Werbung und Content in der Beziehungskrise?!

Adblocker, Content Marketing, Big Data – alles Symptome der neuen vernetzten Mitmachkultur. Etablierte Medienhäuser mit der alten Denke werden sich ganz warm anziehen müssen. Der Versuch eines Überblicks über die Zukunft der Medien und ihrer ökonomischen Grundlage.

Arbeiter lesen eine Zeitung (Bild: Deutsche Fotothek? [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons)

Die große Kampagne gegen Adblocker, also Menschen, die Werbung auf Onlinepublikationen per Software automatisch ausblenden weil es sie schlichtweg nervt, war am Ende wohl eher eine Kampagne für das Ausblenden von Werbung, weil es mehr oder weniger dezent einem breitem Publikum vermittelt hat, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt. Jetzt kann man sich darüber lustig machen, oder sich über die Verlage und generell über Werbung echauffieren, man kann aber auch mal versuchen zu verstehen, was da gerade im Umbruch ist und warum sich in letzter Zeit immer wieder solches Verhalten der Verzweiflung anhäufen. Um das zu verstehen muss man zunächst einmal verstehen was das Internet da kulturell eigentlich auf den Kopf gestellt hat.

Es gibt im Grunde genommen nur eine wichtige erschütternde Erkenntnis, die wir unseren Studierenden im Modul “New Media Culture” grundsätzlich immer wieder vermitteln möchten: Die Ära des „Broadcastings“ mit all ihren Randerscheinungen und Refinanzierungsmodellen wird derzeit Zug um Zug abgelöst von der Ära des “Broadcirclings“. Hää? Was? Wie bitte? Also noch mal ganz langsam zum mitschreiben:

Das Konzept „Broadcasting“ sieht vor, dass einige wenige Menschen gezielt sehr viele Menschen über eine überschaubare Anzahl von Informationsträgern mit festem Sendezeitenschema erreichen. Die Tagesschau kommt täglich um 20:00 Uhr und erreicht mit einem Sprecher, einigen Redakteuren und einer begrenzten Zahl von Meldungen ein Millionenpublikum. Wem der englische Begriff Broadcasting zu englisch ist, der darf auch gerne „Rundfunk“ und/oder „Presse“ verwenden. Den Begriff „Massenmedium“ lasse ich an der Stelle bewusst aus, denn das Internet ist ohne Zweifel auch ein Massenmedium, nur ist dessen grundsätzliches Konzept zur Verbreitung von Informationen ein ganz anderes. Rundfunk und Presse sind schematisch skizzierbar mit der berühmten hierarchischen Pyramide. Ganz oben ist es schmal und spitz und unten wird es sehr breit. Informationen werden vornehmlich von oben nach unten gesendet (Top-Down), dabei gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Rücklaufkanälen (Feedback).

Ganz anders hingegen das Schema des Internets. Man kann es sich, spätestens nach Gunter Duecks Vortrag auf der re:publica 2013, als einen verwobenen Ball vorstellen. Einzelne Knoten, die jeweils mit anderen Knoten verknüpft oder verdrahtet sind. Jeder Knoten ist theoretisch gleich wichtig, sofern er mit mindestens einem anderen Knoten und damit dem gesamten Netzwerk aus Knoten verbunden ist. Das Thema “Netzwerk” will ich an der Stelle nicht weiter vertiefen, denn natürlich gibt es große und kleine Knoten, die auch unterschiedlichen Einfluss auf die Informationsverteilung haben.

Dieses netzwerkartige Gebilde führt dazu, dass eine Geschichte keinen bestimmten Sendeplatz mehr benötigt um sich im Publikum zu verteilen. Die Zugangsvoraussetzung um eine Geschichte in der Masse zu verteilen hat sich drastisch verändert. Man kann mit wenigen Mitteln theoretisch sehr schnell, sehr viele Menschen erreichen. Manchmal ist die Masse aber auch gar nicht so wichtig, dann reicht es oftmals eine Nachricht in der entsprechenden Nische zirkulieren zu lassen.

