Medienkonvergenz im Bundestagswahlkampf

Von Twitter und Facebook über das klassische Fernsehen, Plakate und Chats bis hin zu Second Screen und Big Data – Medienkonvergenz im Bundestagswahlkampf 2013 // von Julian Heck

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Die Rolle der Medien(kanäle) im Bundestagswahlkampf wird auf zahlreichen Veranstaltungen thematisiert. Wie sah die Berichterstattung im Fernsehen, wie im Radio und wie im Netz aus? Der Ansatz der Medienkonvergenz-Tagung der Johannes Gutenberg Universität Mainz und des Instituts für Publizistik war ein spezieller: „gängige Trennungen in Medienkategorien“ sollten überwunden werden. Eine „integrierte Perspektive“ wurde angestrebt. Parteien, Journalisten, Blogger und Wissenschaftlicher sprachen über ihre – mehr oder weniger erfolgreichen – Methoden.


  • Statt einzelne Kanäle zu betrachten, ist der Blick auf das große Ganze zu richten (Medienkonvergenz).
  • Das Internet mit seinen sozialen Medien ist wichtig für den Wahlkampf und für klassische Medien, aber nur in Ergänzung sinnvoll.
  • Big Data ist im US-Wahlkampf zentrales Element, in Deutschland (noch) nebensächlich.

Neue Plattformen, neue Kommunikatoren, direktere Kommunikation, veränderte Themen- und Meinungsbildungsprozesse – und damit ein Bedeutungsverlust von Journalisten? – und damit eine Mediatisierung der Gesellschaft wirken sich natürlich auch auf den Wahlkampf aus, wie Birgit Stark vom Mainzer Institut für Publizistik erläuterte. E-Campaigning, E-Government, E-Democrazy und E-Partizipation sind nur einige Begriffe, die den digitalen Wandel beschreiben. Thorsten Faas vom Mainzer Institut für Politikwissenschaft beurteilt Kategorien wie „das Internet“ oder „das Netz“ für analytisch wertlos. Es brauche eine funktionale Logik statt eine Logik in Kanälen.

Robert Heinrich, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit von Bündnis 90/Die Grünen zeigte sich bei der Podiumsdiskussion am Freitagabend in der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz sichtlich erfreut, dass endlich über Medienkonvergenz und nicht über den Online-Wahlkampf gesprochen wird. Er machte auch gleich deutlich, dass er kein Typ für Medienbashing sei und die Parteien für ihr Ergebnis im Endeffekt immer selbst die Schuld zu tragen haben. Medienbashing und Politikerbashing gibt es aber sicherlich trotzdem. Wer die Jagenden, wer die Gejagten sind? Christoph Seils von Cicero Online schreibt Medien und Politikern jeweils beide Rollen zu.

Zurück zur Medienkonvergenz: Das ZDF sei schon auf dem richtigen Weg, konvergent zu sein, behauptete Eckart Gaddum, Leiter der Hauptredaktion Neue Medien. Außer der Sendung „ZDF Login“ habe es keine Online/Offline-Trennung gegeben. Netzexperte Alvar Freude, der die Plattform „wen wählen“ gegründet hat, mit der er Bürgern einen Einstieg bieten will, macht auf die vermehrte Parallelnutzung aufmerksam (Stichwort Second Screen). Vielleicht gibt es auch Third oder Fourth Screen – oder man nutzt einfach die Medien und zählt nicht mehr die Anzahl der Geräte.

Die Relevanz von Twitter ist unklar

Am zweiten Tagungstag ging es um die konkrete Umsetzung, um die wissenschaftliche Analyse. Begonnen hat Ulla Fiebig vm ARD Hauptstadtstudio. Sie präsentierte beispielsweise die Wahlschau im Internet – vier Ausgaben, die mutig, chaotisch, einfach mal anders waren. Dass das Potential für kreative Ideen da ist, habe kürzlich das Vololab gezeigt. Die ARD sei zunehmend tri- bzw. crossmedial ausgerichtet; ein Tatort ohne Twitter sei gar nicht mehr vorstellbar. Auch immer mehr Kollegen seien auf Twitter aktiv. Sie nutzen es als Informations-, Kommunikations- und als Marketingtool, so Fiebig. Annette Koch vom ZDF blickte kurz auf die Netzgeschichte des ZDF zurück: Claus Cleber mit der „Nacht im Netz“ zur Obama-Wahl war der Beginn einer medialen Zukunft. Paradebeispiel des ZDF ist der ZDFcheck gewesen, der im Vorfeld zur Bundestagswahl 2013 eingesetzt wurde. Insgesamt 25 Checks habe man transparent durchgeführt, die mit 500 Hinweisen und 300 registrierten Helfern angereichert wurden. Das war zwar keine Massenveranstaltung, aber qualitativ sehr hochwertig, meinte Koch. Reaktionen auf die ZDFchecks kamen, aber meist erst nach TV-Ausstrahlungen.

