneller, wer als Mitbewohner gut passen können und kann das Ganze dann schnell auf vielleicht noch etwa fünf Bewerber reduzieren“, sagen die Gründerinnen. 

Knapp 20 junge Menschen haben Wovivi für ihre WG-Suche bisher genutzt, und rund zehn konnten bereits auf diesem Weg eine passende Bleibe finden. Das ist keine schlechte Bilanz, wenn man bedenkt, dass die Webseite am 13. September 2017 gelauncht wurde. Seit Ende 2017 können Nutzer auch eine passende App dazu bekommen, mit der sie dann selbst Videos aufnehmen können. Auch WGs sollen sich dann über die App in Kurzvideos vorstellen. Langfristig wollen Desireé Städter und Anne Pehla eine Plattform nicht nur für die Wohnungssuche, sondern auch für die Vernetzung von WGs untereinander werden.

Vom menschlichen Faktor bis zum Matching-Algorithmus

In Deutschland ist Wovivi mit seinen Video-Porträts recht einzigartig, doch angesichts der knappen Wohnugssituation in anderen Großstädten dieser Welt, gibt es mittlerweile viele weitere Startups, die den Wohnungsmarkt als Trendmarkt entdeckt haben und vergleichbare Angebote vor allem für medial versierte Millennials entwickelt haben. Die Idee dahinter ist ähnlich wie bei Wovivi: Persönlichkeit statt Massenabfertigung, passender Match statt wahlloser Suche.

Roomiematch, ein Startup aus den USA, setzt beispielsweise auf den menschlichen Faktor bei der Vermittlung. Wie das Portal betont, überprüfen hier echte Menschen die Profile auf der Webseite. So sollen Fake-Profile vermieden werden und Nutzer mit falschen Angaben von Anfang an aussortiert werden.

Roomi wiederum ist eine weitere App aus den USA, für Wohnungssuchende in Städten wie New York City und mittlerweile auch Chicago und San Francisco. Hier gibt es zwar keine Videos, dafür aber kurze Selbstbeschreibungen, Fotos und die Möglichkeit, miteinander zu chatten und sich über Social Media zu vernetzen.

Das Portal Diggz konzentriert sich auf den wahrscheinlich schwierigsten Wohnungsmarkt der Welt: New York City. Diggz ist dabei eine Mischung aus Airbnb und Tinder, und setzt alles darauf, über einen Algorithmus von vorneherein passende Profile zueinander zu führen.

Auch wenn viele dieser Apps tatsächlich aus den USA kommen, gibt es auch im deutschsprachigen Raum einige Apps, die neue Wege gehen, um Nutzern bei der Wohnungssuche zu helfen.

Deutschsprachige WG-Apps setzen auf das Tinder-Prinzip

Gerade den Aspekt des passenden Matches hebt beispielsweise das Dortmunder Startup Weegee hervor. Mitgründer Daniel Timmermann hatte dabei ganz klar das Tinder-Prinzip vor Augen, es erinnert von der Funktonsweise daher ein wenig an Diggz. Die Idee zu Weegee kam Timmermann ganz klassisch, durch ein persönliches Erlebnis. Nachdem ein Freund von Timmermann eine frustrierende WG-Castingrunde mit über 150 Bewerbern hinter sich hatte, kam der Entwickler schnell auf die Idee, die WG-Suche effektiver zu gestalten.

Auf Weegee können sich Bewerber und WGs wie bei Tinder entweder nach links oder rechts wischen, und kommen somit nur mit gleichermaßen interessierten Menschen in Kontakt. Die Kontakte, die Weegee dabei vorschlägt, sind aber nicht so zufällig wie bei der Dating-App. Ein Algorithmus sortiert von vorneherein unpassende Profile aus. Raucher und Nichtraucher-WGs kommen so etwa gar nicht erst zusammen. Das soll die Suche effektiver und zeitsparender machen. Langfristig soll die App nicht nur für den Wohnungsmarkt, sondern auch für andere Produkte genutzt werden.

Auch Flatmatch, ein Zürcher Startup, setzt auf das Vermitteln per Algorithmus. „Meet. Match. Move.“ lautet das Motto hinter der App. Wie bei Weegee diente bei Flatmatch ebenfalls die Dating-App Tinder als Inspiration. Ein Algorithmus führt dabei passende Profile zusammen und erleichtert so die Wohnungssuche. Alexander von Luckner sagt, er wolle mit der App vor allem den Zeitaufwand reduzieren. Denn sowohl Wohnungssuchende als auch WGs müssen aktuell sehr viel Zeit in den Prozess investieren. Bisher gibt es Flatmatch nur in der Schweiz, ab 2018 sollen dann auch Deutschland und weitere europäische Länder hinzukommen.

Übrigens, bei Desireé Städter und Anne Pehla hat es mit der gemeinsamen WG-Gründung letztlich doch nicht ganz so geklappt wie ursprünglich geplant. Dafür wohnt Anne Pehla jetzt in einer WG und Desrieé Städter in ihrer eigenen Wohnung in Berlin.


Porträt: Sophie Werche


Image (adapted) Wohnungen by karlherl (CC0 Public Domain)


begann ihren journalistischen Werdegang bei kleinen Lokalzeitungen und arbeitete dann während ihres Studiums als Reporterin für den Universitätsradiosender. Ihr Volontariat machte sie bei Radio Jade in Wilhelmshaven. Seit 2010 hat sie ihren Rucksack gepackt und bereist seitdem rastlos die Welt – und berichtet als freie Journalistin darüber. Über alle „inoffiziellen“ Geschichten schreibt sie in ihrem eigenen Blog fest. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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