Videokolumne vom 2. März

In der Videokolumne geht es heute um die bedrohte freie Kulturszene in den Innenstädten und animierte Filmkunst, passend zur kommenden Oscar-Nacht. // von Hannes Richter

Screenshot - Belly

Schon wieder ein Schwerpunkt beim Film, so kurz nach der Berlinale. Aber immerhin steht die Oscar-Verleihung an und die New York Times hat vorab ein paar schöne Beiträge über das Filmevent des Jahres produziert. Mit ihren traurigen Geschichten und liebenswert depressiven Figuren verzaubert die Zeichnerin Julia Pott Filmfestivals und das Internet. Und Sketche von Cyanide & Hapiness spielen mit den Grenzen des Schwarzen Humors. Los geht es aber mit einem Bericht über die triste Zukunft deutscher Innenstädte.


BEISPIEL REGENSBURG: Kultur muss draußen bleiben?

AUS DER MEDIATHEK – Bayrischer Rundfunk +++ Sendung vom 27. Februar: Einem Kino droht die Schließung, freie Künstler ziehen weg. Das Bild, dass das Kulturmagazin des Bayerischen Rundfunks über die Zustände in der pittoresken Stadt Regensburg zeichnet, ist düster. Damit richtet es den Fokus auf ein wenig beachtetes Problem. Überhaupt fällt zwischen Berliner Festivals und Münchner Galerieeröffnungen selten ein Blick in die Provinz, wo immerhin die meisten Menschen in Deutschland leben und in Theater gehen, Performances erleben und Ausstellungen besuchen. Doch die Kultur gehört nicht zu den Pflichtaufgaben der Städte und Gemeinden, schon gar nicht die freie Szene jenseits der etlichen staatlichen Stadttheater und Museen. Und mit steigenden Mietpreisen in den Innenstädten geraten auch die kleinen Vereine und Initiativen, Kinos und Mini-Galerien unter Druck ebenso wie die oft freiberuflichen Künstler und Veranstalter selbst. Das Ergebnis sind die gefürchteten durchgentrifizierten Stadtteile, in denen Gewerbe das Bild bestimmt. Aus einem Traditionskino wird ein Café, wie hier in Regensburg.


SCHWARZER HUMOR: Cyanide & Hapiness

Die putzigen Figürchen von Cyanide & Happiness erinnern ein wenig an South Park. Doch die Kinder aus dem gleichnamigen Städtchen in Colorado meistern ihren uramerikanischen Alltag mit einem ständigen Zynismus, der auf die Dauer ein bisschen nervt. Ja, aus jedem einzelnen Fäkalwitz lässt sich auf eine Botschaft über die Jugend Amerikas schließen, aber irgendwann ist es auch mal gut. Auch die Charaktere von Cyanide & Happiness bewegen sich durch so eine amerikanische Abziehwelt aus Konsum- und verfassungsrechtlich verankertem Glücksversprechen und scheitern an ihr – wie wohl viele Amerikaner in our days. Meistens passiert am Ende einer schon absurden Sketchidee ein noch absurderer Twist, der verdammt lustig ist. Angefangen haben die vier Macher mit täglichen durchnummerierten Comic-Strips, die sich häufig auch auf aktuelle Themen beziehen und so oft als bissiger Kommentar zum Tagesgeschehen millionenfach geteilt wurden, ein schönes Beispiel ist der herrliche Kommentar auf die Pleite der Bitcoin-Börse Mt. Gox in Nummer 3479). Seit dem Erfolg dieses Konzepts stellen die vier Macher auch immer häufiger animierte Versionen ihrer bitterbösen Geschichtchen her. In It’s a sad Christmas, Larry wird ein für den Unfall seines Vaters verantwortlicher Sohn vom weihnachtlichen Mitgefühl einer glücklichen Familie erschlagen. 2,5 Millionen Mal wurde das Video bereits geklickt und die wütenden Kommentare von Usern, die das alles gar nicht witzig finden, sind fast so amüsant wie der Film selbst. Der beste mir bisher untergekommene Streifen ist aber die Geschichte einer Gruppe Bergsteiger, die nach einem Absturz an einem Seil hängen. Der oberste von ihnen kann das Gewicht der anderen kaum halten und so muss entschieden werden, bei welchem armen Schwein das Seil durchgetrennt wird. Schon die Szenerie bis hierhin zu beschreiben wird der brüllenden Komik dieses kurzen Clips nicht gerecht und erinnert eher an einen nacherzählten Witz. Da hilft nur: selbst anschauen wärmstens empfohlen!


