„Die Vorratsdatenspeicherung darf nicht erlaubt werden!“

Im Interview spricht die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über die Pläne von Heiko Maas für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung und kommentiert die aktuelle Kritik am Bundesverfassungsgericht.

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Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat Mitte April seine Pläne zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung präsentiert. Die Neuregelung verspricht eine Vorratsdatenspeicherung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgericht und des Europäischen Gerichtshof. Ob das überhaupt möglich ist, hat Netzpiloten-Projektleiter Tobias Schwarz die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Interview gefragt.

Tobias Schwarz: Guten Tag Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wir treffen uns heute für dieses Interview, da ich mich gerne mit Ihnen über die Vorratsdatenspeicherung unterhalten würde. Der aktuelle Bundesjustizminister Heiko Maas hat Mitte April ein Papier mit Leitlinien zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vorgelegt. Worum handelt es sich bei diesem Entwurf?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es geht bei diesen Eckpunkten natürlich um die anlasslose Speicherung von ganz bestimmten Telekommunikationsdaten. Also den Daten die entstehen, wenn man telefoniert oder SMS verschickt.

TS: Aber ist das Speichern von Verbindungsdaten eines Smartphones, also zum Beispiel welche Verbindungen eingehen, mein Standort oder meine Email-Kontakte, nicht eigentlich eine schon fast zu akzeptierende Formalität in der Kommunikation? In einem Rechtsstaat sollte ich ja eigentlich davon ausgehen, dass es nicht gleich zum Missbrauch kommt, nur weil der Staat diese Meta-Daten speichert.

SLS: Der Ausgangspunkt der gesamten Debatte zur Speicherung dieser Daten ist ja nicht, ob es zu Missbrauch kommt, sondern warum erfasse ich das Telekommunkationsverhalten aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland? Die sind ja nicht alle verdächtig und die sind nicht alle schon möglicherweise potentielle Terroristen. Genau das ist der berechtigte Streitpunkt. Diese Daten sind übrigens auch sehr sensibel, denn wenn man Standortdaten hat, zum Beispiel aus den Funkzellen heraus, dann kann ich genau feststellen, wo sich jemand aufgehalten hat, ohne das derjenige im Fokus von Ermittlungen ist. Ich bin der Meinung, das ist etwas, was auf keinen Fall in dieser Form erlaubt werden darf.

TS: Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung argumentieren, dass durch die Speicherpflicht, Straftaten auch besser nach der Tat aufgeklärt werden könnten. Vor allem im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, aber auch gegen den Terrorismus. Angeblich haben wir diesen Gesetzesentwurf ja auch, da sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel im Nachhinein nicht den Vorwurf gefallen lassen möchte, für zu wenig Sicherheit gesorgt zu haben. Wie würden Sie ohne Vorratsdatenspeicherung diese Sicherheit garantieren wollen?

SLS: Zunächst einmal gibt es eben überhaupt gar keine Belege und Tatsachenuntersuchungen, die diese Behauptung rechtfertigen und stützen, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung jetzt zu deutlich verbesserter Aufklärung von Straftaten führt. Außerdem, muss jede Ermittlungsmaßnahme der Polizei und anderer Sicherheitsdienste, ja immer daran gemessen werden, was sie auf der einen Seite bringt und wie tief man in die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger eingreift. Wenn dieses Verhältnis nicht stimmt, dann ist eben eine Maßnahme nicht mit unseren Vorstellungen, auch des Schutzes von Privatsphäre von Datenschutz, vereinbar. Kernpunkt aber ist, dass eben diese Maßnahme nun gerade der entscheidende Beitrag zur Aufklärung sein soll. Das trifft nicht zu, dass ist nicht bewiesen und auch der Parteivorsitzende der Sozialdemokraten kann das mit nichts belegen.

TS: Trotz dieses Eingriffs, wie Sie ihn beschreiben, speichern die meisten Dienste, die ich wahrscheinlich heute nutze, viel mehr Daten als es der Entwurf von Heiko Maas vorsieht. Wie bewerten sie diese Ungleichheit im Datensammeln von privaten Unternehmen und staatlichen Ermittlungsbehörden?

SLS: Ich bin der festen Überzeugung, dass man das nicht gegeneinander ausspielen kann. Der Staat muss sich in seinem Verhalten an dem messen, was Grundlage unserer Verfassung ist, sprich Grundrechtsschutz, aber auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht. Eben das ich nicht etwas machen darf, was die einzelnen Bürgerinnen und Bürger über Gebühr belastet. Das was Unternehmen an Daten speichern, ist natürlich auch in vielen Punkten sehr kritikwürdig. Gerade was global agierende Konzerne an Daten speichern, an Profilbildung von Bürgerinnen und Bürgern anlegen. Deshalb muss es eingeschränkt werden und deswegen bedarf es dazu auch dringend europäischer Standards.

