Vuze XR im Test: 2-in-1-Kamera für 360 Grad und 180 Grad ausprobiert

Der Hype um 360-Grad-Kameras ist längst nicht mehr so stark wie vor drei Jahren, weil Virtual Reality als Medium noch immer im Dornröschenschlaf döst. Kamera-Hersteller Humaneyes will durch eine 2-in-1-Lösung im mittelpreisigen Bereich neue Kaufanreize setzen. Das Modell Vuze XR kombiniert einen 360-Grad-Blick in 2D mit einem 180-Grad-Panorama in stereoskopischen 3D. Zum Wechsel wird das Objektiv-Duo einfach per Knopfdruck auf- und zugeklappt. Auf diese Weise entstehen Fotos mit bis zu 18 MP und Videos in maximal 5,7K bei 30 fps. Während der Photokina 2018 und CES 2019 sorgte dieses Konzept für großes Aufsehen. Jetzt konnten wir ein fertiges Exemplar der 440 Euro teuren Kamera in der Praxis ausprobieren. So schneidet die Vuze XR im Test ab.

Design und Technik: Das bietet die Vuze XR

In puncto Design nähert sich Humaneyes dem Mainstream an. Nach der Vuze VR im sperrigen Look eines mobilen CD-Players, handelt es sich bei der Vuze XR um eine Stab-Kamera mit ausladendem Objektiv-Kopf, die gut in der Hand liegt. Das Bedienkonzept ist schlicht gehalten: Am Kameragehäuse befindet sich jeweils ein Knopf für An/Aus, WLAN-Verbindung, Klappmechanismus und fürs Auslösen. Das war‘s.

Die glatte Kunststoffoberfläche des Rumpfs wirkt massiv und hochwertig, mutet nicht so nach günstigem Plastik an wie noch bei der Vuze VR. Mit 212 Gramm wiegt das XR-Modell zum Teil erheblich mehr als vergleichbare Modelle. Das gilt zum einen für den jetzt erschienenen direkten Konkurrenten Insta360 EVO (113 Gramm), eine Kamera, die ebenfalls einen Klappmechanismus für 360- und 180-Grad-Bilder verwendet. Aber klassische Stab-Kameras von von Ricoh (Theta V: 121 Gramm, Theta Z: 182 Gramm) und Insta360 (One X: 114 Gramm) sind viel leichter. In dieser Hinsicht machen sich die robuste Bauweise und die aufwendigere Konstruktion bemerkbar.

Der Klappmechanismus des Objektiv-Duos erscheint uns so vertrauenswürdig, als könnte er lange durchhalten. Allerdings sind die nach außen gewölbten Fisheye-Linsen unbedingt zu schützen. Gut, dass eine Transporttasche zum Lieferumfang gehört.

Beim Innenleben bleibt Humaneyes konservativ. Denn hinter den zwei 210-Grad-Fischaugen mit Blende F2.4 stecken zwei kleine 12-MP-Sensoren von Sony im 1/2.3-Zoll-Format – ähnlich, wie in anderen Consumer-Kameras auch. Für das Rauschverhalten wären 1-Zoll-Sensoren wie in der neuen Ricoh Theta Z besser gewesen. Dieses Modell ist aber auch mehr als doppelt so teuer wie das von Humaneyes.

Die Vuze XR kommt ohne einen internen Speicher aus, daher ist eine Micro-SD-Karte zwingend notwendig. Sie akzeptiert schnelle Karten vom Typ UHS-II (U3). Nicht unüblich für diesen kompakten Formfaktor, fällt der Akku mit 1.200 mAh eher klein aus. Er hält laut Hersteller eine Einsatzstunde bis zum nächsten Aufladen durch, was unseren Erfahrungen nach hinkommt. Für ein längeres Shooting ist es also empfehlenswert, eine Powerbank dabei zu haben. Aufladen lässt sich der Akku mit zeitgemäßem USB-C-Kabel (USB 3.0).

Aufnahmen mit der Vuze XR im Test: App endlich mit Sichtkontrolle

Theoretisch ließe sich mit der Vuze XR im Test einfach drauflos fotografieren und filmen. Weil sie über kein Display für Aufnahmeparameter verfügt, ist aber das Fernauslösen per Smartphone-App für iOS und Android die sinnvollere Wahl. Im Gegensatz zu Modellen wie Samsung Gear 360 oder Insta360 nano arbeitet die Vuze XR nicht nur mit ausgewählten Smartphones zusammen.

Anders als bei der Vuze VR zum Start liefert die App der Vuze XR direkt eine Live-Vorschau in 360 Grad bzw. 180 Grad. Das erleichtert die Perspektivkontrolle vor der Foto-Aufnahme und während der Video-Aufnahme deutlich. Ausnahme: Ist die Standard-Auflösung von 5,7K aktiv, verweigert die App eine Live-Vorschau. Wenn wir sie auf 4K herunterschrauben, funktioniert sie aber.

