Russland attackiert Blogosphäre. Kein Glasnost online mehr?

Russland will totale Kontrolle über das Internet: Nach der Übernahme von führenden Online-Medien nimmt der Kreml die Blogosphäre ins Visier. Im neo-sowjetischen Mediensystem stellen private Blogs einen essentiellen Teil in der Informationsvermittlung zu den Themen dar, die häufig von den vom Staat kontrollierten konventionellen Medien verschwiegen werden. Angesichts der eingeschränkten Pressefreiheit und Zensur im russischen Fernsehen übernehmen Blogger die Funktion des Watchdogs zur Kontrolle des Staates und agieren nicht selten als investigative Journalisten zur Offenlegung von Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen, Nepotismus unter den Beamten und Korruptionsaffären. Das Regime wehrt sich gegen Glasnost im Internet mit immer strengerer Gesetzgebung.

Wir kehren in die UdSSR zurück

Die Initiatoren des neuen Gesetzes betonen die Notwendigkeit zur Regulierung der „grauen Zone des Internets“ nach dem Motto, Eigentümer und Autoren aller wesentlichen Online-Ressourcen sollen registriert und für staatliche Behörden zugänglich sein. Nach der Anmeldung tragen Blogger nach den neuen strengen Mediengesetzen die volle Verantwortung für die Inhalte. Alle Foren, soziale Netzwerke, Weblogs und Webseiten, die den Nutzern Services zum Austausch von Informationen anbieten, sind verpflichtet den Datenaustausch für sechs Monate auf den russischen Servern abzuspeichern und sie nach Anfrage den Sicherheitsorganen zur Verfügung zu stellen. Die Interaktionen mit den Ermittlungsbehörden dürfen nicht bekanntgegeben werden.

Der Kreml will mit der neuen Regelung offenbar mehr Kontrolle über LiveJournal, bei dem der Großteil russischer Blogger ihre Blogs führen. Auch Facebook, Twitter und der russische Facebook-Klon Vkontakte können mit zunehmenden Druck rechnen. Unklar bleibt allerdings die Prozedur der Rechtsanwendung und der Mechanismus, nach dem die Popularität von Blogs sowie ihre Leserschaft bestimmt werden sollen. Roskomnadsor, die russische Aufsichtsbehörde für die Aufsicht im Bereich der Kommunikation, Informationstechnologie und Massenkommunikation, verfügt über keine eigenen Instrumente zur Erstellung von Ratings und ist momentan auf externe Dienste angewiesen. Ein Vertreter der Aufsichtsbehörde teilte in einem Interview mit, bestimmte Ratings-Dienste werden zum Zeitpunkt des Inkrafttretes des Gesetzes am 1. August 2014 erarbeitet. Nebenbei könnte die Popularität von Bloggern nach Anzahl von Freunden und Followern ausgerechnet werden. Viele Blog-Hostingsdienste führen eigene Statistiken und helfen dabei den Nutzern ihre Blogs zu promoten und zu monetisieren. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter veröffentlichen aber nicht Angaben über die Zahl der Leser zu den Einträgen. Es ist auch schwer vorzustellen, dass Mark Zuckerberg solche Informationen sowie persönliche Daten von Facebook-Nutzern, den russischen Sicherheitsorganen übergeben würde.

Um Blogger von gefährlichen Angriffen seitens russischer Behörden zu schützen, informierte der russische Internet-Riese Yandex über die Einstellung eigener Ratings-Dienste mit folgender Begründung: „Der Service hat schlecht funktioniert und könnte für Blogger, die demnächst den Massenmedien gleichgesetzt werden, negative Auswirkungen haben„. Auch LiveJournal musste seine Ratings der neuen rechtlichen Grundlage anpassen. Nun wird die Zahl an Followern und Freunden maximal mit „2.500+“ markiert. Die tatsächlichen Statistiken können nur Eigentümer von Blogs und Moderatoren der Internet-Plattform sehen.

Die liberale Öffentlichkeit in Russland hat mit Besorgnis auf die neue Gesetzesinitiative der Duma-Abgeordneten Irina Jarowaja und Alexej Mitrofanow reagiert. Die kritische Netzöffentlichekeit fürchtet zunehmende Kontrolle seitens des Staates und diskutiert über Schutzmechanismen. Berühmtheiten, wie die Fernsehmoderatorin und Bloggerin Xenia Sobtschak, zeigt sich kämpferisch gegenüber dem steigenden Druck des Regimes: „Ich werde meine Konten auf Twitter und Instagram weiter führen, solange es noch möglich ist. Alle Gesetze gehen in die gleiche Richtung: wir kehren in die UdSSR zurück. […] Der ganze öffentliche Raum für die Äußerung eigener Gedanken und Meinungen wird ausgerottet. Ich werde kämpfen bis zum Ende. Das ist mein Land!„. Der Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten hat die neuen Regelungen für die Blogosphäre scharf kritisiert und das Oberhaus sowie den Föderationsrat um die Zurückweisung des Gesetzentwurfes gebeten.