TS: Vor fünf Jahren hat das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt. Letztes Jahr hat der europäische Gerichtshof dann die Richtlinie, die Grundlage für die Vorratsdatenspeicherung, aufgehoben. Ist der Entwurf von Heiko Maas eigentlich am Ende das Papier wert auf dem er veröffentlicht wurde?

SLS: Es sind jetzt erste Eckpunkte, diese machen aber eine klare Linie deutlich. Man hält an der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von früher fest, verändert aber ein bisschen was an den Fristen. Es ist noch kein Gesetzentwurf, aber Kernaussage gerade des Gerichtshof der EU ist ja, dass nicht mehr unbeschränkt alle Personen erfasst werden sollen, sondern nur beschränkte Personenkreise. Deshalb muss sich das Papier daran messen lassen und daran gibt es berechtigt jetzt schon massive Kritik.

TS: Sie selber haben damals zusammen mit Burkhard Hirsch und Gerhart Baum die Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung der damaligen Großen Koalition gestartet, genau wie schon im Frühjahr 1998 gegen den sogenannten Großen Lauschangriff. Tun Sie drei sich auch dieses Jahr wieder zusammen, um die jetzt Höchstspeicherfrist genannte Vorratsdatenspeicherung zu stoppen?

SLS: Wir haben ja zusammen mit 35.000 Bürgerinnen und Bürger geklagt, aber natürlich sind gerade wir drei da sehr wachsam. Wir klagen nicht gegen ein Eckpunktepapier, aber wir werden ganz genau beobachten, wie am Ende das Gesetzgebungsverfahren abläuft. Falls es dann berechtigte Bedenken gibt, dass möglicherweise die Bundesverfassungsgericht-Entscheidung nicht beachtet wird oder die des Europäischen Gerichtshof, dann werden wir natürlich alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, dagegen vorzugehen. Bis dahin aber sollte das Parlament hoffentlich seiner Aufgabe gerecht werden und alles was verfassungsrechtlich bedenklich ist berücksichtigen und damit den Gesetzentwurf scheitern lassen.

TS: Sie waren über 23 Jahre im Bundestag. Was vermuten Sie, werden wir bei diesem Gesetzgebungsprozess erleben? Wird die Union noch versuchen Verschärfungen einzubauen oder wird Heiko Maas versuchen noch mehr Kompromisse unterzubekommen?

SLS: Das ist wie gesagt ein erstes Eckpunkte-Papier, um die politische Diskussion zu eröffnen, denn das Thema ist ja in der Gesellschaft sehr umstritten. Natürlich wird das so nicht Gesetzentwurf. Da wird es, wenn man nach der Ausgestaltung dieser paar Sätze geht, noch zu ganz großen Problemen kommen. Natürlich möchte die CDU/CSU viel, viel mehr. Den reichen schon die Speicherfristen nicht, die wollten immer sechs Monate und mindestens drei Monate. Die Beschränkung der Daten wird bestimmt kritisiert werden.

Ich glaube aber auch, dass man klar sehen muss, dass manches vielleicht so wie es geschrieben ist, auch nicht gut ist. Der Schutz der Berufsgeheimnisträger ist nämlich komplett unzureichend, wie er in den Eckpunkten festgehalten ist und die Benachrichtigung, vor einem Abruf der Daten an alle die Betroffen sind, wird mit Sicherheit nie im Gesetzentwurf stehen. Ansonsten müsste ich theoretisch einem Kämpfer der IS eine Postzustellungsurkunde schicken, dass man jetzt die Daten abruft. Das wird also so nicht Gesetzentwurf werden können, weil die einen mehr wollen und die anderen sehen, dass sie vielleicht mit Blick auf die Verfassung viel weniger noch machen müssten.

TS: Grundsätzlich hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass das Sammeln von Daten nicht unmöglich ist, trotz unserer Verfassung. Glauben Sie, dass es eine anlassbezogene und verhältnismäßige Vorratsdatenspeicherung geben kann, die nicht gleich vor Gerichten gestoppt werden könnte?

