Videokolumne: Über Märchen, Theater und (wiedermal) Arcade Fire

In der Videokolumne geht es heute um einen ganzen Tag Märchen auf 3Sat, das Theatertreffen in Berlin und Shakespeare. Arcade Fire ist nur kurz zu sehen.// von Hannes Richter

Rotkäppchen (Bild: Felix Holland, via Hessischer Rundfunk) 

Wenn alle Folgen einer Serie am Stück geschaut werden, nennt man das Binge-Watching. In bester Tradition also zeigte 3Sat am letzten Samstag den ganzen Tag Märchenfilme. Das Theatertreffen in Berlin eröffnete zur selben Zeit mit Zement, einer beeindruckenden Inszenierung des Residenztheaters in München. Regisseur und Theaterlegende Demeter Gotscheff verstarb ein halbes Jahr nach der Premiere und wird auf dem Theatertreffen besonders geehrt. William Shakespeare wäre dieser Tage 450 Jahre alt geworden. Ein guter Zeitpunkt, sich genauer mit seinem Werk zu befassen. Der sympathische Literatur-Erkläronkel des Bayerischen Rundfunks, Tilmann Spengler, macht das für uns.


THEATERTREFFEN 2014: Zement von Heiner Müller

AUS DER MEDIATHEK – 3Sat +++ Sendung vom 2. Mai (und weitere):
Das Berliner Theatertreffen begann eigentlich schon mit seinem Höhepunkt. Das lässt sich so nüchtern feststellen, weil bei einer Auswahl der zehn besten Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum eigentlich jeder Tag ein kleines Highlight war und noch sein wird – es ist erst der dritte Tag der fast den ganzen Mai andauernden wichtigsten Werkschau der hiesigen Szene. Und weil Zement von Heiner Müller in vielerlei Hinsicht ein besonderes Ereignis dieses Theatertreffens ist. Dimiter Gotscheff war einer der ganz großen Regisseure und mit seinen Stücken auch oft gesehener Gast in Berlin, fünfmal wurde er bereits zum Theatertreffen eingeladen. Wie die Macher bereits zu Beginn ihrer Presseerklärung zum 2014er Jahrgang feststellen, wird es diesmal das letzte Mal sein. Der bulgarische Regisseur, der sich bei Reisen in die DDR bereits mit dem genialen Dramatiker Heiner Müller angefreundet hat und 1985 in die Bundesrepublik übersiedelte, starb im letzten Jahr überraschend. Mit seiner letzten Inszenierung für das Münchner Residenztheater gelang ihm nochmal der ganz große Wurf, zumindest der einhelligen Meinung der Kritik nach.
Die Unmittelbarkeit seiner Stücke, ihre politische Kraft und Gnadenlosigkeit hatten Heiner Müller in der DDR immer anecken lassen. Doch ganz auf ihn verzichten konnte man nicht; zu einflussreich waren seine Fürsprecher, wie die langjährige Intendantin des Berliner Ensembles Ruth Berghaus, zu bedeutend war sein Werk für den Zeitgeist der DDR und zu groß sein Name im Ausland. Und einfach so gehen, wie so viele andere, wollte der unbequeme Künstler auch nicht. Aus dieser ständigen Reibung mit dem System entstanden große Werke der deutschen Theatergeschichte und kaum ein Regisseur hat es geschafft, die Energie dieser Texte so auf die Bühne zu bringen wie Ditimer Gotscheff. Zement ist seine letzte Inszenierung gewesen.