Gleichzeitig hat sich mit der neuen Möglichkeit der Verbreitung von Informationen auch die Technologie zur Erstellung Informationen drastisch entwickelt. Es gibt mittlerweile günstige und echt mächtige Digitalkameras, Smartphones und jede Menge Dienste, die einzig und allein darauf ausgelegt sind Inhalte zu produzieren, zu optimieren und bereitzustellen. Das alles sind also zahlreiche Publikationsmaschinen oder -werkzeuge, die zugleich eine größere Anzahl von Menschen dazu befähigen selbst sehr schnell zum Publizisten zu werden. Der Ich-Verlag. Der Ich-Sender. Das Ich-Radio.

Sehr deutlich sieht man das derzeit anhand der aufkeimenden Youtube-Kultur. Teens und Twens experimentieren mit Video, ganz ohne aufwendige Rundfunktechnologie, oftmals einfach mit dem Handy oder der Webcam. Ihre Einschaltquoten, man nennt es Klickrate, lassen so manche aufwendig produzierten TV-Sendungen mittlerweile echt blass aussehen und liegen zum Teil in Deutschland im zweistelligen Millionenbereich. Das kulturelle Resultat aus der neuen Technologie, plus den neuen Verbreitungsmechanismen nenne ich in diesem Beitrag ab sofort „Mitmachkultur“. In den USA findet der Begriff „Participatory Culture“ (so auch der Name einer Unterrichtseinheit hier an der Karlshochschule) von Henry Jenkins und seinen Kollegen am MIT entsprechende Verwendung. Die Werke von Jenkins und Kollegen stehe daher auch ganz oben auf der Literaturliste unseres Moduls.

Das interessante für mich: Der Eintritt zur “Mitmachkultur”, dem Akt des Publizierens, beginnt schon extrem früh bzw. sehr niederschwellig, nämlich bereits bei jedem getätigten “Like“, “Retweet” oder “Share“, also der öffentlichen Kennzeichnung von Inhalten. In dem Moment, in dem ich etwas „like“, signalisiere ich zugleich den Menschen in meinem Netzwerk: “Seht her, das habe ich gelesen“. In diesem Moment werde ich selbst zum Publizist – zugegeben auf ganz niedrigem Niveau, aber dennoch wirkmächtig genug um das alte Broadcasting-Prinzip dauerhaft und breit auf den Kopf zu stellen.

Nehmen wir beispielsweise den Journalismus und das Twitter-Netzwerk. Die Jagd nach dem großen Scoop, der Sondermeldung, die man als journalistisches Format als erster bringen will, ist auf Twitter schier unmöglich geworden. Früher waren die Journalisten als erste Berichterstatter am Ort des Geschehens und haben Zeugen und beteiligte Behörden befragt, heute publizieren die Zeugen und Behörden selbst, ein Novum, das zahlreiche Journalisten mittlerweile beschäftigt. Die „Breaking News“ verbreitet sich heute im Netzwerk völlig unkontrolliert am Journalismus vorbei. Denn dieser muss ja aus dem eigenen Selbtsverständnis heraus Meldungen aufgreifen, genau checken und sehr viel später erst verifiziert veröffentlichen, während die Meldung an sich bereits zig mal über Twitter und Co weiterverbreitet wurde. Das geht meines Erachtens zum Teil so weit, dass Journalisten so sehr unter Druck geraten, dass sie Meldungen ohne Faktencheck veröffentlichen, so dass die Zirkulierung noch maßgeblich verstärkt wird. Bei den Anschlägen von Boston konnten wir sehen welche Auswirkungen das zum Teil hatte. Anhand der „Breaking News“ kann man übrigens sehr schön den Unterschied zwischen neuer „Zirkulierung“ und alter „Sendung“ von Nachrichten erkennen.

