Todesfalle Gespräch

Bei rund 600 Millionen Mitgliedern, die bei Facebook registriert sind, bekommt die Bild-Zeitung jetzt ein unendliches Reservoir für neue Schlagzeilen. Die Wahrscheinlichkeit dürfte hoch sein, dass im Mark Zuckerberg-Imperium wohl alles unterwegs ist, was die Psycho- und Kriminalszene so zu bieten hat: Pädophile, Massenmörder, Amokläufer, Stalker, Diebe, Vergewaltiger, Heiratsschwindler, Bettnässer und auch Boulevard-Journalisten…

So kann der Bild-Chefredakteur Kai Diekmann immer nach dem gleichen Muster vorgehen, wie man es heute erleben kann. „Todesfalle facebook – Linda (16) von Internet-Freund getötet“. Beim ersten Treffen sei der vorbestrafte Jerry J. (20) ausgerastet und schlug mit einem Hammer zu. Bei facebook hatten sich die beiden getroffen und eine Vertrautheit wie bei einer Brieffreundschaft entwickelt. Bingo, Bild. Das ist der Kern der Wahrheit. Sie hätten sich auch in der Disco, in der Buchhandlung oder im Museum treffen können. Mein Sohn Constantin hat es in einer Computerspiel-Besprechung sehr schön skizziert:

Die dümmliche Auseinandersetzung von sicherheitsgläubigen Politikern, Volkserziehern, Mahnern und Warnern in der Debatte um Sinn und Unsinn von Computerspielern hat der Journalist Klaus Raab in seinem Buch „Wir sind online – Wo seid Ihr?“ auf den Punkt gebracht: „Der gemeine Killerspielerkritiker argumentiert folgendermaßen: Wenn jemand, der Zuckerwatte isst, Zahnschmerzen bekommt, dann nieder mit der Zuckerwatte!“ Schon der inflationär eingesetzte Begriff „Killerspiele“ zeigt schon an, wo die Reise der Kulturpessimisten hingehen soll. Die Argumentationskette der Bedenkenträger ist immer gleich. Entfremdete, vereinsamte und kontaktscheue Jugendliche flüchten sich in eine Scheinwelt und ballern irgendwann im realen Leben mit echten Waffen auf ihre Mitmenschen – fertig ist der Stammtischbrei von politischen Entscheidungsträgern.

„Der Schriftsteller Douglas Adams wies in einem Artikel einmal darauf hin, dass es immer wieder für interessant gehalten werde, dass ein Verbrechen, sofern die Täter online miteinander kommunizierten, über ‚das Internet‘ geplant worden sei. Würden sich die Ganoven in einer Kneipe treffen, um sich zu verabreden, käme wohl kein Mensch auf die Idee, das Kneipenwesen an den Pranger zu stellen“, schreibt Raab. Aber irgendwie passt es immer, Computerspiele oder generell das Internet in die Schlagzeilen reinzudrücken. „Tod durch Facebook“ schrieb zum Beispiel der Mediendienst Turi2: „Ein 17-jähriger Serbe ersticht einen gleichaltrigen Landsmann, weil der ihn via Facebook als Schuhdieb bezeichnet hatte.“ Wie würde die Überschrift lauten, wenn die Schimpfkanonaden am Telefon erfolgt wären? „Tod durch Telefon“?

ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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7 comments

  1. Ich find es amüsant wie die konservative politische Klasse sich immer alles zurecht legt. „Waffen töten keine Menschen, Menschen töten Menschen“ – (NRA). Im Internet ist es genau andersrum – Nicht Menschen töten Menschen – Das Internet tötet Menschen! Das ist unverschämt.

  2. jo, das verläuft immer nach dem gleichen Muster. Überschriften könnten auch sein: Facebook und die Sexorgien, Wie sich die Mafia über Mark Zuckerberg organisiert oder der Facebook-Klick-Mörder oder, oder, oder….

  3. Es ist aber eine Tatsache das es Pädophile, Massenmörder, Amokläufer, Stalker, Diebe, Vergewaltiger, Heiratsschwindler es im Internet viel leichter haben als im Schwimmbad oder in der Disco ihre Opfer kennen zu lernen..klappt es bei dem oder der einen nicht so wendet er sich einfach innerhalb von Sekunden seinem neuen Opfer zu…und die Wahrscheinlichkeit Kontakt zu Bekommen ist sehr Hoch..In der Realen Welt spielt der Faktor Zeit eine große rolle..und es ist so einfach seine Rolle zu spielen..das geschrieben Wort ist oft sehr süß und verlockend was Grade bei Kindern sehr einfach anzuwenden ist

  4. @Rene Das wäre für Haustürbetrüger, Heiratsschwindler und sonstige Dunkelmänner aber eine herbe Enttäuschung. Gerade in der persönlichen Begegnung kann ich auf Menschen reinfallen, die charmant, zuvorkommend und sympathisch vorgehen.

  5. Im Prinzip kann ich die Bild-Schelte ja nachvollziehen; aber das letzte Beispiel mit dem Telefon hinkt doch sehr: wohl macht es einen Unterschied, ob eine Beleidigung unter vier Augen (nein, zwei Ohren!) am Telefon erfolgt oder öffentlich im Internet gepostet wird. Und Youtube und Facebook haben heute bei den Jugendlichen einfach eine völlig andere Relevanz als das „Telefon“ (Exkurs: wie wäre es gewesen, hätte der Serbe eine Beschimpfung per Video-post ans Mobilfunkgerät übertragen: Ist das jetzt Internet oder Telefon?)

  6. @Rene: Es ist aber auch eine Tatsache, dass die Zahl der „Pädophilen, Massenmörder, Amokläufer, Stalker, Diebe, Vergewaltiger, Heiratsschwindler“ weitestgehend konstant ist. Somit teilt sich auch die Gefahr auf. Also kann man im RL genau wie im Internet weniger Schlimmfingern „begegnen“ als in der Pränetzzeit. So, weiter im Text. Der Faktor Zeit, den Du nanntest, ist wirklich ein ganz entscheidender. Konnte einstmals ein Kind nicht darauf hoffen mit der Geschwindigkeit, die die kleinen Beine boten, einem Pädophilen zu entkommen, ist es mittlerweile zu lichtschnellen Reaktionen fähig (*Click*). Nebenbei, Deine Argumentation trifft auch auf die verbreitete Nutzung der/des Kutsche/Bahn/Automobils/Flugzeugs zu. „Pädophilen, Massenmörder, Amokläufer, Stalker, Diebe, Vergewaltiger, Heiratsschwindler“ konnten dadurch ihren Aktionsradius und ihre Geschwindigkeit (Fersengeld geben) um ein Vielfaches erhöhen und konnten so auch in Nachbarstädten problemlos ihren dunklen Geschäften nachgehen.

    Genausogut könnte man als Gegenentwurf sagen: Das Internet – Nie war es einfacher, sich vor „Pädophilen, Massenmördern, Amokläufern, Stalkern, Dieben, Vergewaltigern, Heiratsschwindlern“ zu schützen.

    Du siehst, Deine Argumentationskette ist vom Zahnkranz gesprungen. Also, absteigen, den Riemen auf die Orgel schmeißen und das ganze schön mit Gehirnschmalz abschmieren. Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.

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