“Occupy hat bewiesen, dass die Jugend noch protestieren kann”

Im Herbst 2011 wurde der New Yorker Zuccotti Park das Zentrum der Occupy-Wall-Street-Protestaktion. Fast zwei Jahre später hat Jakob Steinschaden den Park und die Demonstranten besucht und geschaut, was aus den Protesten und Menschen geworden ist.

Und plötzlich ist das Schlagwort Occupy wieder da. In der Türkei ist der Gezi-Park in Istanbul zum Symbol für die Proteste gegen die Staatsgewalt und Polizeibrutalität geworden, in Frankfurt ging die Polizei hart gegen die Blockupy-Proteste vor. Doch was wurde eigentlich aus der Bewegung, die im Oktober 2011 auf der New Yorker Wall Street ihren Anfang nahm und weltweit für Schlagzeilen sorgte? Natürlich gibt sie noch. Sie ist nur nicht mehr so sichtbar wie vor eineinhalb Jahren, sondern vielmehr im sprichwörtlichen Untergrund unterwegs, wie mein Besuch bei einer Splittergruppe von Occupy Wall Street in New York zeigte.

Wer den kleinen Zettel an der Klingel der Judson Memorial Church nahe dem Washington Square Park in Manhattan übersieht, wird die Occupy-Gruppe wohl nie finden. Unten im Keller, in der Versammlungshalle, finden sich nach und nach 40, 50 Leute ein. Heute, ein verregneter Abend Ende Mai, geht es darum, Occupy mit anderen anarchistischen Gruppen und radikalen Kampagnen zusammenzubringen und über gemeinsame Ziele und Aktionen zu diskutieren. Die Teilnehmer, die sich da unten zusammenfinden, sind aber nicht die üblichen Verdächtigen. Klar, viele sind studentisch gekleidet, jung, urban, mal mit schwarzem Kapuzenpulli, mal mit Kappe, mal mit Dreadlocks. Doch daneben sitzen Leute, die man bei Occupy eher nicht erwarten würde – etwa einige Senioren, die sich lieber zum Diskutieren in den Keller der Baptistenkirche (sie stellte anarchistischen Bewegungen ihre Örtlichkeiten schon öfter als Treffpunkt zur Verfügung, z.B. dem Audre Lorde Project) setzen als oben im Park Schach zu spielen.

Der Feind heißt immer noch “Wall Street”

Doch ist das jetzt das, was von Occupy Wall Street übrig geblieben ist, ein buntes Grüppchen im sprichwörtlichen Untergrund? “Es gibt nicht mehr die eine Gruppe, die sich Occupy Wall Street nennt, vielmehr sind es viele verschiedene Gruppen”, erklärt mir Linnea Palmer Paton, die Medienarbeit für Occupy.net macht. Die Studentin aus Boston, die sich dort bereits in gewaltlosem, zivilem Ungehorsam übte (“es ist großartig, seinen ganzen Körper für das einzusetzen, wofür man kämpft”), kam nach New York und war sofort davon fasziniert, dass Leute einen Park besetzten und dort übernachteten. Mit vier anderen Freiwilligen kümmert sie sich heute um die Medienarbeit von Occupy und arbeitet derzeit daran, die vielen Splittergruppen wieder mehr miteinander zu vernetzen. “Es gibt verschiedene Manifestationen unserer Ziele, aber gemeinsam ist allen Gruppen, dass sie Gerechtigkeit für die Arbeiterklasse fordern und gegen die Wall Street ankämpfen. Alle stimmen überein, dass die Wall Street die Wurzel des Übels ist. Wie die Wall Street die Welt beeinflusst, ist sehr verschieden, deswegen gibt es auch unterschiedliche Gruppen und Strategien.

Die Gruppen, die heute lose zur Occupy-Bewegung gehören, sind sehr divers. Da gibt es etwa Leute, die einen Marsch gegen den Saatgutkonzern Monsanto (in die Kritik wegen dem bedenklichen Umgang mit Patenten gekommen), während andere sich in den “Strike Debt”-Aktionen engagieren: Dabei werden Spenden online gesammelt, um Personen oder Familien aus den Schulden freizukaufen, die sie aufgrund medizinischer Probleme angehäuft haben. Bis dato wurden etwas mehr als 50.000 Dollar aufgestellt, berichtet Paton. Die OWS Alternative Banking Group setzt auf Aufklärung und will bei Treffen über die Misstände im Bankenwesen aufklären, während Occupy The Pipeline gegen das ihrer Meinung nach gefährliche Spectra-Pipeline-Projekt, das New York künftig mit mit 800 Mio. Kubikmeter Gas pro Tag versorgen soll, aufbegehrt. Bei Occupy Our Homes geht es darum, verschuldeten Menschen vor dem Verlust ihrer Heime zu bewahren, und Occupy Sandy bemüht sich darum, den Opfern von Hurrikan Sandy in New York zu helfen.