Die neue Mitmachkultur lässt Informationen also zirkulieren, während die journalistische Zunft immer noch versucht Nachrichten zu senden. Das ist eine interessante Anomalie, die eine Gesellschaft, welche sich maßgeblich aus Kommunikation zusammensetzt, ordentlich durchschüttelt. Im Epizentrum des Bebens stehen also die Broadcasting-Medien, die bisherigen Gatekeeper und Wirklichkeitskonstrukteure einer Gesellschaft unter Schock. Neben dem Verlust von Deutungshoheit (aka Macht) hat die Mitmachkultur natürlich gleichzeitig auch Auswirkung auf ihr bisheriges Geschäftsmodell.

Blicken wir nun also auf die Ökonomie der Medien und der interessanten und zugleich ermüdend wirkenden Frage, wie sich Medien und deren Akteure refinanzieren. Werbung oder “Paid Content”? Entweder oder? Ich meine, wie so oft, wohl eher ein “sowohl als auch” – oder gar was völlig anderes? Schauen wir doch mal auf die möglichen Szenarien und Entwicklungen:

1. Werbefinanzierte Medien

Neben der Mitmachkultur erlebte die Broadcasting Ära eine weitere Erschütterung, die scheinbare absolute Messbarkeit von Reichweite. Bei Rundfunk und Presse wurde und wird Reichweite bisher interpoliert berechnet. Einschaltquoten werden hochgerechnet, als Datenbasis dienen eine überschaubare Anzahl von Messfernsehgeräten in verschiedenen Haushalten. Im Printbereich rechnet man normalerweise in Auflagen, also wieviele Zeitungen durch die Druckerpresse gejagt werden. Sowohl Rundfunk wie auch Presse (öffentlich-rechtliche Sendeanstalten ausgenommen) werden durch Werbung refinanziert, d.h. man bietet Unternehmen einen Sendeplatz an, entweder eine ausgewiesene Fläche auf dem Papier oder eine bestimmte Uhrzeit im Fernsehprogramm.

Das schöne an dem alten Modell war nicht nur die tolle Überschau- und Planbarkeit, sondern vor allem auch die unscharfe Auswertung der Werbereichweite. Das hat sich seit dem Internet und den messbaren Interaktionen radikal geändert. Bei Zeitungen nimmt man an, dass eine ganzseitige Anzeige bei einer Auflage von 1 Mio so und so oft gelesen wird, also zahlt der Werbekunde regelmäßig dafür den interpolierten Preis XYZ. Da steckt unheimlich viel Fantasie drin und damit auch jede Menge Luft nach oben und unten. Doch die neuen messbaren Onlinemedien sind gnadenlos kalt und berechenbar (“Big Data” ist da das neue Angstwort), so macht es jedenfalls den Anschein. Jeder Klick ist messbar, jede Konversion – also die Wandlung vom Klick- zum Kaufkunden – ist identifizierbar. Das führt mitunter zu ernüchternden Erkenntnissen und noch viel ernüchternden Ein- und Ausgaben der Werbekunden. Ich sage bewusst “vermeintliche Messbarkeit”, weil Markenkommunikation, also abseits der Abverkaufsbanner, natürlich auch weiterhin schwer messbar sein wird, schließlich können wir noch nicht in unsere Köpfe schauen.

