Online-Präsentationen: Das gute Webinar oder doch nur loslabern?

Das gute Webinar

Blecherne Stimmen, verkrampfte Moderation, kaum Interaktion und Referenten, die mit einer Flut von propagandistischen Powerpoint-Folien im sonoren Ton loblabern und wehrlose Zuschauer in den Netzschlaf wiegen: Man nennt das Ganze auch Heizdecken verkaufen über so genannte Webinare.

Um uns aus der Flut von belanglosen Online-Präsentationen zu erretten, kommt der Band „Das gute Webinar“ (erschienen im Addision-Wesley-Verlag) von Rhetorik-Expertin Anita Hermann-Ruess und dem Visualisierungs-Spezialisten Max Ott gerade richtig.

Unterschätzte Risiken

Denn Webinare bergen Risiken, die vielfach unterschätzt werden: „Erstens können sie falsch eingesetzt werden, zweitens kann die Technik Probleme machen, und drittens können sie schnell zum Wegklicken langweilig werden“, schreiben die beiden Autoren. Entsprechende Flurschäden entstehen bei potentiellen Kunden oder Mitarbeitern, die enttäuscht und demotiviert auf der Strecke bleiben. Was Organisationen an Reisekosten und organisatorischem Aufwand einsparen, muss mit viel Zeit und Energie für die Wiedergutmachung kompensiert werden.

Dabei liegen die Vorteile von Online-Präsentationen auf der Hand: Man erreicht wichtige Entscheider, die über wenig Zeit verfügen. Zielgruppen können mit einem kostengünstigen Format und größerer Reichweite erschlossen werden. Webinare sind eine recht junge Disziplin und bieten Chancen, selbst verwöhnte Teilnehmer zu überraschen, wenn das Programm die ausgetretenen Pfade der Frontalberieselung klassischer Tagungen verlässt. Auch die Einbindung hochkarätiger Experten gelingt leichter, da sie sich räumlich nicht wegbewegen müssen und schon mal eine Stunde für einen Vortrag vom eigenen Laptop investieren. Es entsteht sogar ein asynchroner Nutzen durch die Aufzeichnung der Veranstaltung und bietet Möglichkeiten der Zweitverwertung via Slideshare, Youtube, Blogs, Xing, Twitter und Co.

Webinare unterstützen nachhaltiges Lernen, da man sich die Inhalte immer wieder ansehen kann. „Forscher haben herausgefunden, dass wir dann am besten lernen, wenn der Lerninhalt uns in kleinen Häppchen und kontextrelevant angeboten wird. All das kann ein Webinar optimal leisten und das Publikum dauerhaft begeistern“, so Hermann-Ruess und Ott.

Soweit die Vorteile. Aber wie sieht das Szenario eines guten Webinars aus? Charts, Rhetorik, Persönlichkeit, Stimme, Onlinemethoden, didaktisches Konzept und Technik müssen durch Exzellenz glänzen.

Webinar-Redner als Schlafablette

Selbstgefällige Redner, die sich als stotternde Vorleser von übel gestalteten Textfolien mit phrasenhaften Bullet-Points darstellen, nerven schon bei normalen Präsenzveranstaltungen. Virtuell wirken sie besser, als jedes handelsübliche Schlafmittel. Wenn man das Gehirn dieser Zuhörer nun mit dem Computertomografen analysieren könnte, leuchtet nicht das Belohnungssystem auf, sondern die Neigung zur Bestrafung. Im Auditorium eines Kongresses unterhält man sich dann mit seinem Nachbarn, studiert die neuesten Nachrichten auf dem iPad oder übersät seine Tagungsunterlagen mit „Das-ist-das-Haus-vom-Nikolaus“-Zeichnungen.

Da bei einem Webinar die negativen Reaktionen nicht sichtbar sind, „könnten sich die gelangweilten Teilnehmer durch das Ausbleiben von sozialen Kontrollmechanismen getrost einer Parallel-Beschäftigung widmen, E-Mails checken oder an ihrem Dokument weiterarbeiten. Das ist leider die Realität schlecht gemachter Online-Präsentationen“, führen die beiden Webinar-Kenner aus.

Die Stimme als Folterinstrument

Was bei einem normalen Kongress schon tödlich sein kann, beschleunigt sich bei Webinaren wie in einem Katalysator. Als Redner bekomme ich virtuell kaum eine Chance, das Ruder herumzureißen und mit einem Witz oder einer Anekdote das Publikum wieder für mich zu gewinnen. Wenn Referenten dann noch mit monotoner und einschläfernder Stimme aufwarten, ihre Denkpausen mit „Ähs“ und „Ahms“ überspielen, Silben verschlucken und ständig ins Mikrofon bellen, wirkt das Gesagte wie eine Foltermethode für die Ohren. Aber selbst wenn die Charts grafisch begeistern, die Sprache wirkungsvoll eingesetzt wird und die Stimme nicht die Ohren verunreinigt, schwächeln viele Webinar-Anbieter an der Didaktik und Online-Methodik, wenn es um Interaktionen geht. Man sollte daher auch technologisch auf der Höhe sein, um Dialoge zu ermöglichen.

Auf die Software achten

Die beiden Buchautoren schlagen einige Tools vor. Etwa Icebreaker. Hier kann der Referent eine Deutschlandkarte zeigen und die Teilnehmer bitten, einen Pfeil an die Stelle einzuzeichnen, an der sie heute zuhören. Chats sollten zum Standard zählen. Statistiken könnte man mit einer Umfrage verbinden. Bei kleinen Gruppen besteht der die Möglichkeit eines Gedankenaustauschs durch Mikrofon-Freigabe. Der Referent bittet die Teilnehmer, sich mit virtuellem Handzeichen zu melden und moderiert die Diskussion. Ideen können über ein Whiteboard vertieft werden. Über Gruppenarbeiten könnte man in getrennten virtuellen Räumen die vorher am Whiteboard gesammelten Ideen auswerten. Voraussetzung ist natürlich eine vielseitig einsetzbare Collaboration-Software. Entscheidungskriterien für die richtigen Programme bietet das Buch von Hermann-Ruess und Ott reichlich. Genauso wie nützliche Tipps zur Vorbereitung, spannungsgeladenen Durchführung und dauerhaften Präsenz im Netz. Ein Kapitel „Lernen von den Besten“ darf natürlich nicht fehlen. Man muss das Rad ja nicht neu erfinden, um nicht im Mittelmaß der inflationär angebotenen Webinare zu versinken. Heizdecken-Verkäufe sollte man den Propagandisten auf Kaffeefahrten in den Harz überlassen.

ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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