Warum 600 Fake-Plakate während der COP21 in Paris hingen

Die COP21 in Paris hat viel Kritik einstecken müssen. Die Organisation Brandalism entwickelte sogar Fake-Plakate der Teilnehmer. Noch 72 Stunden bis zum offiziellen Start der COP21. Sechzig Freiwillige, bewaffnet mit Steckschlüsseln und 600 Postern, schleichen mit siebbedruckten JC-Decaux-Westen durch die Straßen von Paris. Ihre Mission: Werbeplakate mit Kunst zu ersetzen und ihren Protest rund um das Sponsoring der COP21 durch große Konzerne wie Engie (ehem. GDF Suez), BMW, Dow Chemicals, Coca Cola und Air France zu verdeutlichen.

Den Klimawandel bekämpfen? Natürlich nicht, wir sind eine Fluggesellschaft.“, heißt es auf einem der Fake-Poster. Auf den ersten Blick wirkt dies jedoch überraschend berechtigt. Der Untertitel lautet: „Air France – Teil des Problems“. Das ist nur eins von 600 Postern, die im Rahmen des Brandalism-Projekts aufgehängt wurden. Ein kürzlich erschienener Bericht von Observatories Des Multinationales hat aufgedeckt, dass nur einer von zehn großen COP21-Sponsoren die CO2-Emissionen gemäß der EU-Zielvorgaben gesenkt hat. Brandalism stellt die Frage, ob man als Öffentlichkeit darauf vertrauen kann, dass Großkonzerne trotz ihres Gewinnstrebens auf die aktuelle Klimasituation reagieren.

Ein weiterer Bericht der Corporate Europe Observatory betont, inwiefern die Solutions COP21-Ausstellung, die parallel zu den Gesprächen läuft, die Möglichkeit zum “Coporate Greenwashing” vereinfacht. Es wird befürchtet, dass das Sponsoring eher zu der Problematik beiträgt, indem es den großen Firmen erlaubt, Trittbrettfahrer bei den Lösungen innovativer, kleiner Institutionen zu spielen und so von den Auswirkungen der eigenen Kernaktivitäten abzulenken. Einige der Brandalism-Aktionen greifen die freudige Ästhetik der Markenbildung dieser Veranstaltung wieder auf, um deren Legitimation in Frage zu stellen.

Plakat von Bill Posters für Brandalism (Image by Thomas Dekeyser)
Plakat von Bill Posters für Brandalism (Image: Thomas Dekeyser)

Der Solutions21-Tag „Live The Climate Experience” erhält plötzlich einen bitteren Beigeschmack, wenn er zusammen mit einem Mann und einer Frau, die eine überflutete Landschaft vor einer brennenden Öl-Plattform durchqueren, gezeigt wird. Die Frage, die sich hier stellt, ist klar: Wird die COP21 verbindliche Schritte in Richtung einer Umgestaltung der nicht-nachhaltigen Kernaktivitäten großer Konzerne hervorrufen? Oder ist das nur eine weitere Möglichkeit, die Unternehmen in einem umweltfreundlichen Licht erscheinen zu lassen?

Subvertising

Die kulturelle Störungpraxis des “Subvertisings” – ein Kofferwort aus “Subvert” und “Advertising” – ist keine Idee, die es nur im Roman gibt. Die Geschichte des Ad Hijacking reicht zurück bis in die 1970er Jahre, als das australische BUGA.UP-Kollektiv (Billboard Utilising Graffitists Against Unhealthy Promotions) mit der aus seiner Sicht offensiven Tabak-Werbung startete. Ungefähr zur gleichen Zeit initiierte die Billboard Liberation Front die Zerstörung jeglicher Außenwerbung in ganz San Francisco.

Heute erreicht die Praxis des Subvertisings neue Dimensionen. Kollektive beginnen sich global zu vernetzen, um eine immer größer werdende Kraft gegen die visuellen und mentalen Einflüsse der Werbung zu schaffen. Initiativen wie Brandalism, Brigade Antipub und Plane Stupid zielen zunehmend speziell auf die Verbindung zwischen Werbung, fossilen Brennstoffen und dem Klimawandel ab.