Langer Rede kurzer Sinn, die genaueren Zahlen bescheren den Publikationen insgesamt im Vergleich zur interpolierten Ära weniger Einnahmen, die Qualität der Publikationen orientiert sich dadurch zunehmend an der Quantität der Klicks, was zu noch mehr Klickstrecken und Promigeschichten führt (wobei Publikationen wie Spiegel Online klare Mischkalkulationen fahren, also ein Teil Klickgeschäft, ein Teil „Reichweite ist uns egal Inhalte“). Gleichzeitig müssen die Werbeformen zwangsläufig aggressiver werden, denn sie kämpfen um noch reduzierte Aufmerksamkeit. So nehmen Pop-Ups, Flash-Layer und alles was beim Lesen stört und unterbricht und einem entgegenbrüllt „BITTE KLICK MICH UND WENN AUCH NUR AUS VERSEHEN“ bei sinkenden Klickraten natürlich entsprechend zu. Das wiederum steigert die Reaktanz der Leser auf diese Art der Werbung, so entsteht wiederum ein Markt für „Werbeblocker“, kleine Programme die diese Nervigkeiten wunderbar ausblenden, was wiederum dazu führt, dass die Werbekunden bei den Publikationen anklopfen und ihr Geld zurückverlangen und so weiter und so weiter. Man sieht das Modell „Werbefinanzierung“ hat echt Zukunft im Netz der zirkulierenden Botschaften. Nicht.

2. Advertorials und Corporate Publishing

Ein weiteres Resultat aus der oben beschriebenen Reaktanz von klassischen Werbeformen ist die Entstehung neuer Formen der Kundenbeeinflussung. Die „Public Relation“ ist zum Beispiel auch aus dem Gedanken entstanden Menschen zu beinflussen, ohne sie mit nervigen Werbeanzeigen zuzuballern. Die Public Relation ist also ein Meister der verschleierten Werbung, auch wenn ihre Akteure das so nie schreiben würden, sie formulieren das wesentlich eloquenter als ich zum Beispiel mit „Aufklärungsarbeit“ oder „Kommunikative Vermittlungsarbeit zwischen Auftraggeber und der Öffentlichkeit“. Lange Jahre war also das Ziel der “Public Relation” eine Beziehung mit der Öffentlichkeit aufzubauen, meist über Bande durch die Beziehung zu Journalisten. Dort wurden dann Geschichten inszeniert und platziert.

Was nun durch die Reaktanz von Werbung, der Zirkulation von Informationen im Netz zugenommen hat sind zwei mit der PR verknüpfte Phänomene: 1. Publikationen bieten ihren Werbekunden nun ganz neue Plätze an. Bisher waren Inhalte und Werbung streng voneinander sichtbar getrennt. Nun eröffnen sich plötzlich Möglichkeiten “Advertorials” (gekaufte Artikel) zu buchen oder gar ganze Rubriken zu bespielen. Die Washington Post schafft einen Präzedenzfall in der Geschichte des Journalismus, indem sie Unternehmen anbietet selbst Inhalte innerhalb ihres journalistischen Gerüstes zu veröffentlichen. Der Trend nennt sich “Native Advertising” und ist vor allem bei neuen Medien-Plattformen wie BuzzFeed.com stark im Kommen.

Das alles ist nicht nur eine logische Reaktion auf die sinkenden Einnahmen und die Reaktanz der Werbung, das ist auch eine weitere Gegenreaktion auf den weiteren neuen Trend des „Corporate Publishings“, also das Konzept bei dem sich Unternehmen ihre eigenen Publikationen selbst erschaffen. Red Bull oder Coca Cola sind wohl die prominenteren Beispiele, aber auch die Versuche mit “Corporate Blogs” oder einfach nur bespielten Facebook-Pages beim Kunden zu landen, fallen für mich bereits in den Bereich des „Corporate Publishings“. Wenn diese Unternehmen dann noch über Themen außerhalb ihres Produktradius schreiben, wird es brenzlig für die journalistischen Formate, allen voran in den soweiso klickgetriebenen und werbeüberfinanzierten Themenfeldern wie Lifestyle, Gossip, Technologie oder Sport.

