Wie Mainstream-Medien noch immer soziale Veränderungen bewirken

Präsident Donald Trump hat seinen Kampf gegen die Nachrichten auf eine neue Ebene gebracht, als er ein bearbeitetes Video getwittert hat, in dem er jemandem gegenüber handgreiflich wird, dessen Gesicht mit dem Logo von CNN überblendet wurde. Der Sender wurde von „Cable News Network” in „FNN“ umbenannt – das „Fake News Network“.

Während es in den „postfaktischen“ Zeiten wie diesen und in einer Umgebung, die von einigen wenigen Medienkonglomeraten dominiert wird, viel an den Medien zu kritisieren gibt, brauchen wir die Presse doch, um unsere Anführer und Institutionen rechenschaftspflichtig halten zu können.

Wenn jedoch die Gelegenheit gegeben ist, sollten wir die Presse auch ab und zu loben. Die Serie “Unfounded“ der kanadischen Zeitung Globe and Mail ist ein Beispiel dafür. Die Macht der Presse sollte nicht unterschätzt werden – das gilt sowohl für den positiven als auch für den negativen Einfluss der Berichterstattung. Die “Unfounded”-Serie der Globe and Mail arbeitet in einer fortschrittlichen Art und Weise, um Themen ans Licht zu bringen, über die zu wenig berichtet wird. Die Serie konzentriert sich auf Fälle von sexuellen Übergriffen, die von der Polizei nicht verfolgt werden und demonstriert so die Macht der Presse, soziale Veränderung hervorzurufen.

Basierend auf polizeilichen Aufzeichnungen über 20 Monate hinweg hat die Serie unter der Leitung der Journalistin Robyn Doolittle herausgefunden, dass einer von fünf angezeigten Fällen bei der Polizei als unbegründet zu den Akten gelegt wird. Doolittle war in der Lage, die Daten zu sammeln, nachdem sie hunderte Anfragen zur Informationsfreiheit an Polizeidirektionen im ganzen Land verschickt hatte. Was sie zusammenstellte, ist mehr als nur eine schockierende Statistik solcher Fälle.

Daten und persönliche Geschichten = eine machtvolle Verbindung

Die Serie, die erst kürzlich den Data Journalism Award 2017 gewann, weil hier Datennutzung zur Aufdeckung von Systemversagen stattfand, stellt ein leuchtendes Beispiel für investigativen Journalismus dar. Doolittle bettete die statistische Analyse in eine Berichterstattung ein, die sie direkt von Frauen erhalten hat, die Opfer sexueller Übergriffe wurden und deren Aussagen von der Polizei schlichtweg abgetan wurden.

Allerdings sind die Berichterstattung der Serie und ihre Präsentation in den darauffolgenden Monaten nach der Untersuchung ebenfalls bemerkenswert. Anstatt die Story irgendwo auf den letzten Seiten der Zeitung zu vergraben, druckte man diese auf der Titelseite aus. Und das nicht nur einmal, sondern regelmäßig.

Ich habe jahrelang die kanadische Medienlandschaft verfolgt und glaube, dass dies im starken Gegensatz zur gewöhnlichen Berichterstattung anderer berichtenswerter Geschehnisse steht. Generell erscheinen diese ein- oder zweimal oder werden irgendwo in der restlichen Berichterstattung eingebettet. Sie verschwinden nicht nur aus den Zeitungen, sondern auch aus dem kollektiven Gedächtnis der Leser. Hier funktioniert Wiederholung, um die Story in der öffentlichen Wahrnehmung und in den Köpfen der Gesetzgebung am Leben zu halten.

Zusätzlich gab die Globe and Mail eine zwingende und persönliche Perspektive zur Berichterstattung vor. Das Blatt gab jeden Tag Neuigkeiten zu einem Fall einer Bürgerin heraus, deren Fall von der Polizei als haltlos eingestuft und zu den Akten gelegt wurde. Dieser Einschub sorgte für eine Vermenschlichung der Story. Dazu kommt, dass die tägliche Veröffentlichung derlei Berichte auch bewirkt hat, dass sie den Lesern im Gedächtnis bleiben.

Die Regelmäßigkeit der Veröffentlichungen und die strukturierte Perspektive, die sowohl durch die einzelnen Geschichten als auch durch das Bild im Ganzen gestärkt wurde, fingen die Komplexität und die Vielschichtigkeit des Themas besonders effektiv ein.

Die Gesetzgebung kümmert sich

Es war keine Überraschung, die grundlegenden Veränderungen nach der Veröffentlichung der Serie zu beobachten. Nicht nur haben verschiedene Polizeikräfte versprochen, die als haltlos eingestuften und zu den Akten gelegten Fälle neu aufzurollen, auch das Statistikamt Kanadas verpflichtete sich dazu, Daten aus den verschiedenen Teilen des Landes über dieses Thema zu sammeln. Politiker versprachen, ebenfalls mehr Geld für die Ermittlung von geschlechterbasierender Gewalt bereitzustellen und neue Strategien zum Umgang mit Fällen sexueller Übergriffe zu entwickeln. Erst vor Kurzem konnte die Polizei von Ottawa eine Person aufgrund der Informationen, die sich durch die Serie ergeben hatten, festsetzen.

Die Serie “Unfounded” von der Mail and Globe zeigt die wahre Macht des investigativen Journalismus. Die aktuelle Serie der Zeitung über den Missbrauch des Gesundheitssystems durch doppelte Zahlungen verspricht genauso aufklärend zu sein und hoffentlich genauso bahnbrechend. Falls die Zeitung auch Themen wie Rassismus, Islamophobie und andere Formen der Gewalt in diesem Stil behandeln würde, würde sie auch die wahre Rolle der Nachrichten erfüllen: Die Bevölkerung zu informieren und aufzuklären.

Jedoch kann man der Realität der heutigen Medienlandschaft nicht entkommen. Mit der zunehmenden Vorherrschaft der sozialen Medien als Mittel, mit denen Nachrichten konsumiert werden, bekommen Serien wie „Unfounded“ oft nicht die Ausstrahlungszeit, die sie verdienen. Stattdessen überwiegt die häppchenartige Berichterstattung – und eine ausführliche Berichterstattung bleibt nur als Zeitvertreib einiger Weniger.

Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „newspaper“ by bykst (CC0 Public Domain)


The Conversation

ist Professorin für Kommunikationswissenschaften an der Concordia Universität in Montreal, Kanada. Sie leitet außerdem Forschungen zu verschiedenen Formen von Diskriminierung, Gewalt-Intersektionalität und Widerstand.


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