Selbstverwirklichung – ein Versprechen an die Frauen?

Erst letzte Woche hatte meine Mitbewohnerin mit ihrem Freund Schluss gemacht. Eine Trennung ist nie leicht, das wissen wir alle. Somit hatte ich sie auch nicht ihre Freiheit zelebrierend und tanzend auf dem Tisch erwartet. Doch anstatt dass sie auch nur einen Funken Erleichterung empfand, wurde sie die nächsten Wochen von Ängsten geplagt. Der Grund: Sie war 27 – und Single.

Man könnte nun natürlich argumentieren, dass Frauen heutzutage im Zuge der Emanzipation selbstständig Kinder großziehen können und somit nicht mehr abhängig vom Mann sind. Dass dieser Wandel jedoch nicht nur in den Köpfen, sondern auch im gesellschaftlichen System noch nicht angekommen ist, lässt sich nicht nur an meiner Mitbewohnerin erkennen.

Die Aussichten für alleinerziehende Mütter sind nicht rosig

Denn auch andere Ergebnisse sprechen Bände: Nach dem Statistischen Bundesamt ist in 9 von 10 Fällen der alleinerziehende Elternteil die Mutter. Dabei gilt mehr als ein Drittel aller Alleinerziehenden als arm. Alleinerziehende Mütter verdienen zudem deutlich weniger als alleinerziehende Väter – das liegt vor allem daran, dass das männliche Pendant zweimal so häufig in Vollzeit arbeitet.

Die Fürsorgearbeit ist immer noch Aufgabe der Frauen

Dieser Unterschied lässt sich auch darauf zurückführen, dass trotz des Aufrüttelns der Rollenbilder seit den 90er Jahren, die Fürsorgearbeit Aufgabe der Frauen bleibt. Familiäre Angelegenheiten sowie unbezahlte häusliche Arbeit stehen Größenteils in ihrer Verantwortung, während die vergütete Erwerbsarbeit weiterhin von den Männern übernommen wird. Für Frauen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen, scheint eine Doppelbelastung unausweichlich. Viele Frauen verzichten daher auf eine Vollzeitstelle oder gehen erst gar nicht arbeiten, wodurch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich verschlechtert werden.

Zusammenfassen kann man also sagen, dass Frauen aufgrund der Fürsorgearbeit öfter in Teilzeit oder befristeten Verhältnissen arbeiten – und somit im Schnitt deutlich weniger verdienen als Männer. Um genau zu sein, verdienten Frauen nach dem unbereinigten Gender Pay Gap im Jahr 2016 22 Prozent weniger als ihre männlichen Pendants. Alleinerziehende Mütter, die sowieso unter der Vereinbarkeit von Beruf und Familie leiden, treffen diese Umstände besonders hart.

Erfolg für die Männer – Selbstverwirklichung für die Frauen?

Unser Arbeitsleben hier in Europa dauert im Durchschnitt 34,5 Jahre. Es scheint somit nicht verwunderlich, dass der Beruf für viele als identifikationsstiftend gilt und die Arbeit für die Selbstverwirklichung genutzt wird: Neben den täglichen Besorgungen und Verpflichtungen beibt kaum noch Zeit, Interessen nachzugehen, die diese Aspekte erfüllen könnten. Doch sind Frauen und Männer im gleichen Maße von dieser Entwicklung betroffen?

Wirft man einen Blick auf die Situation der Männer, so hat sich zumindest was die Fürsorgearbeit betrifft, seit den 90er Jahren nicht viel geändert: Männer sind immer noch überwiegend die Brotverdiener und üben bestenfalls ihr Leben lang einen Beruf aus, der auch ihre privaten Interessen widerspiegelt. Dabei ist ihnen vor allem der Erfolg bei der Arbeit wichtig, denn ihre persönliche Zufriedenheit hängt stärker von der beruflichen Stellung ab als bei Frauen.

Wenn für Männer somit der Erfolg bei der Arbeit an erster Stelle steht – bleibt dann die Selbstverwirklichung für die Frauen? Sie könnte jedenfalls eine attraktive Chance darstellen, die eigenen Wünsche und Interessen in den Vordergrund zu stellen, die bei der Kindererziehung lange Zeit zu kurz kamen.

Wandel muss her

Die Fürsorgearbeit der Frauen hat somit Auswirkungen auf viele Komponenten: Sie beeinflusst nicht nur den Gender Pay Gap und stellt für viele alleinerziehend Mütter eine erhebliche Herausforderungen dar, sondern könnte beispielsweise auch ein Grund sein, warum Frauen selten in Führungspositionen zu sehen sind – Selbstverwirklichung kann schließlich auch der einfache Wunsch sein, einen Beruf zu finden, der mit der Familie gut zu vereinbaren ist.

Trotzdem sollten wir uns daran erinnern, dass wir im Jahr 2017 leben – und Männer genauso wichtig für die Kindererziehung sind wie Frauen. Somit sehe ich es auch als die Aufgabe unserer männlichen Gegenüber, die Möglichkeit, länger und öfter als bisher als Elternteil zuhause zu bleiben, wahrzunehmen, um einen Wandel voranzutreiben.


Image (adapted) „Frau“ by Free-Photos (CC0 Public Domain)


hat im Juli ihr Bachelorstudium in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation in Berlin abgeschlossen. Momentan arbeitet sie in der Netzpiloten-Redaktion.


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