„Corporate Publishing“ ist eine echte Bedrohung für etablierte Medienmarken, daher beißen sie in Zukunft lieber in den sauren Apfel und lassen die Inhalte von Unternehmen in Zukunft lieber direkt auf ihrem eigenen Kanal stattfinden. Was das für die Qualität und die Rolle des jeweiligen Mediumformates in Zukunft bedeutet, muss sich nun jeder selbst ausmalen. Deutlich erkennbar scheint jedoch die Verwischung der publizistischen Grenzen zu sein. Es gibt nicht mehr “den Journalismus” und “die Unternehmenskommunikation” Nicht mehr “die Anzeige” und “den journalistischen Artikel”. Ob das nun angenehmer als aufdringliche Werbung ist muss nun auch jeder für sich entscheiden.

3. Paywall vs. Paywill

Eine Bobachtung muss man ebenfalls deutlich bennen: Die Zahlungsbereitschaft für Inhalte nimmt signifikant zu. Die vielbeschworene Kostenloskultur ist eher im Bereich des Mythos angesiedelt. Natürlich kauft nicht jeder umgehend das was ihn interessiert. Die Zirkulation von Content führt eben auch dazu, dass man mit wesentlich mehr Angeboten in Kontakt kommt. Das Kaufhaus in der kleinen Stadt war da doch recht überschaubar, was die Auswahl an Produkten betrifft. Heute sind wir mit einer großen Anzahl von Menschen vernetzt, die alle irgendwie mehr oder weniger auch ihr Konsumverhalten entblößen: Neues Album hier, neue Lieblingsserie da. Früher konnte man in den Musikgeschäften seines Vertrauens in ein Album reinhören, bevor man das begrenzte Taschengeld dafür ausgab. Heute ist das alles noch wesentlich bequemer geworden und Dienste wie Spotify haben sogar erkannt, wie man allein durch das Antesten von Musik Geld verdienen kann und offensichtlich sind Menschen auch dazu bereit eine Summe X zu bezahlen, wenn sie dafür jederzeit Zugriff auf Inhalte haben. Die Musikgeschäfte hingegen sind so gut wie verschwunden.

Das Flatratemodell scheint Segen und Fluch zugleich zu sein. Segen für den Konsumenten, Fluch für den Produzenten, der natürlich davon ausgeht, dass die Menschen entweder immer nur SEINE Sachen hören und kaufen und nicht die zig Millionen Konkurrenzprodukte auf dem Markt oder einfach über unendlich viel Geld verfügen um die zig Millionen Angebote einfach alle zu kaufen. Auch hier findet also ein enormer Umbruch der Geschäftsmodelle statt. Zirkulierende Informationen plus einfacher Kopierbarkeit von digitalen Informationen führen zu einem verstärkten Bedürfnis des kurzzeitigen Besitzes, der begrenzten Verfügbarkeit, des kurz eingeräumten Nutzungsrechtes und nicht unbedingt des körperlichen, dauerhaften Eigentums.

Und auch der Bezahlmodus scheint sich umzukehren. Man vertritt heute wohl eher die Haltung erst zu konsumieren und dann zu zahlen. In der Musik ist der Trend am deutlichsten sichtbar. Ich höre erst ins Album rein, dann kaufe ich es mir vielleicht. Habe ich das Album gehe ich vielleicht anschließend ins Konzert. Hier will kaum noch jemand die Katze im Sack kaufen. Daher halte ich „Paywall“ Konzepte für sehr schwierig. Hier will man den Leser zwanghaft von vornherein an die Katze im Sack binden. Man tut so als sei man ein Medium mit exklusiven Inhalten, dabei ist man das einfach nicht. Den gleichen Informationswert erhalte ich um die Ecke, zumeist kostenlos und manchmal sogar werbefrei. Kein Wunder wenn Verlage so verzweifelt sind, ich kann es ihnen nicht verdenken, aber empfehle dann doch noch einen Schritt weiter zu denken.

