Verwaltung, öffne dich!

In Deutschland ist ein modernes E-Government immer noch eine nicht erfüllte Forderung, doch die Debatte um eine digitale Verwaltung hat bereits begonnen.

In der Süddeutschen Zeitung haben Christoph Bornschein und Tom J. Gensicke ein leidenschaftliches Plädoyer für eine neue Verwaltung geschrieben. Die Frage, warum die Digitalisierung im öffentlichen Sektor schon so lange auf der Stelle tritt, kommt dabei aber zu kurz.

Dem Ruf nach einer neuen Verwaltung kann man nur zustimmen. Und alle werden es tun, Politiker, Unternehmer, Lobbyisten, Bürger, ja selbst Verwaltungsbeamte. Die Diagnose, dass Deutschlands öffentliche Verwaltung in Sachen Digitalisierung hinter allen anderen gesellschaftlichen Bereichen zurückfällt und auch im Vergleich mit vielen Industrienationen keine gute Figur abgibt, ist seit langem ein Allgemeinplatz. Auch die Zahl der Apelle, dass sich dies schnellstens ändern muss, soll sich der Modernisierungsrückstand nicht zu einem handfesten Standortnachteil im globalen Wettbewerb auswachsen, ist mittlerweile Legion.

Dennoch passiert seit zehn Jahren: fast nichts. Die Digitalisierung des öffentlichen Sektors geht im Schneckentempo voran, die Akzeptanz der so genannten E-Government-Angebote in der Bevölkerung sinkt sogar (siehe aktueller E-Government-Monitor). Zu glauben, dies läge daran, dass die öffentliche Verwaltung sich der Situation nicht bewusst sei, die guten Beispiele aus in dieser Hinsicht fortschrittlicheren Ländern nicht kenne oder nicht wüsste, dass eine “disruptive” Veränderung ohne Kulturwandel nicht zu haben ist, greift zu kurz. Tatsächlich bespiegelt sich die Verwaltung ständig selbst und forderte sich dauernd auf, sich endlich zu verändern. Will man verstehen, warum sie dennoch bleibt wie sie war und all die Veränderungsaufrufe folgenlos verhallen, muss man sich einen Moment mit den strukturellen Ursachen beschäftigen.

Die öffentliche Verwaltung ist durch und durch hierarchisch aufgebaut und ihr Kerngeschäft ist die Ausführung gesetzlich vorgeschriebener Aufgaben. Der hierarchische Aufbau findet sich innerhalb einzelner Behörden und Ministerien (Sachbearbeiter, Referate, Abteilungen, Ämter, Behördenleitung) und schlägt sich in unterschiedlichen Leitzeichen und Besoldungsgruppen nieder. Selbst die föderale Struktur (Gemeinde, Kreis, Bundesland, Bund) lässt sich als Hierarchie beschreiben, auch wenn die hoheitlichen Zuständigkeiten klar geregelt sind. Dazwischen gibt es die kommunalen Landes- und Spitzenverbände, Gewerkschaften, Personalvertretungen usw. Jede dieser Ebenen ist betroffen, jede will ihre Interessen in einem Veränderungsprozess gewahrt sehen, und dies bei minimalem Risiko und Ressourceneinsatz. Nun könnte man meinen, dass, wenn jeder an sich denkt, an alle gedacht sei. Hier ist dies aber nur im denkbar schlechtesten Sinne der Fall. Stattdessen haben sich Bund, Länder und Kommunen in einander verhakt und verhindern gemeinsam den ersehnten Fortschritt. Jüngstes Beispiel dafür ist der IT-Planungsrat, in dem alle föderalen Ebenen gemeinsam an der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung arbeiten sollen und der seit Beginn seiner Arbeit im April 2010 nur sehr bescheidene Ergebnisse erzielt hat.

Dieser Knoten lässt sich nun aber eben nicht durch Apelle lösen. Soll das System verändert werden, kann dies nur unter Berücksichtigung der herrschenden Funktionsmechanismen erfolgen. Hier also von der Spitze der Hierarchie her und soweit möglich, durch gesetzliche Regelungen. Erfolgskritisch für eine digitale Reform der öffentlichen Verwaltung ist darüber hinaus die Frage, wer zahlt? Die lässt sich in den meisten Fällen leicht beantworten: Die jeweils höhere Ebene für die nächst untere. Will die Bundesregierung die deutsche Verwaltung ins digitale Zeitalter führen, muss sie die benötigten Ressourcen bereitstellen. Alles andere führt zu halbherzigen Projekten, die zwar auch Geld kosten aber ihre Wirkung verfehlen.

Ein gutes Beispiel hierfür ist der Bereich offene Verwaltungsdaten (Open Data). Der Staat sitzt auf einem riesigen Datenschatz, den er mangels Transparenz und Standardisierung nicht einmal selbst effizient nutzen kann. Diesen zu öffnen und den Bürgern und Unternehmen kostenlos zur Verfügung zu stellen hat ein enormes wirtschaftliches und politisches Potenzial. Die Chance wurde auch erkannt und eine entsprechende Bund-Länderarbeitsgruppe eingerichtet, die ein deutsches Open-Data-Portal auf die Beine gestellt hat. Allerdings soll der Betrieb durch die Länder finanziert werden, mit der Folge, dass überhaupt nur neun von sechzehn Bundesländern mitmachen. Genau hier böte sich für den Bund die Chance, einen beherzten Schritt nach vorn zu gehen, die Finanzierung sicherzustellen und auf Länder einzuwirken, aktiv ihre Daten zu veröffentlichen.