TRAURIG UND SCHAURIG SCHÖN: Julia Potts Geschichten

Eine ganz andere Form animierter Filmkunst sind die kurzen, aber von Fantasie überbordenden, surrealen Trips von Julia Pott. Ihre Figuren haben oft butterweiche Gliedmaßen, häufig fallen Organe vom Körper ab und geben den Blick frei in ein blutiges Inneres. Sicher kann man nun analysieren, ob die physische Verletzlichkeit der oft traurigen Gestalten Sinnbild für ihre seelische Zerrüttetheit ist. Vielleicht ist auch die Überraschung des Zuschauers an solchen Stellen (niemand rechnet ja damit, das der Junge mit den Schlappohren in Belly von seinem monsterartigen Reittier absteigt, in dem er durch dessen Bauch gleitet) ein kalkulierter Effekt, um unsere Vorstellungen von Verletzlichkeit zu hinterfragen. Aber wenn man einmal damit anfängt, bei den etlichen skurrilen Details die analytische Brille aufzusetzen, verliert man sich schnell auf dieser Ebene. Dabei kann man sich so schön in der kompletten Fantasiewelt der Julia Pott verlieren, die von Traurigkeit und Freundschaft, von tiefen Wunden und Liebe erzählt. Und am Ende macht dann doch alles irgendwie Sinn.
Mit The Event, einem animierten Gedicht in dem rückwärts die Auswirkungen einer Apokalypse auf ein sich liebendes Paar beschrieben wird, war Pott auf zahlreichen Festivals eingeladen. Der siebeneinhalbminütige Film Belly erzählt die Geschichte eines Jungen und seiner ungewöhnlichen Freundschaft zu eben jenem gehörnten Reittier. Erst durch den sorglosen Bruder, der von einem Walfisch verschluckt wird, und die Ereignisse bei dessen Rettung wird die tiefe Verbindung zwischen den beiden klar und bis zum traurigen Finale packt einen die Geschichte mit all ihren sonderbaren Figuren. Auf dem Tumblr Potts gibt es ein Wiedersehen mit ihnen. Hier postet die Künstlerin wunderschöne Bildchen und einzelne Comics und auf etsy verkauft sie die Frames aus ihren Werken. Auch die Werbung wurde auf die umtriebige Wahl-New-Yorkerin aufmerksam. Für die kanadische Olympia-Berichterstattung schuf sie einen hübschen kleinen Spot über Jahre alte Oreo-Kekse und Kindheitserinnerungen.


OSCAR-VORBEREITUNG: Videobeiträge der New York Times

Heute werden die Oscars verliehen. Hierzulande bleiben viele die ganze Nacht wach, um die Übertragung der Zeremonie live zu erleben. Zur Einstimmung vorab hat die New York Times drei Videos produziert, von denen sich zwei mit der Geschichte der Veranstaltung beschäftigt. Zum einen geht es um die Moderatorinnen und Moderatoren aus der Vergangenheit und die fantastische Ellen DeGeneres, die nach 2007 nun schon zum zweiten Mal die Oscars präsentiert. Die Frage, wer die undankbare Aufgabe übernimmt, geraume Zeit vor einem Weltpublikum in der Mitte der riesigen Bühne zu stehen, ohne wirklich im Mittelpunkt zu stehen, erregt jedes Jahr die Gemüter, zumal die Veranstalter sich bisher schon einige Fehltritte bei der Auswahl geleistet haben. Aber Ellen wird das schon gut machen.
Zum anderen lassen die Zeitungsmacher nochmal die politischsten Momente der Oscar-Geschichte Revue passieren. Dabei gibt es ein Wiedersehen mit der so steifen wie bezaubernden Sacheen Littlefeather, die im Auftrag von Marlon Brando seinen Oscar ablehnt mit Verweis auf die skandalöse Benachteiligung indigener Völker in den USA und natürlich Michael Moore, der seine Dankesrede nach dem Gewinn für Bowling for Columbine zu einer Abrechnung mit dem offensichtlich durch Wahlbetrug an die Macht gekommenen Präsidenten George W. Bush nutzt.
Der dritte Clip ist ein klassisches Schauspieler-Interview, allerdings mit einer besonderen Darstellerin. Die Kenianerin Lupita Nyong’o ist für ihre so verstörend wie herzzerreißende Darstellung der Sklavin Patsey in 12 Years a Slave nominiert, ihre erste Filmrolle. Die sympathische 30-jährige hat zuvor eher hinter der Kamera gearbeitet, zuletzt hat sie einen Dokumentarfilm über die Situation von Albinos in ihrer Heimat gedreht. Einen Oscar hätte Lupita Nyong’o in jedem Fall mehr als verdient.


Teaser by Paulae (CC BY 3.0)

Image Screenshot (http://vimeo.com/46233381)


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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