Die Washington Post erstellt „alternative Artikelformate“

Hat die Washington Post Ihr Alter und Einkommen richtig geraten, nur aufgrund der Apps auf Ihrem Handy? (Zur Info: Laut meiner Apps bin ich ein „alleinstehender Mann unter 32, der mehr als 52.000 US-Dollar pro Jahr verdient.“) Die Rätselei um das Alter begleitete einen Artikel von Washington Post-Reporterin Caitlin Dewey über eine recht unsichere Forschungsarbeit, wie die Nutzung bestimmter Apps gewisse demographische Merkmale vorhersagen kann.

Ein Team der Washington Post baute hier zudem ein Feature ein, mit dem man einen Persönlichkeitstest machen konnte. Es handelte sich bei dem Test um eine recht aussagekräftige Zusammenstellung, die traditionelle Quizfragen, ein Wissensspiel, ein Spiel, bei dem man möglichst rasch raten musste, ein Kartenspiel und sogar ein Zitate-Quiz enthielt. „Das Team hat dies für den Nutzer personalisiert, so dass man mehr über sich selbst lernen kann, wenn man sich auf die Geschichte einlässt. Es führt dazu, dass die Geschichte bei den Nutzern eher hängen bleibt, als wenn sie sie einfach nur lesen würden.“, berichtet Greg Barber, Leiter des Projekts Digitale Nachrichten bei der Washington Post, der auch an Strategien und Partnerschaften beim redaktionsübergreifenden The Coral Project arbeitet. Er meint:

Mehr Farben auf unserer Palette zu haben als nur Texte, Fotos und Videos, kann wirklich hilfreich sein, um eine bestimmte Geschichte zu erzählen.

Das Redaktionsteam der Washington Post erstellte die Infrastruktur hinter den Fragespielen, ebenso eine Reihe anderer Werkzeuge, die darauf abzielen, den Leser dazu zu bringen, mehr zu tun als nur zu lesen: Sie sind verantwortlich für spielähnliche Funktionen wie Diskutier-Bingo, Fantasie-Spiele und Oscar-Tipprunden, aber auch für Funktionen wie Notizen (früher bekannt als Wissenskarte).

Bis vor Kurzem wurde das Redaktionsteam für diese Art von Artikeln als „Spiele-Team“ tituliert, weil es eine Reihe von Quizfragen und ähnlichen interaktiven Funktionen entwickelt hatte, die als Teil der verlagseigenen Veröffentlichungsplattform Arc mit ihrer Lizensierung anderen Herausgebern angeboten wurden. Die Werkzeuge, die seitdem entwickelt wurden, sind auch als Teil des Arc-Pakets gedacht.

„Wir haben ‚Spiele‘ gemacht, aber es wurde klar, dass diese Bezeichnung nicht ganz das ausdrückt, was wir tun, und das war der Moment, an dem wir anfingen, nach anderen Namen zu suchen.“, sagt Alex Remington, der Produkt Manager, der dabei half, das Projekt ins Leben zu rufen. „Schon früh entwickelten wir eine Kreuzworträtsel-App und tauchten ein in diese besondere Welt.“, meint Jen Kastning, Leiterin des Softwareentwicklungsteams. „Dann erkannten wir, dass es in den Nachrichtenredaktionen einen großen Bedarf dafür gibt, neue Werkzeuge zu entwickeln, um Reportern zu helfen, ihre Geschichten zu erzählen. Und wir wollten unseren Endnutzern helfen, mehr zu interagieren, so dass sie einen Artikel nicht nur lesen, sondern ein Quiz machen, an einer Umfrage teilnehmen oder einen Lückentext ausfüllen konnten.“ Kastning führt eine Hand voll Entwickler in die neuen Büros der Washington Post.

