Open-Source-Film: „Den Film weiterleben lassen“

Freie Filme für freie Menschen – so könnte man den Grundgedanken des Open-Source-Film formulieren. Der erste deutsche Open-Source-Film ist das Road-Movie „Route 66“ (2004) aus dem Hause VEB-Film, das mit seiner Anspielung auf die „Volkseigenen Betriebe“ den Gedanken der Open-Source bereits im Namen trägt. Wir sprechen mit Stefan Kluge, Regisseur  und Betreiber des Labels VEB-Films, über seinen Werdegang und den Open-Source-Film. Das Interview steht natürlich unter einer CC BY-SA Lizenz.

Blogpiloten: Du bist eigentlich Informatiker. Wie bist du zum Film gekommen?

Stefan Kluge: Das war eher Zufall. Ich habe schon immer gerne fotografiert und Computerspiele gemacht, dann aber Informatik studiert. Nach dem Studium bin ich in die Staaten gegangen und habe mir dort ein Auto gekauft. Das war ein spektakulärer Oldtimer, ein riesiges schweres Eisenschwein. Und das musste ich wieder zurückbringen, als ich die Staaten verlassen habe – an den, bei dem ich es gekauft hatte. Ich habe zwei Freunde aus Deutschland gebeten, rüberzukommen und den Rückweg zu filmen. Da haben wir dann „Route 66“ draus gemacht, mit dem ich in den Film reingestolpert bin. Der Film kam beim Release gut an, und ich bin dabei geblieben.


BP: Und wie kamst du auf die Open-Source-Bewegung? Die war damals noch ziemlich klein und unbekannt.

SK: Also, einmal durch die Informatik, zum anderen durch Free Culture und Open Content. 2004, als wir den Film releast haben, war es nicht gang und gäbe, dass lange Filme im Netz veröffentlicht wurden. Das war vom Traffic her ziemlich schwierig, es gab nur ein paar Seiten, bei denen das ging. Eine davon war archive.org. Die hatten eine CC-Lizenz als Bedingung. Auf dem Weg habe ich zum ersten Mal von CC gehört.

BP: Auf eurer Webseite schreibt ihr vom Internet und freier Digitalkultur. Was bedeutet Open Source für dich heute?

SK: Durch Open Source hat sich eine existierende Community in Deutschland für uns aufgetan. Wenn dann Gesichter dahinterstehen und du dich mit den Leuten unterhälst, dann fängt die Arbeit an, Sinn zu machen. In Sachen Filme-Machen ist Open Source für mich weniger die Zusammenarbeit: Open Source-Methoden aus der Software-Branche im Film, da bin ich skeptisch. Ich habe noch kein Projekt gesehen, bei dem so ein richtig guter Film herausgekommen wäre. Ich habe auch bei mir selbst gemerkt, dass es keinen Sinn macht, die Strukturen eines Software-Entwicklungsprozesses herstellen zu wollen. Das funktioniert nicht richtig beim Film. Open Source beim Film, das ist für mich die Lizensierung: Quellen und alles, was man braucht, um den Film weiterleben zu lassen, zugänglich machen, so dass andere etwas damit machen können. Mit dem Film, dem Soundtrack. Ich habe auch die Terminologie der Open Source übernommen: ein Beta-Release eines Films wird noch nicht als fertig deklariert, soll aber schon Feedback hereinholen. Und Distribution nenne ich es, wenn ein Film mit den Quellen veröffentlicht wird, z.B. gibt es eine Distribution für VJs, die völlig andere Bedürfnisse haben als Filmhochschulstudenten.

BP: Eure Filme stehen unter einer sehr freien Lizenz: Viele Kreative schließen kommerzielle Nutzung aus, ihr aber wollt nur Namensnennung und Weitergabe unter gleichen Bedingungen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