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Indem sie in Werbebereiche eingreifen, die ursprünglich den Konsum gefeiert haben, leiten sie deren Botschaft in Richtung Anti-Konsum. Joe Elan von Brandalism stellt fest: “Wir nehmen ihre Werbeplätze, weil wir der Werbung, die den nicht-nachhaltigen Konsum fördert, den Kampf ansagen wollen.” Brandalisms neuste “Werbungen” kritisieren nicht einfach nur, sie enthalten auch Vorschläge. Einige der Poster zeigen Worte und Bilder, die poetisch alternative Lebensstile aufgreifen, um die fundamentalen Veränderungen innerhalb unserer Kultur aufzuzeigen, die nötig sind, um den Umweltverfall zu umgehen.

Mehrere Stufen des Notstandes

Subvertising gewinnt nicht nur im Hinblick auf die COP21 an Bedeutung. Initiativen wie z.B. die “£6-Hackpacks” des Strike Magazins – mit Übernahme-Tipps für Buswartehäuschen und einem How-to Guide für nur sechs britische Pfund – betonen die Rolle von Außenwerbung für die Kommerzialisierung von öffentlichen Plätzen und den Menschen, die sie nutzen. Die Rechte innerhalb der Städte sind aktuell ungleich verteilt, mit Werbeplätzen in öffentlichen Plätzen, die nur für diejenigen zugänglich sind, die dafür zahlen können. Dies ist besonders im aktuellen Kontext innerhalb Frankreichs von Bedeutung, in dem die Regierung nach den Anschlägen vom 13. November, und den darauffolgenden Notstand, das Recht zur freien Meinungsäußerung weiter einschränkt.

Plakat von Eubé für Brandalism (Image Thomas Dekeyser)
Plakat von Eubé für Brandalism (Image: Thomas Dekeyser)

In den Wochen vor COP21 wurden Demonstrationen, die als Zentren des Umweltaktivismus gedacht waren, von der Polizei ohne juristische Überwachung beendet. Und während öffentliche Zusammenkünfte wie Fußballspiele und Weihnachtsmärkte weiterhin stattfinden dürfen, werden politische Proteste untersagt. Vor diesem Hintergrund scheint der kreative zivile Ungehorsam, der, wie Aktivist und Climate Games-Organisator John Jorden herausstellt, eine “rechtliche Grauzone darstellt”. Das ist ein guter Weg, öffentlich die Stimme zu erheben. Die Übernahme von Werbeflächen und andere Formen des kreativen Ungehorsams stellen einige der wenigen verbleibenden Mittel dar, die dazu befähigen, einen Platz in der Diskussionrunde der COP21 zu erhalten und weiterhin öffentlich wahrgenommen zu werden.

Brandalism hinterfragt VW (Image Thomas Dekeyser)
Brandalism hinterfragt VW (Image: Thomas Dekeyser)

Diese Eingriffe befähigen sicherlich auf mancher Ebene. Einer der Brandalism-Oragnisatoren sagte, dass sie sich keine besser Antwort der Öffentlichkeit hätten vorstellen können:

Auf den Straßen und auch im Internet haben wir eine große Reihe von “Dankeschöns”, Anfragen für How-to Guides und Anfragen für ausgedruckte Postern erhalten.

Die Poster sind jedoch alle entfernt worden (ohne weitere Kommentare seitens der Polizei oder JC Decaux). Es bleibt immer noch abzuwarten, ob die Kritik überhaupt Einfluss auf die COP21 haben wird.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Teaser & Image by Thomas Dekeyser


The Conversation

ist Doktorand für Humangeographie an der Universität von Southampton. Bis Februar 2014 war er in der Werbeabteilung der Agentur Saatchi & Saatchi in London tätig. Seitdem untersucht er die Folgen des Subvertinsing und interessiert sich für Politik und Visual Art.


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