Ganz ähnlich stellt es sich im Verhältnis von Ländern und Gemeinden dar. Die meisten Bürgerdienstleistungen werden von den Kommunen erbracht. Diese haben aber gar nicht die Mittel, eine Digitalisierung ihrer Prozesse aus eigener Kraft zu realisieren. Weil die Länder bei fast allen kommunalen Verwaltungsvorgängen mit von der Partie sind, haben diese außerdem ein Interesse daran, dass IT-Lösungen harmonisiert werden und mindestens landesweit standardisiert sind. Daher kann diese Aufgabe nur von den Ländern finanziert werden.

Die Kommunen müssen im Gegenzug verpflichtet werden, kostenlos zur Verfügung gestellte digitale Fachverfahren auch zu nutzen. Und sie müssen darüber hinaus die Akzeptanz der digitalen Angebote bei den Bürgerinnen und Bürgern sicherstellen – durch nutzerfreundliche Services und finanzielle Anreize.

Das vorgeschlagene Model entließe keine Ebene aus der Verantwortung, auch finanziell nicht. Der Bund übernimmt die Kosten für eine IT-Infrastruktur, ohne die es keine digitalisierte Verwaltung in Deutschland geben kann. Die Länder finanzieren die IT-Harmonisierung ihrer Kommunen. Und die Kommunen nutzen die zur Verfügung gestellten Lösungen und stellen ihre Prozesse entsprechend um, ohne an jeder Ecke mit dem Konnexitätsprinzip zu drohen.

Wo immer möglich, muss die Digitalisierung auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Dass dies Wunder wirkt, lässt sich in Hamburg bestaunen. Hier gibt es ein Transparenzgesetz, das die Veröffentlichung der Verwaltungsdaten vorschreibt. Das funktioniert offensichtlich sehr gut. Hätte man stattdessen auf Appelle vertraut, wären vermutlich nur sehr wenige Daten im Transparenzportal zu finden. Der geforderte Kulturwandel stellte sich außerdem quasi von selbst ein.

Zur Digitalisierung von oben gibt es angesichts der hierarchischen Struktur der öffentlichen Verwaltung keine wirkungsvolle Alternative. Damit ist es aber nicht getan, im Gegenteil: die Verwaltung muss sich dem Dialog mit den Bürgern viel stärker öffnen. Es geht nicht nur darum, den Bürgern zuzuhören und ihnen die Services so anzubieten, wie sie sie nutzen möchten. Es geht auch darum sie in dem Maße, in dem sie es wollen und können in die Erarbeitung von Lösungen einzubeziehen. Beth Noveck, die an entscheidender Stelle die Open Government Strategie für Obama entwickelt hat, empfiehlt dringend die Einbeziehung und Nutzung der Expertise von Bürgern (“citizens experts”) in den politischen und administrativen Prozess. Dieser führe nicht nur zu besser akzeptierten sondern schlicht zu besseren Lösungen. Wie man das praktisch umsetzt, lässt sich bei der digitalen Agenda Wien beobachten. Hier ist ein auf Jahre angelegter Beteiligungsprozess initiiert worden, um “den Weg in die digitale Zukunft auch auf der Ebene der Stadtverwaltung mitzugestalten (…). Es ist ein Prozess, an dem sowohl online als auch offline engagierte Wienerinnen und Wiener, Unternehmen und Kreative beteiligt sind.”

Hätte man auf die interessierten Bürger und Experten bei den beiden wichtigsten IT-Infrastrukturprojekten der Bundesregierung gehört, wären uns teure und zeitraubende Irrwege wie der neue Personalausweis, der samt Lesegerät eine qualifizierte elektronische Signatur ermöglichen soll oder die vermeintlich sichere, aber unbenutzbare elektronische De-Mail erspart geblieben.

Eine digitalisierte öffentliche Verwaltung schafft darüber hinaus die Voraussetzungen, auf allen föderalen Ebenen eine dialogorientierte und gleichzeitig effiziente politisch-administrative Aufgabenbewältigung zu realisieren. Die Hoffnung, dass eine Begrenzung von Bürgerbeteiligung auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum politische Prozesse beschleunigt, hat sich längst als haltlos erwiesen. Eine andere Verwaltung sollte daher nicht nur digitalisiert sein, sondern auch offener.


Image (adapted) „Bureaucracy_Bürokratie I“ by Christian Schnettelker (CC BY 2.0)

ist Geschäftsführer der DEMOS Gesellschaft für E-Partizipation mbH, Hamburg & Berlin und realisiert seit über 15 Jahren E-Partizipationsprojekte im öffentlichen Bereich. Im Blog bauleitplanung-online.de schreibt er zu Themen rund um E-Government und digitale Beteiligung in Bauleitplanung & Planfeststellung.


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