SLS: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht grundsätzlich jede anlasslose Speicherung für verfassungswidrig erklärt, das ist richtig. Aber sie haben sehr enge Vorgaben gemacht, auch bezüglich der Verantwortlichkeit für die Sicherheit der Daten, wenn sie denn in einem bestimmten Rahmen gespeichert werden sollten. Sie haben strikt Profilbildung für nicht vereinbar mit der Verfassung erklärt. Da muss man dann auch wirklich noch sehen, ob das in einem möglichen Gesetzgebungsverfahren so bleiben würde. Außerdem haben sie, gerade was auch Personenkreise und Berufsgeheimnisträger angeht, sehr enge Vorgaben gemacht. Auch an Benachrichtigungspflichten. Da wartet also noch eine Riesenarbeit, denn mit diesem Eckpunkte-Papier, wird man nicht dem Bundesverfassungsgerichtsurteil in seinen strikten Anforderungen gerecht.

TS: Eine Frage habe ich für mein persönliches Politikverständnis. Sie selbst sind 1996 aus Überzeugung als Bundesjustizministerin zurückgetreten, aufgrund der Debatte um den Großen Lauschangriff. Gegen Ursula von der Leyens Internetsperren haben sie damals koalitionsintern Widerstand geleistet und in der letzten Legislaturperiode haben Sie einen geforderten Entwurf für eine Vorratsdatenspeicherung „verschleppt“. Wie schafft es Heiko Maas jetzt eigentlich ein Papier vorzulegen, gegen das er eigentlich immer inhaltlich argumentiert hat, es nun aber trotzdem als seine eigene Arbeit zu verkaufen? Wie macht man das als ein Bundesminister?

SLS: Das ist eine ganz schwierige Situation. Ich habe ja auch selbst immer schwierige Debatten mit dem Koalitionspartner geführt. Teilweise natürlich auch mit meiner eigenen Partei, zum Beispiel bei dem sogenannten Großen Lauschangriff. Für mich ist dadurch eines ganz klar geworden, auch durch meine Erfahrung: Man gewinnt nur letztendlich ein Profil, was für die Bürgerinnen und Bürger auch verständlich und wahrnehmbar ist, wenn man bei den Grundlinien seiner Prinzipien und Werteeinstellungen bleibt. Auch wenn man gewisse Kompromisse als Politikerin immer eingehen muss, müssen doch so Grundkoordinaten bleiben, damit die Bürger sich darauf verlassen können. Ich glaube, dass das für Herrn Maas jetzt schwierig wird und das zeigt auch die öffentliche Berichterstattung, weil er eben jetzt das Gegenteil von dem vertreten muss, auf Anweisungen des Parteivorsitzenden der SPD, als es eigentlich seiner eigentlichen Überzeugung entspricht.

TS: Kommen wir vielleicht nochmal zum zukünftigen Schlachtfeld Bundesverfassungsgericht zurück. Als ehemalige Bundesjustizministerin und auch erfolgreiche Klägerin vorm Bundesverfassungsgericht, wie schätzen Sie diese Institution ein, die zuletzt sehr in der Kritik stand? Ist die Politik verantwortlich für das Image als Unruhestifter oder haben die Richter doch einen zu hohen politischen Gestaltungsanspruch?

SLS: Das Bundesverfassungsgericht ist die am meisten geschätzte Institution in Deutschland und zwar von Seiten der Bürgerinnen und Bürger her. Das Bundesverfassungsgericht nimmt seine Aufgabe war, nämlich die Grundwerte unserer Verfassung, auch mit Blick auf Gesetzgebung und auch gegenüber dem demokratischen legitimierten Gesetzgeber durchzusetzen. Das ist in anderen Ländern nicht so bekannt, in Großbritannien zum Beispiel gibt es so ein Gericht nicht. Das macht das Bundesverfassungsgericht. Da kommen dann natürlich auch Entscheidungen, die vielen nicht passen. Ich erinnere an die Kruzifix-Entscheidung. Da haben die katholische Kirche zusammen mit Spitzenpolitikern aus Kreisen der Union gegen das Bundesverfassungsgericht demonstriert. Aber das war ihre Aufgabe, diese Entscheidung mit Ihren Argumenten zu treffen.

Ich darf natürlich auch Entscheidungen von Seiten der Politik aus kritisieren. Aber was in meinen Augen nicht geht, ist dem Bundesverfassungsgericht vorzuwerfen, sie würden ihre Möglichkeiten und ihre Aufgabe über dehnen, verletzen und selbst Politik machen. Die Politik muss die Verfassung beachten und zwar so, dass das Bundesverfassungsgericht wenig zu tun hat. Diese Kritik finde ich im Kern nicht berechtigt.

TS: Vielen Dank für das Interview.


Teaser & Image „Sabine Leutheusser-Schnarrenberger“ (adapted) by Mirko Lux/Netzpiloten (CC BY 4.0)


ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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