Als Partner des Theatertreffens berichtet 3Sat ausführlich über das Programm, sendet viele Interviews und Hintergründe zu den Inszenierungen. Mit diesem Rahmenprogramm gelingt dem, im besten Sinne, Kultur-Sender jedes Jahr eine besondere mediale Begleitung für eine Kunstform, die eigentlich vom Live-Erlebnis lebt. Dazu gehören auch die drei Inszenierungen in voller Länge, die 3Sat in jedem Jahr ausstrahlt. Zement machte am letzten Samstag den Anfang. Und dazu noch ein kleiner Tipp für alle Berliner:


GENIE ERKLÄRT: Shakepeare bei Klassiker der Weltliteratur

AUS DER MEDIATHEK – BR +++ Sendung vom 18. April (und weitere):
Dass ein Dichter 450 Jahre nachdem er das Licht der Welt erblickte noch zu den am meisten aufgeführten Dramatikern gehört, ist einzigartig. Ob Thomas Ostermeier an der Berliner Schaubühne oder Oscar-Preisträger Sam Mendes (in den Kategorien Beste Regie und Bester Film für American Beauty im Jahr 2000) mit seinem King Lea am National Theatre in London, irgendwann stolpern die meisten großen Theatermacher und Regisseure über den wohl weltweit populärsten Schriftsteller. Dabei sind die Motive aus den Werken Shakespeares einer viel breiteren Öffentlichkeit bekannt, als in die Häuser mit den gefeierten großen Inszenierungen passen. Nicht nur wegen vielen Verfilmungen kennt jeder Romeo & Julia. In der Schule schon durchgekaut (besonders im englischsprachigen Raum, von dem wohl der größte kulturelle Einfluss ausgeht) musste wohl jeder schonmal eine Klausur oder gar Schulaufführung über sich ergehen lassen. Dass sich William Shakespeares Dramen so tief in das Gedächtnis der Weltliteratur eingegraben haben, liegt auch an seinen für die damalige Zeit einzigartigen Fähigkeiten der Selbstvermarktung. Andere Gründe erklärt der Literaturkenner Tilmann Spengler in seiner Sendung Klassiker der Weltliteratur.
Das intellektuelle Multitalent (als bekannter Sinologe ist er ein gefragter China-Experte, außerdem war er Feuilletonchef der Zeitung Die Woche und ist Politikwissenschsfter) hat mit seinem Bestseller Lenins Hirn schon 1991 bewiesen, dass es ihm sehr gut gelingt, Anspruch und anschauliche, unterhaltende Erzählweise zu verbinden. Seine Sendung Klassiker der Weltliteratur auf BR alpha wirkt ein bisschen aus der Zeit gefallen: ohne Einspieler und Firlefanz redet Tilman Spengler, vor einer großen Bücherwand stehend, über Dichter und Denker und ihre Werke. Die Lehrstunde wird dabei selten langweilig, weil Spengler eine angenehme Sprache spricht und immer wieder aus den biografischen Fakten der Autoren spannende Rückschlüsse auf ihr Werk zieht oder die Bücher gekonnt in den historischen Rahmen einbettet. So macht er es auch bei William Shakespeare. Aus Anlass seines 450. Geburtstages erklärt Tilman Spengler in zwei Ausgaben (über Tragödien und Komödien) die Faszination die vom Werk des Weltdichters ausgeht.