Nicht nur aus dem linken Lager

Wir besetzen zwar den Park (Zuccotti Park, Anm.) nicht mehr, aber wir sehen die Ungerechtigkeit und werden uns nicht mit ihr arrangieren”, sagt Linnea Paton. Derzeit werden Pläne für eine große Demonstration im September auf der Wall Street geschmiedet, um zwei Jahre nach der ersten Großdemonstration zu zeigen, dass die Bewegung noch am Leben ist. Die Behörden sind wohl auch deswegen immer noch aufmerksam. Bei der Diskussion in der Judson Church äußern einige Teilnehmer Befürchtungen, das Treffen wie diese von der Polizei unterwandert werden – misstrauische Blicke schweifen durch den Raum und bleiben vor allem bei neuen Gesichtern hängen.

Ob die Demonstration im Herbst ein Erfolg wird, ist derzeit ungewiss. Erreicht hätte man immerhin schon einiges. “Ich bin 24. Früher haben die Leute gesagt, dass unserer Generation alles egal ist und sie nicht mehr gegen etwas protestiert. Occupy hat bewiesen, dass sie falsch liegen und die Jugend noch protestieren kann. Es gab bis dato mehr als 1500 Besetzungen”, sagt Paton. “Occupy hat erreicht, dass die Stimmen der Jungen im politischen System wieder gehört werden. Außerdem hat es sie darauf vorbereitet, was noch kommen kann, und ich bin da sehr zuversichtlich.

Im linken/linksextremen Eck will sie die Bewegung, so man heute von einer sprechen kann, nicht sehen. “Die Occupy-Leute kommen aus allen politischen Richtungen, es kommen Demokraten, Liberale, Konservative, Anarchisten, Kommunisten”, sagt die Occupy-Sprecherin. “Heutzutage ist es ja nicht schwer, jemanden zu finden, der unzufrieden mit der gegenwärtigen Politik ist und findet, dass Geld alle unsere politischen Institutionen korrumpiert hat.” Einen gemeinsamen Nenner gebe es auch insofern, dass einige der anarchistischen Prinzipien von Occupy (z.B. Abhalten von General Assemblys; es wird immer versucht, Konsens unter allen Mitgliedern zu erreichen, Kompromisse werden abgelehnt) der Anfangstage bis heute Bestand hätten.

“Massenbewegung, aber keine Partei”

Wie die Zukunft von Occupy Wall Street aussieht, und ob sie es aus dem Keller wieder in die Schlagzeilen schaffen werden, muss die Zukunft zeigen. Fix für Paton ist jedenfalls, dass aus Occupy keine politische Partei werden wird. “Ich glaube nicht, dass Occupy einmal in einer politischen Partei mündet, und ich glaube auch nicht, dass wir das wollen. Ich habe vielmehr die Hoffnung, dass wir eine Massenbewegung mit direkter demokratischer Mitsprache werden. Man muss nicht gewählt werden, um politischen Wandel zu erreichen. Man kann Streiks organisieren, man kann sich kollektiv weigern, Steuern oder Schulden zu zahlen”, so Paton. “Meine Generation sieht die Politiker sehr zynisch. Ich meine, es war ja Barack Obama selbst, der die meisten unserer Proteste hat stoppen lassen. Die Jungen wollen lieber ihre eigenen Institutionen schaffen, weil sie sich nicht auf die Politiker verlassen können. Es ist klar, dass diese uns in keiner Weise repräsentieren.” Angesprochen auf die europäischen Piratenparteien, die etwa 2012 in Deutschland und Österreich einen Höhenflug erlebten, muss Paton grinsen. “Viele Leute hier haben Kontakte zu den Piratenparteien in Europa und den Demonstranten in Spanien. Viele Leute hier sympathisieren mit den Piraten, und ich persönlich finde sie ziemlich cool. Aber die wenigsten wollen politischen Wandel durch eine Partei erreichen.


Image (adapted) „Occupy Wall Street“ by Eden, Janine and Jim (CC BY 2.0)


ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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