Russische Zensoren verheben sich an Telegram

Pavel Durov trägt schwarz, hat ein kantiges Gesicht und einen fokussierten Blick. Das lässt den Selfmade-Man des russischen Internets so unnachgiebig wirken. Es sind gute Zeiten für ihn, dieses Image weiter zu pflegen. Denn über seinen Messengerdienst Telegram misst er sich gerade mit der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor – unter dem spöttischen Jubel zahlreicher Nutzer. Dieser Kampf läuft nun schon eine Woche lang. Seit Roskomnadsor versucht, mit Telegram einen der beliebtesten Chat-Dienste Russlands mit landesweit 15 Millionen Nutzern zu blocken. Und nach Tagen gemessen, steht es 7:0 für Durov.

Zwar sind alle Internetprovider von Moskau bis Wladiwostok nach einem per Gericht verhängten Urteil angewiesen, die Internetsperre umzusetzen. Doch Durov findet technische Möglichkeiten, sie zu umgehen. Als besonders erfolgreich hat sich die Strategie erwiesen, Cloud-Dienste von Amazon, Google und Microsoft zu nutzen, um Telegram über andere Server zu leiten. Dadurch wechselt er unaufhörlich die IP-Adressen – während Roskomnadsor genau diese IP-Adressen braucht, um den Dienst per Websperre vom Netz zu nehmen.

Die Folge: Ein Katz-und-Maus-Spiel quer durchs Internet, bei dem Telegram der Aufsichtsbehörde immer einen Schritt voraus zu sein scheint. Anstatt es auf sich beruhen zu lassen – in anderen Fällen der jüngsten Vergangenheit durchaus so gehandhabt – ist diese zu brachialen Methoden übergegangen. Laut Medienberichten wurden bereits 18 Millionen IP-Adressen der Amazon-, Google- und auch Microsoft-Cloud-Services gesperrt, um Telegram darüber nicht entwischen zu lassen. Bisher mit mäßigem Erfolg. Vielfach benötigten die Nutzer nicht einmal Software-Lösungen zum anonymen Surfen, um problemlos zu chatten, heißt es.

Russland ist nicht China

Wie sich zeigt, ist Russland nicht China. Doch der Kreml versucht die Kontrolle aufs Netz mit zahlreichen Gesetzen auszuweiten. Nach Angaben von Aktivisten sind aktuell mehr als 120.000 Seiten gesperrt, viele davon wegen krimineller Inhalte von Drogenhandel bis Terrorpropaganda. In die Verbotsliste mischen sich genügend politisch unerwünschte Seiten – und seit November 2016 auch das weltweit gefragte Karrierenetzwerk LinkedIn. Dieses Blocking, das praktisch ohne Gegenwehr verlief, erwies sich als Vorbote für steigenden Druck auf Soziale Netzwerke insgesamt.

Offiziell wird dieses Vorgehen mit Vorschriften begründet, wonach russische Nutzerdaten auf Servern in Russland zu speichern sind. Daran geknüpft ist eine umfassende Kooperation mit dem Inlandsgeheimdienst FSB, inklusive Übergabe der Codes, um die Chatbereiche einsehen zu können. Dem verweigern sich viele, allen voran Facebook, Twitter und Youtube. Auch Telegram hat sich immer gewehrt.

Telegram gilt als gut verschlüsselt, ist aber nicht unumstritten

Der konkrete Vorwurf gegen Durovs App wiegt schwer: Terroristen sollen darüber kommunizieren und die russischen Ermittler glauben, auch der Anschlag auf die Metro in St. Petersburg vom April 2017 sei womöglich über Telegram geplant worden. Dass Durov auf den Druck hin noch im vergangenen Herbst seinen Angaben nach rund 8.500 Kanäle mit Verbindungen zu Terrorismus hat schließen lassen, half nichts mehr. Telegram, das als Chatdienst funktioniert, in abonnierbaren Kanälen aber auch Pinnwandeinträge ermöglicht, gilt bei verschlüsselter Kommunikation als weit vorn. Kritische Journalisten nutzen dafür gern den Modus „Geheimer Chat“, um mit ihren Quellen zu kommunizieren, auch bei Oppositionellen gilt er als unentbehrlich.

Die App ist in Tech-Kreisen allerdings nicht unumstritten, weil sie keinen offenen Quellcode besitzt – im Gegensatz zum als weitgehend sicher geltenden Messenger Signal, der von einer Non-Profit-Softwareorganisation programmiert wurde und von externen Experten jederzeit auf seine Sicherheit hin frei überprüft werden kann.

Durov seit einigen Jahren im Exil

Der jetzige Versuch, Durov mit seinem Dienst in Russland kaltzustellen, ist der größte legale Zensurvorgang, den das Land bislang gesehen hat. Der 33-Jährige selbst lebt seit einigen Jahren im Exil. Er ist ein Mathe-Genie und Milliardär, hatte sich in den 2000er Jahren mit dem Facebook-Klon VK  einen Namen gemacht. Es ist unter Russen heute das beliebteste Netzwerk, doch seit ein paar Jahren gehört es einem kremlnahen Medienimperium. Durov fühlte sich gezwungen, es 2014 abzugeben, nachdem er die Herausgabe von Daten verweigert hatte.

Im Ringen mit seiner neuen Chat-App setzen die Behörden nun offenbar alles daran, noch Boden gut machen zu wollen und verfangen sich angesichts der schieren Masse geblockter Seiten augenscheinlich in einer Eskalationsspirale; Bei der sie keine gute Figur abgeben. Die App läuft bei einem Großteil der Nutzer munter weiter. Kollateralschäden beklagen derweil unbeteiligte Dritte, deren Seiten offline gehen, sei es ein Online-Shop, ein Kurierdienst oder eine Sprachschule. Auch Medien haben Webseitenprobleme beklagt, selbst der elektronische Ticketverkauf für den Eintritt ins Kreml-Museum am Roten Platz war zeitweise nicht erreichbar. Schnell hatte die Medienaufsicht einen Zusammenhang mit ihrem Vorgehen bestritten. Doch aus dem ganzen Land kommen jeden Tag neue Meldungen geblockter Seiten. Wie dieser Zweikampf endet, ist ungewiss.


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arbeitet als freie Journalistin in Magdeburg, Berlin und Russland. Sie schreibt über Sachsen-Anhalt, Berlin sowie über das Zusammenspiel von Digitalem und Gesellschaft – und was sie sonst noch bewegt. Russland sowieso und unbedingt. Was dabei so entsteht, findet sich auf www.mgzapf.de. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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