Kritische Internet-Medien werden wegen „extremistischer Materialien“ gesperrt

Das „Blogger-Gesetz“ folgt dem aktuellen politischen Kurs des Kremls zur Einschränkung der öffentlichen Sphäre und Unterbindung freier Meinungsäußerung. Eine ganze Reihe von drakonischen Gesetzen ist die Antwort Putins auf die Massendemonstrationen vom Dezember 2011 in Moskau. Neben der Einschränkung der Versammlungs- und Redefreiheit, Eindämmung des internationalen Austausches auf der zivilgesellschaftlichen Ebene nach dem „Gesetz über ausländische Agenten“ und Verfolgung von Regime-Kritikern steigt nun der Druck auf die unabhängige Presse und Online-Medien.

Seit Herbst 2012 dürfen Internetseiten nach dem Kinderschutzgesetz wegen Verbreitung von Informationen über Drogenmissbrauch, Selbstmord, Kinderpornographie ohne Gerichtsbeschluss gesperrt werden. Auch ohne Gerichtsbeschluss werden Online-Medien seit 1. Februar 2014 wegen „extremistischer“ Inhalte gesperrt. In der Wirklichkeit können kritische Online-Zeitungen und Blogs der Opposition auch ohne rechtliche Grundlage auf dem Territorium Russlands blockiert werden. Top-Blogger Ilja Warlamow ist aber gegenüber den Möglichkeiten russischer Behörden zur Kontrolle der Blogosphäre skeptisch: „Russland hat weder technischer noch finanzieller Ressourcen zur Einführung solcher Systeme wie in China. Es bleibt lediglich ein einziges ‚Know-how‘, nämlich das Kabel abschneiden. […] Es gibt keine hundertprozentig erfolgreichen Fälle, bei denen es den Regimen gelungen wäre, Kontrolle über das Internet zu bekommen. Das jüngste Beispiel aus der Türkei, als Twitter abgeschaltet wurde, hat dazu geführt, dass Menschen auf den Wänden Anweisungen zum Umgang mit der Sperre aufzeichneten„. Nichtsdestotrotz wurden allein in den letzen Wochen das Blog von dem Spitzenpolitiker aus der Oppositionsbewegung, Alexej Nawalnyj, sowie Informationsportale wie kasparov.ru, ej.ru und Menschenrecht-Seite grani.ru gesperrt.

In dem zunehmend autorisierenden politischen System stützt sich Putin auf die Loyalität und Kontrolle der führenden Rundfunk- und Internet-Medien. Populäre kritische Online-Zeitungen werden von kremlnahen Oligarchen oder staatlichen Medienholdings aufgekauft und die Redaktionen beeinflusst. So wurden Chefredakteure von den einst meist gelesenen Online-Zeitungen gazeta.ru und lenta.ru mit loyalen Chefredakteuren ausgetauscht. Auch die Unabhängigkeit des in Russland populärsten sozialen Netzwerkes VKontakte ist in Gefahr, nachdem sein Gründer Pawel Durov von den kremltreuen Aktionären aus dem Direktorenrat gejagt wurde. In seinem Blog schrieb er über den Druck der Sicherheitsorganen: Offiziere des russischen Inlandsgeheimdienst FSB sollen von ihm verlangt haben, ihnen den Zugang zu den persönliche Angaben von den Moderatoren der Euromaidan-Gruppen zur Verfügung zu stellen sowie die Fan-Gruppe von Alexej Nawalnyj in VKontakte zu sperren. Mittlerweile hat Durov Russland verlassen und will nicht zurückkehren. Am 24. April 2014 schrieb er auf Facebook, dass er in Europa sei und ein neues Projekt zur Entwicklung eines mobilen sozialen Netzwerkes starten will.


 


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1 comment

  1. Also kasparov.ru ist tatsaechlich gesperrt, ej.ru und grani.ru dagegen nicht.
    Nur, welchen Russen interessieren schon Kasparov und Navalnij? Das sind westliche Helden, die in Russland keinerlei Bedeutung haben. Sperrung der Seiten ist natuerlich nicht korrekt, doch sollte man hier in der westlichen Berichterstattung bei der Wahrheit bleiben.

    Dazu zaehlt auch Xenia Sobchak, die Tochter des Putin Vertrauten Stadthalters St. Petersburgs, nicht als Oppositionelle umzudeuten. Das ist geradezu absurd!

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