BINGE-WATCHING MAL ANDERS: Märchentag bei 3Sat

AUS DER MEDIATHEK – 3Sat +++ Sendungen vom 3. Mai:
Binge-Watching ist ja groß in Mode. Die früher nur von Treckies und anderen eingefleischten Fans amerikanischer TV-Serien zelebrierte Form des Fernsehkonsums ist im Mainstream angekommen, spätestens seit bei House of Cards zum ersten Mal alle Folgen einer Serie auf einmal veröffentlicht wurden. Binge heißt so etwas wie Gelage, also Binge-Drinking wäre ein Besäufnis, womit wohl klar sein dürfte, was mit Binge-Watching gemeint ist. Eine besondere Form des Binge-Watching hat 3Sat an diesem Sonntag im Programm. Schon seit 6 Uhr morgens läuft ein Märchenfilm nach dem anderen im schon oft lobend erwähnten Kultursender. Der letzte Film beginnt um 00:15. Die alle etwa eine Stunde dauernden Filme stammen aus der Reihe 6 auf einem Streich, in der seit 2010 jährlich sechs Märchen von ARD-Anstalten produziert werden. Immer gehört zu den manchmal ein bisschen zu sehr in Daily-Soap-Soap-Optik abgleitenden, aber liebevoll aufbereiteten Filmen auch ein bekannter deutscher Schauspieler oder eine Schauspielerin. Edgar Segle und Meret Becker waren schon mit dabei und Kostja Ullmann gab einen schneidiges tapferes Schneiderlein während Marianne Sägebrecht als Frau Holle eine Paraderolle hinlegte. Wie üblich finden sich auf der Webseite von 3Sat auch wieder jede Menge zusätzliche Informationen zum Programm. Das kann dann (wie die Märchen schon selbst) auch für Erwachsene ganz interessant sein. Dass die Gebrüder Grimm ihre Märchen eigentlich nur aufgeschrieben haben, weiß jeder. Viele davon stammen aber anders als deutschtümelnd oft bemerkt wird nicht aus uralten Überlieferungen hessischer Bauernfamilien, sondern eher aus dem französischen Raum. Ein Großteil der Grimm’schen Märchen hat seinen Ursprung nämlich in den Erzählungen einer befreundeten Familie der Gebrüder, den Hassenpflugs, die als geflohene Hugenotten viele Überlieferungen aus ihrer Heimat mitbrachten. So wurde Rotkäppchen bereits 1695 von dem französischen Schriftsteller Charles Perrault aufgeschrieben, der seinerseits bäuerliche Sagen-Motive verarbeitete. Zum Begleitprogramm auf 3Sat gehört auch der lehrreiche Text über Märchen als Urform des Erzählens der „Märchen-Expertin“ Gudrun Rothaut. Hier werden klassische Erzählstrukturen untersucht, die sich von antiken Stoffen bis zu modernen Fantasyromanen nahezu überall finden lassen.

3Sat zeigt nicht alle Märchenfilme in der Mediathek, in der ARD laufen aber in zwei Wochen schon die neuen Produktionen der Reihe. Für Binge-Märchen-Watching reicht es also online allemal.


KURZ MAL ARCADE FIRE: Andrew Garfield in We Exist

Die Band Arcade Fire tauchte in dieser Kolumne schon häufiger auf. Nicht nur, weil der Autor leicht als eingefleischter Fan zu erkennen ist, sondern weil die kanadische Combo tatsächlich nicht nur musikalisch, sondern auch beim ganzen medialen Drumherum wegweisend modern ist. Das Oeuvre reicht von durchgeknallten klassischen Musikvideos bis zu großartigen Multimediaprojekten, die den Zuschauer über die Webcam in das Geschehen eines Songs hineinziehen.

Zum Konzept gehört dabei immer auch die Überraschung. Wenn man dieses Filmchen anklickt, rechet man auch nicht damit, wie kurz es eigentlich ist. Es handelt sich nämlich nicht um ein Musikvideo oder etwas ähnliches, auch wenn der Titel nach einem gleichnamigen Lied das vermuten ließe. Es gibt auch gar keine richtige Handlung. Wenn man aber den Hintergrund des Songs We Exist kennt, eröffnet sich die ganze Bedeutung dieses kleinen Clips. Win Butler hat beim Auftritt auf dem Coachella-Festival erklärt, dass er mit dem Song ein kämpferisches Zeichen gegen die gesellschaftliche Verachtung von Schwulen und Lesben setzen wollte, geschrieben ist der Song aus der Perspektive eines 15-jährigen amerikanischen Jungen kurz vor dem Coming Out.
Es macht wohl keinen Sinn, hier einen inhaltlichen Abriss zu geben. Deswegen belasse ich es bei der Hintergrundgeschichte und erwähne nur kurz noch, dass sich Frauenschwarm und Spiderman-Star Andrew Garfield in recht ungewohnter Pose zeigt. Anschauen!


Teaser & Image by © Felix Holland/Hessischer Rundfunk


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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