Sharing ganz ohne Internet

Das Phänomen der Sharing Economy ist heute sehr verbreitet. Das Internet macht es leichter, Dinge untereinander auszuleihen und ersetzt das dafür nötige Vertrauen mit Kommentarfunktionen. Das Projekt Pumpipumpe baut auf diesen Sharing-Gedanken – jedoch analog. //von Anna Maria Landgraf

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An Stelle von Internetplattformen treten hier Sticker, bedruckt mit Backformen, Hammern oder Schlitten. Der Nutzer klebt sich diese Sticker ganz einfach auf den Briefkasten und zeigt damit seinen Nachbarn, dass er eine Gugelhopfform auszuleihen hat. Oder einen Gameboy. Oder beides.

Wir haben mit Lisa Schmidt, Hub-Managerin von Pumpipumpe in Hamburg, über das Projekt gesprochen, das 2012 von Lisa Ochsenbein, Sabine Hirsig und Ivan Mele ins Leben gerufen wurde.

Auf welcher Idee beruht das Projekt?

Lisa Schmidt: Pumpipumpe möchte den Austausch fördern. Den materiellen, aber auch den kommunikativen. Also einerseits den Austausch von Dingen, die wir nur selten benutzen und die wir uns ganz einfach leihen statt kaufen können. Denn ganz ehrlich: Wie oft brauchen wir ein Zelt? Einen Fahrradanhänger? Ping-Pong-Schläger? Ein paar Mal im Jahr. Die meiste Zeit liegen diese Dinge im Keller oder auf dem Dachboden. Und werden davon auch nicht besser.

Ausleihen von Nachbarn ist nachhaltig, günstig und gut für die Umwelt, weil es Ressourcen schont und Müll reduziert. Und außerdem fördert es den Austausch mit den Menschen, die sehr nah bei uns leben. Die Sticker am Briefkasten laden ein, bei den oft unbekannten Nachbarn zu klingeln und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Mit Pumpipumpe werden nicht nur Alltagsgegenstände demokratisiert, sondern auch die Nachbarschlaft lebendiger.

Wer fällt in Eure Zielgruppe?

Weit gefasst: Jeder, der Dinge besitzt, die er seinen Nachbarn für kurze Zeiträume leihen würde. Das ist das Schöne an Pumpipumpe: Jeder kann mitmachen. Enger gefasst, sprechen wir meist junge Menschen an die in Städten wohnen und offen für Alternativen sind. Aber auch Ältere freuen sich sehr über die Idee und wollen Gugelhopfform und Waffeleisen mit der Hausgemeinschaft teilen. Und wir haben auch beobachtet: Die, die am wenigsten besitzen, sind am ehesten bereit, ihr Hab und Gut zu teilen. Das ist doch großartig, oder? Wie gesagt: Die Bereitschaft ist alles!

Stößt das Projekt auf breites Interesse und Engagement?

Ja, sehr. Alle, die wir ansprechen, begeistern sich dafür. Das freut uns natürlich sehr. Aber wundern tun wir uns eigentlich nicht. Denn schließlich kennt es jeder, mal ein paar extra Stühle zu brauchen oder eine hohe Leiter oder eine Stichsäge – und auch, dass man sich dann irgendwie nicht traut, den Nachbarn zu fragen, ob er sowas hat und man es sich mal leihen könnte. Schließlich kennt man die Nachbarn kaum. Oder gar nicht. Die Sticker machen das einfach, denn sie zeigen nicht nur präzise, was man hat und verleihen möchte, sondern auch, dass man darauf angesprochen werden möchte. Und auch die andere Seite kennt jeder: Wir alle besitzen Dinge, die wir selten brauchen. Die Leiter verschwendet Stauraum, das Fondue-Set auch. Wenn wir mehr teilen würden, hätten wir mehr Geld, mehr Platz in unseren kleinen Wohnungen und ein fröhlicheres Verhältnis zu unseren Nachbarn. Sharing betrifft im Kern tatsächlich jeden. Die Frage ist nur, ob man Lust darauf hat.

Und das haben immer mehr Menschen. Selbst die, die alles haben und nichts leihen brauchen, profitieren vom Sharing. Geben ist schließlich seeliger denn Nehmen. Sharing steigert die Lebensqualität. Und deswegen bekommt Pumpipumpe so fantastisches Feedback!

Wie ist das Feedback speziell in Hamburg?

Hamburg ist eine relativ reiche Stadt. Hier wird eher gekauft, als geborgt. Berlin ist da zum Beispiel viel weiter. Doch Hamburg legt zu. Viele Menschen hinterfragen ihren Konsum mittlerweile kritisch und sind interessiert an Alternativen. An weniger Ausgaben, weniger Müll und einem Beitrag für die Umwelt. Pumpipumpe verbindet all das. Das Hamburger Pumpipumpe-Team wird weitere potenzielle Kooperationspartner ansprechen. Auf dass bald in jedem Viertel und in jeder Straße türkise Sticker an den Briefkästen hängen!

