Wer hat Angst vor der LINKEN?

In einer Artikelserie untersucht die Kommunikationsberaterin Nina Galla die Wahlprogramme der Parteien auf Auswirkungen für die digitale Kreativwirtschaft. Im sechsten und letzten Teil blickt sie ins Wahlprogramm der LINKE. Auch wenn die Zeit für einen Linksruck in den Köpfen vieler Menschen überreif ist, gilt die LINKE als unwählbar – dabei treffen kalkulierte Vorurteilen seitens der Konkurrenz-Parteien auf eine grundsätzliche Angst vor konsequenter Umverteilung und Verstaatlichung.

Der Zeitgeist jedoch ist auf ihrer Seite: Während es im 20. Jahrhundert noch als erfolgversprechend galt, öffentliche Leistungen zu privatisieren, ist die Gesellschaft heute einen Schritt weiter: In vielen Köpfen ist angekommen, dass Daseinsvorsorge in privater Hand der Gewinnerzielung des Betreibers mehr dient als dem Bürger. Die Rückführung (oder Erhaltung) von sozialen Diensten und Leistungen der Daseinsvorsorge in staatliche Hand gilt bei vielen als Garant für eine wieder bürgerorientiertere Versorgung. Die Initiativen zum Rückkauf der Energienetze in Hamburg und Berlin sind nur zwei Beispiele dafür.

In Ihrem Programm stellt die LINKE ihre wichtigsten Programmpunkte in einem grundsätzlichen Einleitungstext voran. Die Vision lautet: Der Einstieg in eine neue Gerechtigkeit muss keinen persönlichen Verzicht bedeuten. Im weiteren Text wird ausgeführt, was genau geplant ist und wie es finanziert werden soll. Die Kapitel werden mit Fließtext und vereinzelten kleinen Geschichten eingeleitet, die konkreten Forderungen zum jeweiligen Themenkomplex dann optisch herausgestellt. Alles in allem ist das Programm mit etwa 80 Seiten Inhalt gut lesbar und verständlich.

Komplettsanierung unserer Gesellschaft

Wo andere sich an nationaler und europäischer Finanz– und Wirtschaftspolitik, Ökologie oder Datenschutz austoben, steigt die LINKE mit Arbeitnehmerrechten als Basis für ihren Gesellschaftsumbau ein. Es folgen die bereits bekannten finanziellen Umverteilungsideen: Spitzensteuersatz von 53 Prozent, Finanztransaktionsteuer, Vermögensabgabe und -steuer, Streichung der „Schuldenbremse“.

Zugute kommen sollen die Einkünfte unter anderem jenen, die weniger als 6.000 Euro im Monat Einkommen haben (durch Steuererleichterungen), das Ehegattensplitting soll abgeschafft werden, ein gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde soll eingeführt und bis zum Ende der Wahlperiode am nationalen Durchschnittslohn ausgerichtet werden (derzeit zwölf Euro): Neben einer solidarischen Mindestrente sollen Kinder eine Grundsicherung erhalten. Hartz IV soll langfristig abgeschafft und bis dahin die Sätze erhöht werden. Wie die Piraten setzt die LINKE sich für eine Enquetekommission zum Grundeinkommen im Deutschen Bundestag ein.

Radikaler und konsequenter als SPD und Grüne könnte die LINKE als Teil einer rot-rot-grünen Regierung also zum tatsächlichen Politikwechsel beitragen.

Unterschätzt: Die Netzpolitik der LINKE

Bei einem solch scharfen Profil der sozialen Gerechtigkeit geht die netzpolitische Kompetenz der LINKE leicht unter. Zu Unrecht. Bisher dürfte nur Wenigen die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag Halina Wawzyniak bekannt sein, ebenso wie das ausführliche Programm zu Internet & Kultur. So fordert die Linke:

  • Ausbau Breitband-Internet mit zunächst10 Mbit/s (gesetzlich festgeschrieben), mutig hier: Telekommunikationsnetze sollen in öffentliches und gemeinwirtschaftliches Eigentum überführt werden.
  • Gegen Überwachung, Einschränkungen des Rechtsschutzes und schleichenden Verlusts von rechtsstaatlichen Standards, Privatisierung der Rechtsdurchsetzung im Netz stoppen und die Deep Packet Inspection unterbinden, Recht auf eine vollständige Löschung aller gespeicherten Daten.
  • Gegen Profiling und verdachtsunabhängige Datenspeicherung, Vorratsdatenspeicherung, Bestandsdatenauskunft und Online-Durchsuchungen, nichtindividualisierte Funkzellenabfrage, Video-, Späh-, Lauschangriffe und Rasterfahndung.
  • Für datenschutzfreundliche Technik („Privacy by Design“) und datensparsame Grundeinstellungen („Privacy by Default“) bei Webdiensten, Smartphones, Tablet- Computern und Apps sowie für das Recht ein, die eigenen Daten „mitzunehmen“ (Datenportabilität) oder zu löschen.
  • Software und Geräte, mit denen Internetnutzerinnen und -nutzer verfolgt und Internetsperren errichtet werden können, dürfen nicht exportiert werden.
  • Zensur und Netzsperren verhindern, Netzneutralität gesetzlich verankern.
  • Gute Arbeitsbedingungen für Medien- und Filmemacher mit „Fair Work“ Richtlinien in der Medienproduktion, außerdem „Fair-Work“ in der IT-Industrie, um schlechte Arbeitsbedingungen und ökologische Missstände zu beseitigen.
  • Reform des Patent- und Urheberrechts: Die privatwirtschaftliche Aneignung von Wissen darf nicht zur ökonomischen oder kulturellen Entwicklungsschranke werden.
  • Störerhaftung dahingehend ändern, dass es erlaubt wird, Internetanschlüsse mit anderen jederzeit zu teilen, Freifunkinitiativen fördern.
  • Reform des Urhebervertragsrechts, damit Kreative ihre Ansprüche auf angemessene Vergütung wirksam durchsetzen können, für neue Lizenz- und Vergütungsmoodelle (Creative Commons, Kulturwertmark, Crowdfunding) sowie für transparente und demokratisch strukturierte Verwertungsgesellschaften, Abmahnungen auf kommerziellen Missbrauch und tatsächliche Rechtsverletzungen eingrenzen, Anwaltsgebühren deckeln., nichtkommerzielle Nutzungshandlungen in Tauschbörsen sollen erlaubt sein, ebenso der Weiterverkauf von digitalen Kulturgütern.

Und das ist noch nicht mal alles: Im Segment Bildung geht es weiter: Urheberrechtlich geschützte Werke sollen im Rahmen einer Ausnahmeregelung für Zwecke der Bildung, Forschung und Lehre nutzbar gemacht werden, Open-Access-Veröffentlichungen sowie die Zugänglichkeit von Forschungsdaten nach dem Prinzip von Open Data sollen ermöglicht werden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht für ihre Werke bekommen. Jede Schülerin und jeder Schüler soll Zugang zu einem internetfähigen Computer bekommen, es soll weiterhin kostenlosen Zugang und offenen Austausch von digitalen Lehr- und Lernmitteln nach „Open Educational Ressources“ (OER) Standards.

In der öffentlichen Verwaltung soll es mit der Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes zu einem Transparenzgesetz nach dem Vorbild des gleichnamigen Hamburger Landesgesetzes mehr Transparenz geben, Ausschusssitzungen sollen grundsätzlich öffentlich sein.

Die Künstlersozialversicherung muss erhalten und ausgebaut werden. Kreative, die freiberuflich und selbstständig tätig sind, müssen besser in die sozialen Sicherungssysteme einbezogen werden.

Zu Gründern sagt die LINKE sonst nichts – es sei denn, der Leser bezieht den Ausbau des Genossenschaftsprinzips oder die Stärkung des Genossenschaftsrechts ein.

Wie radikal wollen wir sein?

Die LINKE beschreibt in ihrem Wahlprogramm nicht weniger als einen grundlegenden Umbau unserer Gesellschaft. Diese Programmatik verfolgt die Partei seit langem konsequent und mit Rückgrat. Ihre Vision und Haltung sind dabei genau das, was viele Wähler bei den anderen Parteien vermissen.

Vorgeworfen werden ihnen insbesondere von den anderen Parteien ihre Vergangenheit (wer hat die nicht?) und ihre Sperrigkeit in einer möglichen Regierungskoalition. In der Tat, die LINKE ist zuweilen radikal in ihren Forderungen – Der eine oder andere Wähler, dem die anderen Parteien nicht links genug sind, kann bis Sonntag noch einmal in sich gehen und sich fragen, ob er nicht eigentlich genau das wirklich will. Mit allen unbequemen Konsequenzen. (Die Kanzlerschaft wird sie nicht schaffen, aber ein bisschen stören könnte reichen.)

Fazit: In den vergangenen sechs Wochen habe ich alle Wahlprogramme auf netzpolitische Ideen und Ansätze analysiert. Die ideale Partei, die das perfekte Abbild meiner Meinung ist, habe ich dabei nicht gefunden. Und das dürfte niemand finden. Der Anspruch, nur eine Partei zu wählen, die in allen Punkten die subjektiv „richtigen“ Ansichten vertritt, ist zu hoch. Bei der Wahl geht es darum, diejenigen Vertreter zu wählen, denen jeder Einzelne am ehesten zutraut, die eigenen Interessen oder die der Gesellschaft zu vertreten (was wichtiger ist, mag auch jeder für sich selbst beantworten).

Es gibt keine Ausrede für das Nichtwählen. Also: Arsch hoch, Kreuzchen machen!


 


 

ist Beraterin für strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit mit besonderem Schwerpunkt auf Technologie-, IT- und Digital-Themen. Sie berät und betreut Unternehmen, Verbände und politische Akteure.


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