Verliebt in Berlin

Mit seinem „arm, aber sexy“-Image zieht die Hauptstadt schon seit einigen Jahren Kreative aus aller Welt an. Jetzt hat sie gute Chancen das Metropolis der neuen Internet-Generation zu werden.

In Berlin ging es immer schon etwas leichter, ohne viel Geld sein eigenes Ding zu machen. Auch im Netz war es schon immer einfacher als offline, mit begrenzten Ressourcen etwas Neues aufzubauen. Vielleicht liegt in dieser Gemeinsamkeit der Grund dafür, dass sich neben Filmemachern, Musikern und Künstlern inzwischen auch so viele Köpfe der Netzszene in Berlin einfinden? Vermutlich ist es aber doch eher die Atmosphäre an der Spree, die den Ausschlag gibt und die Experimentierfreude, die herrscht zwischen Plattenbau, besetzten Häusern und Friedrichshains subventionierten Erdgeschossbüros für Jungdesigner. In Berlin trifft man sich, man ist gerne hier.

Berlin ist seit jeher Knotenpunkt, ein Spielplatz, Treffpunkt. Auch während die restliche Republik arbeitet hat man hier immer Zeit für einen Kaffee oder ein Bier. Es ist kein Zufall, dass der Begriff der Digitalen Bohème aus Berlin stammt – und den selben Menschenschlag beschreibt, den andere als Urbane Penner bezeichnen. Die Berliner Netzszene macht einen großen Teil dieser Digitalen Bohème aus, die andernorts so kaum hätte entstehen können. Das Motto der Stadt gilt ebenso für ihre Bewohner.

Doch lockt nicht nur der Spielraum die internationale Web 2.0-Szene in die Stadt. Eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Aktiven finden sich schon länger in Berlin: Die Bloggerkonferenz re:publica ebenso wie Deutschlands wohl ersten Blogverlag Spreeblick, für Programmierer und Unternehmer gibt es den Webmontag, für Hacker das Chaos Communication Camp. Die erste deutsche Mitmachzeitung Readers Edition stammt – woher sonst! – aus Berlin. Dennoch ist die Szene im Land und in Europa weit verstreut. Es gibt gibt kein Silicon Valley, in dem sich alle Talente und Macher versammeln, versammeln müssen. Auch Hamburg, Köln und München spielen mit ihren Next Konferenzen, BarCamps und Media In Transition vorne in der Liga der europäischen Web 2.0-Konferenzen mit, von Londons Future Of Webapps ganz zu schweigen.

Und doch ist die Standortfrage vorerst entschieden, Tim O’Reillys Verlag hat sich entschieden, die europäische Web 2.0 Expo in Berlin auszurichten. (Die einzige andere Web 2.0 Expo außerhalb der USA findet wenig später statt – in Tokyo.) Diese Konferenz, ausgerichtet von den Erfindern des Begriffs Web 2.0, ist der Ritterschlag für Berlin.

„Als wir einen Veranstaltungsort für die europäische Web 2.0 Expo gesucht haben, haben wir mit Berlin einen anspruchsvollen und kreativen Ort mit einer starken Innovationskultur gefunden“, so Jen Pahlka, die Organisatorin der Konferenz. „Das deckt sich mit den Charakteristika der Web-Community. Es hat uns gefallen, dass Berlin so leicht zu erreichen ist, von allen Teilen Ost- wie Westeuropas, so dass wir die größtmögliche Netzcommunity vom ganzen Kontinent hier versammeln können.“

Ob bei Web2Expo, Barcamp Berlin, Web2Open oder Deutschlands erstem Girl Geek Dinner, das Who is Who des Mitmachnetzes wird sich in den nächsten Wochen hier die Klinke in die Hand geben. Gesichter, die auf der Straße niemandem auffallen werden, Prominente in einer Parallelwelt, die außerhalb der Netzszene niemand erkennen wird und die doch unser digitales Leben massiv beeinflussen. Die Macher des wir.netz, von denen wir einige in den kommenden Wochen ausführlich vorstellen werden.

Jetzt wird es offiziell: Berlin ist die Web 2.0-Metropole Europas, das Mitmach-Metropolis. Und doch soll Berlin in den nächsten Wochen eben gerade nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr wird sich die Stadt auf das konzentrieren, was sie am besten kann: Ein multikulturelles Diskussionsforum bieten. Berlin lädt Europa ein in eine aufregende Stadt mit Ecken und Kanten, in der sich die Szene hemmungslos austauschen und diskutieren kann – bis spät in die Nacht. Längst werden via Twitter Hoteltipps verbreitet und informell Schlafgelegenheiten an die Anreisenden vermittelt.

Herzlich willkommen, Europa. Bleib doch noch auf einen Kaffee.

war Netzpiloten-Projektleiter von 2007-2010. Heute hilft er als freier Berater Unternehmen, ihre Strategien erfolgreich ins Netz zu übertragen. Über Social Media und digitale Kultur schreibt und twittert Peter auch privat unter TheWavingCat.com. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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8 comments

  1. Berlin wie hast dir verändert, Berlin sollte schon einiges für sein Image tun und diese Veranstaltung kann dazu beitragen der Jugend in Berlin eine Perspektive zu zeigen, aber es muss ihr auch eine Zukunft bieten können.
    Nicht nur feiern lassen Berlin auch TUN ist angesagt!
    Na denn…….

  2. So schön finde ich „gesamt-Berlin“ aber nicht.
    Dagegen trifft es die Aussage „In Berlin ging es immer schon etwas leichter, ohne viel Geld sein eigenes Ding zu machen“ wohl auf den Punkt…
    Beliebt ist die B-Stadt durchweg bei ziemlich allen ^^

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