Die Verbindung zwischen Kamera und Smartphone erfolgt via WLAN (2,4 Ghz und 5 Ghz). Bei iPhones ist dann kein Zugriff aufs Internet möglich, weil die mobilen Daten per LTE deaktiviert sind. Anders verhält es sich bei Android. Unterstützt ein Smartphone Wi-Fi Direct, sind simultan Verbindungen zur Kamera und zum Internet möglich. Zwar arbeitet die die Vuze XR im Test mit beiden mobilen Betriebssystemen insgesamt einwandfrei zusammen. Doch der Aufbau einer WLAN-Verbindung lässt sich bei Android einfacher einrichten als bei iOS.

Ist die Kamera aufnahmebereit, haben wir die Wahl zwischen einem 360-Grad-Blick mit üblicher zweidimensionaler Darstellung oder einem 180-Grad-Panorama, das eine 3D-Tiefenwirkung erzeugt. Die Entscheidung treffen wir mit dem Knopf für den Klappmechanismus. Drücken wir ihn, schwingen die Objektive auf und positionieren sich parallel zu einer Himmelsrichtung hin. Das ist ideal, wenn eine Szene frontal aber mit großem Blickwinkel abzubilden ist. Wer einen Ort so spannend findet, dass er ihn in Rundumsicht zeigen möchte, lässt die Objektive geschlossen.

Ob Foto, Video oder Live-Streaming – den Betriebsmodus wiederum ändern wir nicht am Kameragehäuse, sondern in der App. Die Belichtung nimmt die Software vollautomatisch vor. Vor oder während der Aufnahme ändern können wir sie nicht.

Gute Bildqualität, kaum Unterschiede zwischen 2D und 3D

Praktisch: Das Stitching erledigt die Vuze XR im Test von selbst. Sie fügt die Einzelaufnahmen beider Objektive also automatisch zu einer Datei zusammen. Daher können wir die Bilder sofort in der Smartphone-App betrachten, wahlweise auch mit geteiltem Bildschirm in der Ansicht für Virtual-Reality-Brillen.

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Die Vuze XR bietet für diese Produktkategorie eine gute Bildqualität. So sind die Stitching-Übergänge nahtlos, wir können keine Schnittkanten erkennen. Überwiegend gelingt der Kamera eine korrekte Belichtung. Sie gibt das Geschehen also recht natürlich wieder und bewahrt in Schatten und hellen Partien viel Struktur. Nur bei starkem Sonnenlicht reicht der Dynamikumfang nicht, sodass die Kamera sehr helle Bildbereiche wie den Himmel teilweise überbelichtet. Das haben andere Modelle aber auch nicht perfekt im Griff. Farbsäume an starken Kontrastkanten sind kein Thema.

Welchen Unterschied macht nun eigentlich 3D bei 180 Grad im Vergleich zu 2D mit 360 Grad? Mal abgesehen von dem kleineren Bildwinkel bietet die 3D-Darstellung auf einem Smartphone-Display – mit oder ohne VR-Brille – sichtbar mehr Tiefenwirkung. Der Vordergrund hebt sich deutlich besser vom Hintergrund ab. Wunder sind allerdings nicht zu erwarten. Denn der Effekt ist keinesfalls so krass wie bei einem Hollywoodfilm mit klar abgegrenzten Schärfeebenen. So eine deutliche Staffelung der Schärfe lassen aber auch allein die ultraweitwinklige Optik und die kleinen Sensoren schon nicht zu.

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Bearbeiten am Smartphone oder Computer

Weil wir die Belichtung vor und während der Aufnahme nicht verändern können, ist eine Möglichkeit zur Nachbearbeitung begrüßenswert. Das geht sowohl in der Smartphone-App als auch im Vuze VR Studio für PC und Mac. Der Funktionsumfang ist aber auf allen Plattformen gering.

In der App können wir nachträglich in Helligkeit, Kontrast und Farbtemperatur eingreifen. Weil die Aufnahmen aber nicht in RAW vorliegen, sondern schon stark komprimiert ist, besteht nur ein begrenzter Spielraum. Filter und Effekte lassen sich ebenfalls anwenden. Videos können wir außerdem trimmen, croppen und stabilisieren. Im Unterschied zur Android-Version (v1.2.3912) ermöglicht die iOS-App (v1.2.2.370) zudem die Sichtachse zur besseren Zuschauerführung individuell zu zentrieren.