SK: Angefangen haben wir mit „Route 66“ auch mit der üblichen Lizenz, die kommerzielle Nutzung ausschließt. Das ist das normale Denken, das man früher hatte: Man möchte nicht, dass jemand anderes mit seiner Arbeit Geld verdient. Aber dann habe ich mich theoretisch immer mehr damit beschäftigt und einige Paper geschrieben. Mir ist aufgefallen: Je nachdem, welches Geschäftsmodell man mit dem Film schaffen möchte, macht es sogar ökonomisch Sinn, kommerzielle Verwendung zuzulassen. Diese Lizenz ist ziemlich selten, weil die meisten sich nicht genug damit auseinandersetzen: Du musst auch Profis erlauben, einen Mehrwert mit deinem Film zu schaffen. Der Profi muss dann jedoch auch sein Werk kommerziell verwerten können, sonst kann er seine Zeit nicht investieren. Aber wenn der Profi damit Geld verdient, verdienen wir damit nicht weniger Geld. Wenn zum Beispiel ein Spanier aus dem Film eine spanische Version macht, erlaubt das unsere Lizenz – wenn er unter der freien Lizenz belassen wird. Dann können wir unsere Version erweitern mit einer spanischen Tonspur und haben auch einen Mehrwert.

BP: Das heißt, ihr finanziert die Produktionen aus dem, was daraus entsteht – DVDs und Aufführungen?

SK: Bei „Route 66“ hatten wir ungefähr ein Drittel Spenden. Das wird jetzt aber abnehmen, weil das damals der erste deutsche Open-Source-Film war. DVD-Verkäufe waren auch ein Drittel, obwohl es auch einen Download gab. Und dann noch Aufträge, die wir wegen des Films bekommen haben. Gerade habe ich ein weiteres Road-Movie publiziert, „Der Geist der Biker“, diesmal zuerst als DVD. Der Download ist derzeit noch nicht zu haben, ich suche dafür noch einen Sponsor.

http://www.youtube.com/watch?v=ri1GsZlLIrs

BP: Wie ist die Arbeit in eurem Netlabel?

SK: Also, Fulltime arbeite nur ich an den Filmen, die anderen Jungs haben eigene Unternehmen. Sie arbeiten mit, um das machen zu können, worauf sie in kreativer Hinsicht Lust haben.

BP: Euer nächster Film, an dem ihr gerade arbeitet, ist „Die letzte Droge“.

SK: Ja, das ist ein Cyber-Punk-Science-Fiction. Es geht um eine künstliche Intelligenz, die nach einem digitalen Bewusstsein sucht, nach einer Art Seele. Ein junger Forscher macht ein Experiment, um mit seiner Seele der KI zu helfen, ihr digitales Bewusstsein zu finden.

BP: Was würdest du jungen Filmemachern empfehlen, wenn sie sich für Open-Source-Filme interessieren? Was wäre ein erster Schritt?

SK: Das hängt von der Persönlichkeit ab. Mir hat es gut getan, ziemlich naiv ranzugehen und den Film einfach zu machen. Einfach die Kamera in die Hand nehmen und die Leidenschaft nutzen, die man für sein Projekt hat. Wir hatten das Glück, dass wir ein großes Feedback bekommen haben, weil „Route 66“ der erste deutsche Open-Source-Film war. Wenn ich ihn mir heute noch anschaue, hat er immer noch diesen Amateur-Charme. Ich glaube, wenn man diese Leidenschaft in den Film packen kann, dann findet man im Netz Leute, die ihn mögen. Gerade bei einem freien Release. Deshalb: auf jeden Fall unter einer Creative-Common-Lizenz frei releasen! Es macht keinen Sinn, den Film wegzusperren oder zu versuchen, ihn zu verkaufen und in einigen Kinos zu zeigen. Das klingt zwar gut, aber es bringt einen nicht weiter. Was einen weiterbringt, sind die Kontakte, die durch einen unkontrollierten Release entstehen. Also: einfach ins Netz stellen, PR machen, dafür sorgen, dass ihn viele Leute sehen, und dann passiert es, wenn der Film seinen Charme hat. Dabei hilft es, wenn es eine Community für das Thema gibt, die man im Netz findet.

BP: Wo geht für dich die Reise hin?

SK: Das ist bei mir wie bei vielen Netz-Unternehmen: Ich probiere viele Ideen aus, und von zehn funktioniert eine, die ich weiter verfolge. Sich eine Roadmap zu stecken, das hat bei einer Geschäftsidee im Netz wenig Sinn.

Bildnachweis: Marie Galinsky (CC BY-SA)

ist Medienwissenschaftler und beobachtet als Autor („Grundkurs Gutes Webdesign“) und Berater den digitalen Wandel. Seine Themenschwerpunkte sind User Experience, anwenderfreundliches Design und digitale Strategien. Er schreibt regelmäßig für Fachmedien wie das t3n Magazin, die Netzpiloten oder Screenguide. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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