So finde ich es beispielsweise interessant, dass eine permanent ums Überleben kämpfende Publikation als einer der ersten den Schritt in Richtung „Paywill“ gewagt haben. Die TAZ bittet seine Leser bei jedem Artikel um Unterstützung, entweder als Bezahlabo oder mit einer Spende. Zugleich hat die TAZ den Mikrospendendienst Flattr integriert, eine Art „Like-Button“, der eine kleine Spende an den Autor des Artikels oder Eigentümer einer Website weiterreicht. Sicherlich ist der Dienst aus deutscher Sicht noch suboptimal, aber ich frage mich wieso die deutsche Verlagslandschaft nicht längst selbst so einen Spendendienst in Kooperation mit Finanzinstituten baut.

Doch zurück zu “Paywill statt Paywall”. Inhalte vor einem zirkulierenden System per Bezahlschranke auszuschließen ist glatter publizistischer Selbstmord, denn man unterbindet genau den Fluss, der dazu führt neue potenzielle Leser zu gewinnen. Wenn ich einen Artikel teilen kann, meine Freunde ihn aber nicht lesen können, wird das eher dazu führen, dass die sich dem gleichen Thema bei anderen Angeboten widmen. Die Alternativangebote in der Mitmachkultur sind viel zu groß und vielfältig als das sich eine Medienmarke einbilden könnte ohne sie würde die Welt untergehen. Es sei denn es gibt eine breite Allianz der Medienhäuser, aber selbst dann werden im Markt neue Angebote sprießen, die der Paywall den Kampf ansagen wird. Der Konsument und sein Verhalten bestimmen den Markt. Er will schnell, bequem und kostengünstig bedient werden.

4. Angebote und Services

Kommen wir nun zum Fazit und der Frage, wie Medien in Zukunft Geld verdienen können. Zunächst glaube ich, dass die Geldprobleme in erster Linie Verteilungsprobleme sind. Statt auf die Spitze der Pyramide zu schauen, dem zum Teil aufgeblasenen Management, kappt man lieber die Kosten direkt an der Basis. Man kürzt also als erstes dort, wo gleichzeitig am meisten Potential für die Zukunft steckt: Bei den Geschichtenerzählern. Damit entlässt man die wegrationierten Journalisten direkt in die neu entstandende Mitmachkultur, damit sie dort unter Umständen selbst irgendwann zur Konkurrenz werden. Man schneidet sich hier also doppelt ins eigene Fleisch.

Ich möchte aber weniger auf den Ausgabeteil schauen, als vielmehr auf die Potenziale bei der Einnahme. Was funktioniert denn besonders gut? Zum einen würde ich dringend dazu raten neue Bezahlsysteme zu etablieren, die es dem Leser ermöglichen einfach und ohne Aufwand Geld zukommen zu lassen. Freiwillig. Ich würde neue Produkte und Veranstaltungsformate erschaffen (so wie die Musikindustrie mittlerweile auf Konzerte und Merchandising setzt). Ich würde das Thema “Crowdfunding” wesentlich intensiver in Betracht ziehen, denn das ist ein weiteres ökonomisches Modell, das perfekt zur Zirkularität von Informationen passt. Ich würde generell die Mitmachkultur stärker einbeziehen und sie einfach an der Entwicklung neuer Sachen beteiligen. Ich würde meine Journalisten wie Stars behandeln und sie entsprechend managen. Sie sind die entscheidenden Urheber der Geschichten und Meme, sie sind das wichtigste Kapital in einer neuen Aufmerksamkeitsökonomie der zirkulierenden Informationen. Entweder sie machen bei euch in den Verlagshäusern als Zugpferde mit oder sie machen es woanders. Zur Not halt auch ganz alleine oder gleich für irgendwelche Brausehersteller und ehemalige Werbekunden.


Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf dem Blog der Karlshochschule International University.


Teaserimage by Sracer357 (CC BY-SA 3.0)


Image by Deutsche Fotothek (CC BY-SA 3.0)


ist Dozent ("New Media Culture", "Social Media Lab" und "E-Business") und digitaler Botschafter für die Karlshochschule International University in Karlsruhe. Er arbeitet zudem als freier Berater, Stratege und Konzepter für Unternehmen und Organisationen. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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