Neuer Trend: Geschlossene Netzwerke im offenen Web

Michael Arrington sprach Facebook diese Woche eine negative Eigenschaft zu, der sich viele Entwickler in deren neuen Projekten bereits entledigt haben: Mit dem Blogbeitrag „Nobody goes to Facebook anymore. It’s too crowed“ spricht er aus, was viele denken und worin sich auch ein Trend abzeichnet: weniger ist mehr! Denn, Netzwerke wie Facebook sind anscheinend zu aufgebläht. Der dort entstandene Information-Overflow und der permanent steigende Qualitätsverlust, der dort geteilten Inhalte, verprellen so manch einen User, sodass diese sich zurückziehen in (noch!) kleinere, elitärere Netzwerke wie Google Plus. Doch ist dieser Trend erforderlich, gar nützlich?

Beispiele schießen wie Wolkenkratzer aus dem Boden

Erkannt haben diesen Trend auch einige Start-ups hierzulande. Berühmtes deutsches Beispiel ist das Hamburger Projekt Quote.FM. Dass seit September 2011 gestartete Projekt, möchte seinen Nutzern qualitative Texte präsentieren, indem man über Zitate, gute Inhalte als Leseempfehlungen teilen kann. Die zitierten Empfehlungen werden dabei in einer Timline aufgeführt und sind für andere Nutzer einsehbar. Dabei kommt man in das Netzwerk nur über eine Einladung rein, die dem Lesezirkel den Glanz eines Gentleman-Clubs aus dem letzten Jahrhundert verpasst, indem eine Eintrittskarte so begehrt ist wie ein exklusives Wulff-Interview dieser Tage oder wie eines dieser goldenen Tickets aus Charlies Schokoladenfabrik. Aus Qualitätsgründen ist es zwar jedem gestattet als sogenannter Apprentice, andere Nutzer zu folgen und deren Zitate zu konsumieren, allerdings aktiv mitzitieren, dürfen nur wenige ausgewählte Personen, die durch Invites in den Olymp der Kuratoren gehoben werden.

Damit steht Quote.FM nicht alleine da. Auch die größeren Brüder aus Amerika, die sich öfter und lieber dem Mainstream zuwenden, als es hierzulande geschieht, fahren inzwischen den Kurs der beschränkten Inhalte. So auch Path. Path ist ein Facebook-ähnliches Netzwerk, welches in der Tech-Szene derzeit ganz hoch bejubelt wird. Facebook-ähnlich ist dabei untertrieben. Von der Funktionalität her ist es genau wie Facebook. Vernetzte User teilen Fotos, Standorte, Musik, Artikel und alles was sich sonst noch so hinter einem Link verbergen kann. Der Unterschied ist allerdings, dass die Anzahl der Freunde im Netzwerk beschränkt werden auf gerade einmal 150 Personen. „Share life with the ones you love“, ist das Credo und beschwört einen familiäreren Umgang auf der Plattform.

Exklusivität und Intimität

Die Sehnsucht nach Exklusivität und Intimität bilden bei diesen Paradebeispielen den Motor des Erfolges. Denn anscheinend haben sich viele Facebook-User verspekuliert und geraten aus dem selbstgeschaffenen Sog der unterschätzten Umtriebigkeit nicht mehr heraus. Wie die neue Frisur bei Frauen, die für einen Neuanfang steht, sorgt das Erscheinen dieser trendigen Plattformen bei Usern für den benötigten Veränderungsimpuls mit altbegehrten aufzuräumen. Aufgeräumt wird aber nicht wirklich. Eher werden die Zelte abgebaut und woanders wieder errichtet. Bis sie dann wieder zunichte gemacht werden, vielleicht weil man sich dann mehr Offenheit wünscht? Zurück bleiben Geister-Accounts, deren Spuren aber noch Jahre später im Web zu finden sind.

Anstatt Personen zu adden, die einer wahrhaftigen Freundschaft oder zu mindestens einem engeren Bekanntschaftsgrad unterliegen, anstatt Seine Kontakte vernünftig zu verwalten und mit Listen zu organisieren, hat man geaddet was das Zeug hielt und vom Unsubscribe-Button im Newsfeed keinerlei Gebrauch gemacht. Ich wage zu bezweifeln, dass die Mehrheit den Button überhaupt kennt.

