Social Media und Hochwasser: Dammbruch auf Facebook

Im Ausnahmezustand werden Nachbarn zu Helfern. Dieses Prinzip hat sich schon in der Vergangenheit bewährt. Wieso tatenlos warten, wenn Eimer und Sand das Schlimmste schon vor Eintreffen der Feuerwehr verhindern können?  Gewandelt hat sich, dass Menschen heute nicht mehr nur analog nach Hilfe rufen, sondern auch digital. Im Falle des Hochwassers besprechen Menschen über Facebook und Twitter, wo und wann Unterstützung gebraucht wird. Ohne Koordination und verlässliche Informationen kann es aber passieren, dass sich an einer Stelle überflüssige Sandsäcke stapeln, während anderorts der Damm bricht. In Österreich, Tschechien, Süd- und Ostdeutschland bangen Menschen um ihre Existenz, weil Flüsse ganze Dörfer und Städte unter Wasser setzen. Starke Regenfälle in den Mittelgebirgen und Alpen haben die Aufnahmefähigkeit der Böden überstrapaziert, Flüsse wie Elbe, Donau und Inn treten infolgedessen über die Ufer. Die Passauer sahen sich einem Pegelstand ausgesetzt, der den bisherigen Rekord von gut zwölf Metern (16. Jahrhundert) sprengte. In Zwickau, Prag oder Halle ist die Situation ebenfalls besorgniserregend. Formal liegt die Zuständigkeit für Rettungsmaßnahmen bei den Bundesländern, die dazu auch mit dem Technischen Hilfswerk, der Bundeswehr oder der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft kooperieren. Wie beim Tornado in Oklahoma sind es außerdem die Bürger selbst, die sich per Smartphone oder Laptop zum Helfen verabreden. Auf Twitter bündelt der Hashtag “#Hochwasser” Informationen zur Lage, auf Facebook finden Betroffene unter “Elbpegelstand” oder “Hilfe Für Hochwasseropfer in Passau 2013? zusammen. Engagement? 78.000 Personen gefällt das Hinter „Elbpegelstand“ steckt der Dresdener Mike Gruschwitz, der eigenen Angaben zufolge seit Sonntag täglich 20 Stunden ackert, damit die private Hilfsorganisation klappt: News über den Pegelstand posten, Bilder online stellen, Nachrichten beantworten. Gruschwitz schreibt, dass über 1.000 davon heute morgen unbeantwortet im Postfach lagerten. Sein Engagement kommt an, denn seit Start im Februar 2013 verzeichnete die Seite mehr als 78.000 “Gefällt mir”-Angaben. Die Postings auf der Facebook-Präsenz geben einen Eindruck davon, mit welchen akuten Problemen Hochwasserstädte derzeit zu kämpfen haben. Das Romain-Rolland-Gymnasium in der Dresdener Weintraubenstraße z. B. benötigt Helfer, um 6.000 Sandsäcke zu füllen. Schaufeln und Essen fehlen ebenfalls. „Elbpegelstand“ informiert auch darüber, dass die Radiologie im Ärztehaus Blasewitz „ganz dringend ein paar Pumpen“ braucht. Zwölf Personen gefällt das – was in diesem Kontext leicht irritierend ist und prompt die passende Nutzerantwort fand: „nicht gefällt mir drücken sondern so viel wie möglich TEILEN !!!“ Internet in Gummistiefeln Oben in der Timeline von „Elbpegelstand“ findet man eine regelmäßig aktualisierte Liste mit Hilfsgesuchen und -angeboten. Dort werden Essen und Schlafplätze ebenso offeriert wie Strom für Handys. Ohne die kleinen Taschencomputer wären die Bürgerhilfen gar nicht in dieser Form zu leisten. Dafür ist ein Desktop-PC zu unflexibel – und zu viele Kellerböden stehen unter Wasser. Die mobile Technik offenbart, welche Kooperationspotentiale das Internet birgt. In der Katastrophe wird sichtbar, was sozial ist an „Social Media“. Kein Medium kann Hilfsbereitschaft schneller in Aktivität transformieren als ein soziales Netzwerk. Zwei Probleme jedoch bleiben: fehlende Informationsfilter und mangelnde Koordination. Erst denken, dann posten Boston, April 2013. Während die Polizei einige Tage nach dem Bombenanschlag beim Marathon noch ermittelt, werden vermeintlich Verdächtige bereits auf Twitter und Facebook an den Digitalpranger gestellt. Unschuldige sind zum Abschuss freigegeben – als Ergebnis des Geltungsbedürfnisses und Übereifers weniger User. Facebook kennt keinen Filter für Informationen. Auf „Elbpegelstand“ hat jemand unter einen der Posts geschrieben: „Hoffentlich nicht wieder ‘ne Fehlmeldung.“ Obgleich eine Gesamtbeurteilung der Nachrichtenlage zum jetzigen Zeitung noch zu früh ist, deutet die Aussage darauf hin, dass Falschmeldungen im Umlauf sind. Der andere wunde Punkt, die Koordinierung, kann bei allen Arten von Organisationsabläufen zum Hemmnis werden. Jeder, der schon mal eine Party organisiert hat, weiß: Wenn alle Baguette mitbringen, weil niemand sich abgesprochen hat, ist das schlecht fürs Buffet. Ein Nutzer auf dem Blog „socialmediaevolution“ berichtet: „Wir sind gestern Abend 4 Stunden Twitter- und Facebookmeldungen quer durch Dresden hinterher gefahren, nur um zu sehen, dass 3 mal niemand mehr gebraucht wurde (alles war erledigt bzw. waren kein Sand oder keine Sandsäcke mehr da), einmal bereits mehr als genug Leute da waren und einmal nach einem entladenen Container mit Sandsäcken Schluss war.“ Die Schuld darf jedoch nicht allein bei den Freiwilligen gesucht werden – es ist vor allem an der jeweiligen Stadt, präzise und aktuelle Meldungen zu liefern. Im Ausnahmezustand müssen alle mit anpacken. Twitter-Nachrichtenüberblick: https://twitter.com/zeitonline/hochwasser-in-deutschland


Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf Politik-Digital.de und steht unter unter der Creative Commons Lizenz “Namensnennung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen” (CC BY-SA 3.0).

 


 

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1 comment

  1. Facebook hat natürlich eine Menge Vorteile aber auch einige Nachteile. Je nachdem wer es benutzt, kann es sehr hilfreich sein (Flutkatastrophe) oder eben auch kontraproduktiv (Boston Bomber)

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