Aufs Handy lassen sich übrigens von der Vuze XR im Test nur Fotos und Videos in 4K bei 30 fps zur Bearbeitung herunterladen. Hingegen bei Videos in 5,7K oder 4K bei 60 fps verweigert die App den Download. Die beiden besten Video-Qualitäten lassen sich also nicht unterwegs, sondern nur am Computer feinschleifen oder teilen. Was gar nicht geht, sind Little-Planet-Effekte oder Virtual Stickers einzufügen – obwohl Humaneyes diese Features auf der Produktseite anpreist. Hier muss der Hersteller dringend nachliefern, denn bei der Konkurrenz sind diese Möglichkeiten Standard.

Vuze VR Studio mit Vuze XR
Mit der kostenlosen Software Vuze VR Studio lassen sich Bilder der Vuze XR am PC und Mac bearbeiten. Image by Berti Kolbow-Lehradt

In der Computer-Software Vuze VR Studio können wir per Zugriff auf die Speicherkarte erwartungsgemäß alle Aufnahmeformate direkt bearbeiten. Der Look lässt sich in der von uns ausprobierten Mac-Version (v3.1.5960) etwas gezielter tunen als in der Smartphone-App. Per Regler können wir in Belichtung, Spitzlichter, Schatten, Farbtemperatur und Sättigung eingreifen. Wegen der starken Komprimierung gelingt dies aber ebenfalls nur im begrenzten Umfang. Natürlich lassen sich Videos auch hier stabilisieren und zentrieren.

Hosting von 3D-Aufnahmen erfordert kostenpflichtiges Plattform-Abo

Sind die Aufnahmen vorzeigefähig, teilen wir sie in der App über die üblichen Plattformen, zum Beispiel Facebook und YouTube. Am Computer bietet die Software keine integrierte Sharing-Funktion. Stattdessen lassen sich die Dateien dort für das jeweilige Ziel optimiert rendern und dann von Hand hochladen.

Dabei fällt auf: In 3D sind die Aufnahmen der Vuze XR im Test für keine populäre Plattform optimierbar. Als standardisierte Lösung bietet der Hersteller nur den eigenen Hosting-Service Humaneyes Zone an. Dieser ist aber nach einer 30-tägigen Testphase kostenpflichtig und schlägt mit monatlich 10 Euro für jede erstellte Website zu Buche. Das macht die 3D-Funktion als Verkaufsargument für die Vuze XR ein Stück weit unattraktiver.

Fazit: Tolle VR-Kamera mit Software, die noch reifen muss

Mit der 360-Grad-Kamera Vuze XR positioniert sich Humaneyes erneut in der Nische, gestaltet aber vieles anwenderfreundlicher als bei der Vuze VR. Nicht nur, weil das neue Modell handlicher und günstiger ist, spricht es einen größeren Käuferkreis an. Auch die App bietet endlich eine standesgemäße Live-Vorschau für eine Sichtkontrolle. Mit der 180-Grad-Funktion per Tastendruck ermöglicht die Vuze XR außerdem eine alltagstaugliche Aufnahmefunktion für Motive, die für eine Rundumansicht nicht genug zu erzählen haben, für eine sehr breite Panoramaansicht aber schon. Dabei sind die Verarbeitungs- und Bildqualität für den Preis von 440 Euro auf angemessen hohem Niveau. In diesem Sinne ist die Vuze XR ein starkes Stück VR-Kameratechnik.

Doch warum verpatzt Hersteller Humaneyes diesen guten Eindruck, indem er gängige Funktionen wie den Little-Planet-Effekt erst noch nachliefern muss, obwohl er ihn bereits bewirbt? Zudem bleibt der hervorgehobene 3D-Effekt etwas auf der Strecke, weil er sich im Web nur auf einem kostenpflichtigen Dienst von Humaneyes hosten lässt. Das macht dieses Feature für Mainstream-Käufer uninteressant.

Für „Creators“ mit gewissem Budget ist die Vuze XR hingegen eine attraktive Alternative zu bisherigen Modellen von Ricoh und Insta360. Manche von ihnen dürfte allerdings ärgern, dass sich Aufnahmen statt mit manueller Belichtungskorrektur nur per Vollautomatik erstellen lassen und keine Live-Vorschau in 4K bei 60 fps oder besser möglich ist. Immerhin hat Humaneyes die Chance, durch Software-Updates die Vuze XR noch reifen zu lassen. Für zusätzlichen Ansporn dürfte die gerade erschienene Insta360 EVO sorgen, die für einen ähnlichen Ansatz wie die Vuze XR steht, aber schon mehr Produkterfahrung des Herstellers vereint.

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Images by Berti Kolbow-Lehradt

ist Freier Technikjournalist. Für die Netzpiloten befasst er sich mit vielen Aspekten rund ums Digitale. Dazu gehören das Smart Home, die Fotografie, Smartphones, die Apple-Welt sowie weitere Bereiche der Consumer Electronics und IT. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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