Dabei kann man auch auf Facebook Intimität finden. So schicke ich bestimmte Inhalte per PN an meine Familienmitglieder und tausche mich dort mit Ihnen darüber aus. Ich poste manche Bilder und markiere sie mit dem Vermerk nur für „Enge Freunde“ sichtbar machen, worauf die Personen die ich vorher in diese Liste eingeordnet habe, den alleinigen Zugang zu dem Inhalt haben. Auch das Einordnen von verschiedensten Kuratoren und Multiplikatoren in der Liste der Abonnements und durch die Verbannung aus dem globalen Newsfeed macht es mir leicht Experten zu folgen. Und diesen Content selektiv betrachten zu können. All das, was die neuen Netzwerke angeblich zum ersten Mal versprechen, ist eigentlich schon immer da gewesen.

Das offene Netz schafft sich ab

Was viele vielleicht aber ferner nicht sehen, ist dass diese neuen elitären Kreise und geschlossenen Plattformen dafür sorgen, dass der freie Zugang zu Inhalten dadurch abrupt einer mehr oder weniger stattfindenden Zensur verkommt. Nicht etwa weil man nicht mehr alle Inhalte konsumieren kann – dass wie oben erwähnt bereits durch beschränktes Teilen von Inhalten auf den herkömmlichen Netzwerken auch gegeben ist – sondern weil schon alleine der Zugang zu den Tools reglementiert ist. Zumindest sehen wir das bei Quote.FM. Bei Path wird es sicherlich sogar so weit kommen, dass die Techies und Blogger sowie die journalistische Elite sich ferner nur noch hier mit interessanten Gesprächen konfrontieren werden. Ohne neugierige Blicke Dritter. Achtung! Spekulative Aussage: Es lebe das Zweiklassen-Netz. Der Mob hat hier nichts zu suchen. Ist seine Meinung, doch weder fachlich noch intellektuell anregend. Doch kann dass das Ziel sein? Eigentlich nicht.

schreibt seit 2011 für die Netzpiloten und war von 2012 bis 2013 Projektleiter des Online-Magazins. Zur Zeit ist er Redakteur beim t3n-Magazin und war zuletzt als Silicon-Valley-Korrespondent in den USA tätig.


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7 comments

  1. …Das ist alles nicht neu. Früher nannte man das ganze „moderierte Newsgroup“, als im damaligen Usenet nur Texte durch die Telefonmodems gequetscht wurden.
    Es wird sicherlich in Zukunft beides geben – Facebook und Konsorten für die breite Masse, die breit beworben werden und sich in scharen mit Marken-Produkten „anfreunden“ sowie zweckgebundene, limitierte Netzwerke, die Interessengruppen intern vernetzen. Um in Sozialen Netzwerken nicht zu verunglücken hilft nur eins: WISSEN, was man tut!

  2. „Zweiklassen-Netz“ ist ein hübsches Schlagwort … Ich für mich finde es natürlich schade, wenn Austausch für mich unerreichbar (Direkter Zugang / RSS / Suchmaschine / Stream) stattfindet. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass sich das zu einem größeren Problem auswächst.

    Zum einen meine ich, dass der Wunsch nach einer klaren Gruppenzugehörigkeit (böse formuliert: elitärem Gefühl) den Menschen grundsätzlich zu eigen ist. Es wird immer Nachfrage danach geben, und deshalb immer auch Angebote.

    Andererseits sehe ich einen Grund, warum diese abgegrenzten Zirkel an ihre natürlichen Grenzen stoßen: die Inhalte werden nicht von den Suchmaschinen indiziert, wie es z.B. bei Blogs der Fall ist. Und wer will schon komplett auf Reichweite verzichten? Wer äußert sich öffentlich, und verzichtet dabei auf „Öffentlichkeit“? ;-)

    Was mir allerdings sauer aufstößt, ist dass Kommentardiskussionen in dem Zusammenhang mittlerweile so fragmentiert sind. Wenn beispielsweise ein Blogartikel auch auf G+ gepostet wird, dann findet die Diskussion eher auf G+ statt, warum auch immer. Das sollte alles irgendwo wieder zusammengeführt werden, von mir aus auch in den Blog importiert werden…

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