Der Vorteil von interaktiven Features wie den Kreativspielen ist, dass Besucher dazu ermutigt werden, zur Webseite der Post zurückzukehren und über mehrere Runden zu wählen, um dann zu erfahren, wer zum Gewinner gekürt wurde. Wie das Team ermittelt, ob ein Tool sinnvoll war (und ob es entsprechend genutzt wurde), kann verschieden sein, aber es gibt einige simple Hinweise. Barber wies auf die diesjährigen „Beer Madness Bracket“-Spiele hin, die in der Endwahlrunde um die 16.000 Stimmen erreicht hatten (und mehr Stimmen als im Vorjahr). Dies gilt als Beispiel für eine erfolgreiche Eingliederung eines nicht traditionellem Erzählerwerkzeugs. Genauso überwacht das Team die Stimmen in einmaligen Umfragen – wie beispielsweise, als die Leser gefragt wurden, welches Rezept Dana Milbank nutzen soll, wenn er kocht und buchstäblich seine Kolumne über Trump verschlingt – und immer wieder den Traffic, den der Artikel generiert.

Deweys Handyapp-Persönlichkeitstest schloss damit, dass er Millionen von Besuchern anlockte, was das Team dazu zwang, zurückzukehren und Verbesserungen an der Architektur vorzunehmen („Eine große Reichweite zu haben war ein ziemliches Problem, aber es wurde klar, dass wir immer noch ziemlich ineffizient waren, als wir diese ausweiten wollten.“, sagte Remington). Das Team überprüfte diese Kombinationen auch, um Einblicke über Erfolge mit Reportern und Herausgebern zu teilen.

Wann ist der Bedarf der Nachrichtenredaktionen so groß, dass das Team ein wiederverwendbares Werkzeug entwickelt? Wann arbeitet das Team nur mit Graphikeditoren, um eine einmalige App zu errichten, die im Verlauf nicht aufrechterhalten werden muss? Ein interaktives Bingo-Spiel wirkt sich zum Beispiel erst einmal so, als könne man es eher selten einsetzen. Als Philip Bump ein Donald Trump-Grimassen-Bingo für The Fix zusammenstellte, frotzelte er: „Ein großes Lob an das Technikteam der Washington Post, die dieses Tool zusammengebaut haben, nur damit ich das Dümmstmögliche damit anstellen kann. Anfang letzten Herbstes wussten wir, dass uns eine unglaublich stressige Zeit der Diskussionen bevorstand. Es gab die Idee des Politik-Teams, dass es cool wäre, ein interaktives Bingo-Spiel zu haben. Alle paar Wochen, oder sogar noch öfter, würde es entweder eine Demokraten- oder Republikaner-Debatte geben, ganz zu schweigen von den Stadtversammlungen im Rathaus und ähnlichen Veranstaltungen. Also entschlossen wir uns dazu, das herauszubringen.

Das Team hatte ungefähr fünf Wochen vor der ersten Debatte im letzten Spätsommer, um das Tool betriebsfähig zu machen und um sicherzustellen, dass es auf dem Telefon funktionierte (man musste das Backend einrichten, das Frontend schreiben und designen, Links in die veröffentlichen Inhalte der Post errichten, sodass das eingebettete Werkzeug ordentlich angezeigt wurde). „Nachdem der Höhepunkt der Debatten erreicht war, ging die Nutzung des Tools stark zurück, aber wir hatten das schon erwartet und es ist okay. Das Bingo-Tool war eine interessante Schwelle. Wenn ein Tool überhaupt nur zwei Mal genutzt wird, haben wir unsere Zeit verschwendet. Wenn es aber zehn, zwölf Mal genutzt wird, vielleicht nicht“, so Barber.

Einen Nachrichtenredaktionspartner mit einem redaktionellen „Einführungsfall“ zu haben, ist problematisch. Barber führt aus:

Wir vermitteln Leute in der Nachrichtenredaktion, die uns beim Herausgeben helfen werden. Wir unterhalten uns in der Redaktion. Wir arbeiten möglicherweise mit mehreren Abteilungen zusammen, um sicherzugehen, dass wir kein Tool erstellen, das nur die Anforderungen einer Abteilung erfüllt, sondern etwas, das in der Nachrichtenredaktion auch weiterhin benutzt wird.