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Wie verbreitet ist das Projekt in Deutschland? Wird es in anderen Ländern stärker genutzt?

Berlin ist in Deutschland Sharing-Spitzenreiter. Von dort kommen die meisten Bestellungen. In der Schweiz ist das Projekt schon älter und auch etwas bekannter. Ein großes Thema ist Sharing in den USA, dort ist man ein paar Schritte weiter als hier. Und ansonsten wird natürlich in ärmeren Ländern viel getauscht. Dort ist man eher auf Teilen und ein soziales Miteinander angewiesen, als in westlichen Großstädten. Aber auch dort versteht man langsam, dass Sharing mehr ist, als für einen Samstagnachmittag eine Kabeltrommel zu leihen. Es ist das Gefühl von zu Hause. Von einem Netzwerk, auf das man sich verlassen kann. Und das einen direkt und jeden Tag umgibt.

Wieso läuft das Teilen analog und nicht über das Internet? So würdet Ihr doch viel mehr Nutzer erreichen.

Ziel des Projekts Pumpipumpe ist es, seine Gegenstände sichtbar zu machen und sie gemeinsam zu nutzen. Das geschieht nicht im Internet, sondern mit kleinen Aufklebern am Briefkasten, wo Nachbarn und Quartierbewohner täglich vorbeigehen. Die Sticker sind ein Appel: Komme auf die zurück, die dich direkt umgeben! Pumpipumpe setzt auf Nähe. Es ist ein so sympathisches Projekt, weil es so nah und so analog ist. Nachbarn brauchen keine App. Wir sprechen direkt miteinander!

Vieles wird heute über das Internet angeboten. Dadurch können die einzelnen Akteure bewertet werden, was das für das Teilen nötige Vertrauen ersetzt. Das ist bei Pumpipumpe nicht der Fall – wieso ist das Vertrauen trotzdem da?

Das ist eine interessante Frage. Vertrauen soll im Internet größer sein als im realen Leben? Also meine Nachbarin Luisa ist ganz sicher kein gefaktes Profil. Ihr leihe ich mein Fahrrad lieber, als Eskimo_75. Auch wenn derjenige 100 Prozent positive Bewertungen hat. Das heißt doch nichts! Bei Pumpipumpe wird im kleinen Kreis verliehen. Weil man weiß, wie die Nachbarn heißen, wo sie wohnen etc. hat man damit schon eine relativ gute „Rückversicherung“. Die Nachbarin mit meinem Fahrrad sehe ich auf jeden Fall wieder.

Wie erklärst Du dir den derzeitigen Boom der Sharing Economy?

Die Gesellschaft beginnt umzudenken. Für die Generatin Y zum Beispiel, die 25- bis 35-Jährigen, sind Statussymbole längst nicht mehr so wichtig wie für deren Eltern. Wir wollen Dinge nicht anhäufen, wir wollen sie nutzen. Wir wollen einen sauberen Balkon, aber wir wollen nicht für einmal Frühjahrsputz das ganze Jahr lang im winzigen Stadtwohnungskeller über das Hochdruckreinigerkabel stolpern. Wenn wir Dinge gemeinsam nutzen, sparen wir Kosten und schonen Ressourcen. Wenn wir „zusammenschmeißen“ können wir uns hochwertigere Produkte leisten und die immer stärker wachsende Vision vom nachhaltigen Konsum und fair produzierten Produkten leben. Und durch den häufigeren Austausch mit unseren Nachbarn fühlen wir uns in der immer schneller und digitaler werdenden Welt ein Stück geerdeter.

Meinst Du, der Nachhaltigkeitsgedanke des Teilens hat das Potential, den Markt dauerhaft zu verändern?

Absolut! Wir alle glauben daran, denn wir leben diese Veränderung ja bereits. Ich selbst komme vom Land, dort teilen wir sehr viel. Selbst Arbeitskraft und Mähdrescher! Ich habe auch später in Hamburg nie ein Problem damit gehabt, bei Nachbarn und Freunden nach Dingen zu fragen. Ich freue mich, dass immer mehr Menschen Lust darauf haben. Ich habe zum Beispiel so viele tolle Bücher, dass ich mich riesig freuen würde, wenn meine Nachbarn an einem verregneten Wochenende klingeln würden und sich ein paar ausleihen! Zum Verstauben sind sie viel zu schade! Und meine Leiter steht wie meine Stichsäge und mein Waffeleisen fast nur in der Abstellkammer herum. So geht es ganz einfach vielen. Und weil wir so viele sind, können wir auch viel bewegen.


Teaser & Image by Pumpipumpe


studiert Philosophie und Politikwissenschaft im Master und hat während ihres Journalistik-Bachelors Erfahrungen im Print-, Online- und TV-Bereich gesammelt. Seit Juni 2014 schreibt sie für die Netzpiloten vor allem über Medien und Gesellschaft.


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2 comments

  1. „Ausleihen von Nachbarn ist nachhaltig, günstig und gut für die Umwelt, weil es Ressourcen schont und Müll reduziert.“

    Ok, dann leihe ich mir mal die Nachbarin aus :D

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