Und er geht auf die Nutzungsmöglichkeiten detaillierter ein: „Wir wollen etwas haben, wo unsere Journalisten einfach hineingehen und in ihre Geschichte integrieren können. Wir wollen, dass die ganze Organisation darüber nachdenkt, wie man einen Nutzer am besten dazu zu bringen kann, eine Geschichte zu verstehen und sich darauf einzulassen.“ Es gibt über Slack einen Kanal, in dem jeder um Hilfe bitten, Wünsche äußern und Anmerkungen einbringen darf. Das Team führt eine Programmerweiterung ein, um es für Reporter, die mit WordPress arbeiten, einfacher zu machen, das Werkzeug, das sie in ihrer Geschichte wollen, auszuwählen und zu integrieren.

Warum nicht vorgefertigte Werkzeuge von Dritten benutzen oder eine der vielen Angebote aus offenen Quellen da draußen optimieren? Während das Team seine „Augen danach offen hält, was woanders entwickelt wird, sodass wir einen breiten Überblick über das haben, was die Industrie tut und welche Technik bereits erhältlich ist,“ geht es oft schneller, seinen eigenen Code zu entwickeln und diesen zu individuell anzupassen. Das Überprüfungsteam, das politischen Forderungen eine gewisse Anzahl von „Pinocchios“ zuweist, basierend auf deren relative Wahrheit, wollte ein Werkzeug, dass es auch Lesern erlauben sollte, ihre eigenen Pinocchios zu verteilen. Das Artikelteam entwickelte ein Bewertungsfeature, der von dem selben Code wie das Umfragefeature angetrieben wurde, und probierte mit der Feature-Abteilung an anderen Anwendungen, wie Restaurant- und Showbewertung.

Das Artikelteam arbeitet außerdem eng mit der Grafik zusammen, welche sich einschaltet, um zu klären, ob sie das geforderte Feature allein entwickeln können, oder ob das Feature etwas ist, in das das Artikelteam involviert werden möchte (dieses Team hat ein Lesezeichen-Tool entwickelt, das Leser zurück zu längeren Geschichten geleitet hat). Die Ideen können auch vom Entwicklerbüro in New York City kommen. Die Wissenskarte hatte ihren Ursprung bei der Idee, wiederverwendbare Erklärungsschnipsel an bestimmten Worten und Phrasen in komplizierten Geschichten zu kreieren. Sie erschien erstmal im vergangenen Sommer und beinhaltete Artikel über Technikfirmen und die Herausforderung, mit ISIS umzugehen. Der New York Design Shop begann, mit Artikel-Tools zusammenzuarbeiten, um daran zu arbeiten, das Feature zu automatisieren (das Tool kehrte im Februar bei Berichterstattungen über Zika in der Washington Post zurück).

Andere Features befinden sich in Vorbereitung, einschließlich eines Flussdiagramm-Tools. „Wir versuchen herauszufinden, wie man das die Administratorenseite strukturieren kann,“, sagt Kastning. „Wenn Leute ein Flussdiagramm erstellen wollen, müssen sie mit einer vorgefertigten Idee in das Tool gehen, wie sie die Geschichte illustrieren wollen: Ist es besser, dies über anklickbare Schritte laufen zu lassen oder sollte es spielerischer sein?“ Kastning fasst zusammen: „Wir hatten unterschiedliche Herangehensweisen, was es hieß, ‘Spiele zu entwickeln’. Aber das sind immer noch Werkzeuge für Geschichten! Alles, was wir entwickeln, ist nur eine neue Möglichkeit für Journalisten, Geschichten zu erzählen.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf “Nieman Journalism Lab” unter CC BY-NC-SA 3.0 US. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „Washington, DC, June 2011: The Washington Post“ by Daniel X. O’Neil (CC BY 2.0)


ist Redakteurin des NiemanLab. Vorher arbeitete sie in der Redaktion der Harvard University Press und berichtete für Boston.com und das New England Center for Investigative Reporting.


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