Jennifer Wladarsch von der Universität München konnte die Frage, ob Twitter wirklich Relevanz im Wahlkampf hatte, nicht beantworten. Trotzdem wurde sich in den Medien und in der Wissenschaft stark mit sozialen Medien auseinandergesetzt. Bei ihren Untersuchungen stellte sie fest, dass ereignisgetriebene Themen in Newsportalen und in den sozialen Medien etwa gleich stark vertreten sind, anders bei ereignislosen Themen oder Dauerbrennern. Interessant ist die Feststellung, dass Twitter deutlich geprägt ist von negativen Äußerungen. Inhalte auf Twitter seien zudem dann besonders erfolgreich, wenn sie besonders böse oder satirisch sind – „Der Postillon“ macht es vor.

Steile Thesen lieferten Mathias Richel, der im Wahlkampfteam der SPD war: Crossmedia sei tot („Schon einmal eine eCard verschickt oder einen QR-Code eingescannt?“), Technik mache alles konvergent, alles sei „push“, nicht „pull“, Dialogangebote würden kaum genutzt werden, Likes und Klicks alleine seien kaum aussagekräftig und: know the tools, know the rools. Andreas Jungherr (Universität Bamberg) lieferte Positivbeispiele des Parteienwahlkampfs. Die SPD zum Beispiel sei zunehmend ein eigenes Medium, eigener Inhalteproduzent. Die Grünen haben auf eine nutzerfreundliche Programmaufbereitung gesetzt („Das Programm in zwei Minuten„) und die AfD war im Crowdfunding erfolgreich (rund 430.000 Euro in zwei Tagen). Insgesamt sei die Interaktion und Präsentation im Netz unerlässlich – nicht nur als Informations- und Dialogplattform, sondern auch als Symbolfunktion mit der Hoffnung auf positive Berichterstattung.

Beachtenswert sei im Wahlkampf außerdem die Remix-Kultur der Bürger gewesen (beispielsweise basierend auf die Merkel-Raute und Steinbrücks Mittelfinger). Jörg Haßler (Universität Jena) behauptete, im Wahlkampf 2013 habe es keine zentrale Neuerung gegeben, nur Weiterentwicklungen. Bei Befragungen der Parteien konnte man feststellen, dass sie die Webseite als wichtiger ansehen als Facebook, Twitter und Youtube. Twitter habe vor allem Journalisten und Meinungsführer als Zielgruppe. Auf den Boden der Tatsachen holt die Tagungsgäste mit der Aussage, dass Online ein Muss, aber bloß eine Ergänzung sei. Schließlich habe Online eine vergleichsweise geringe Reichweite.

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Der Blick in die USA

Martin Fuchs, er „Hamburger Wahlbeobachter“, konnte seinem Vorredner nicht ganz zustimmen. Langweilig sei der Wahlkampf nicht gewesen, im Gegenteil: sogar innovativ. Als Belege für seine Behauptung nennt er das grüne „Programm in zwei Minuten„, CDU.TV und die Seiten „Wir sind CDU“/“Wir sind Grün“. Zwar hätten diese Beispiele keine Massen erreicht, aber sie waren existent. Die negativen Bewertungen des Wahlkampfes würden deshalb zustandekommen, weil die Erwartungen an den Onlinewahlkampf überzogen und verzerrt waren, meint Fuchs. Weitere Beispiele für innovative Wahlkampfformate ergänzte Marc Etzold von Google Plus. Google hatte eine Wahlinitiative, die „zu Googles Charity-Arm gehören (google.org)“. In diesem Rahmen fand etwa das Kanzlerinnenhangout on Air statt sowie 38 weitere Hangouts (zum Beispiel Jung & Naiv). Außerdem gab es in Zusammenarbeit mit Politik-Digital.de ein Debattentool und 42 Infografiken, die 1,2 Millionen Mal angeklickt wurden. Dass das Internet eine größere Rolle bei der politischen Information, das bestätigte auch Anne Schäfer von der Universität Mannheim. Dennoch sei die Lokal-/Regionalzeitung das am meisten genutzte Medium.

Einen Blick in die USA gewährte zum Abschluss der Tagung Julius van de Laar, der Kampagnen- Strategieberater in der Obama-Kampagne 2012 war. Zentrale Elemente des Obama-Wahlkampfes waren Storytelling und Big Data. Die Außendarstellung (auch in Form von Bildern) sei nicht zu unterschätzen. Obama habe diesbezüglich immer wieder clever agiert und reagiert. Dass Innovationen nicht immer das Allheilmittel sind, bestätigte van de Laar mit der Nachricht: der klassische Newsletter funktioniert. Er war ein nicht unwesentlicher Bestandteil der Obama-Kampagne. Zentral aber waren Daten, Daten, Daten: Big Data. Mit diesen Daten wurde der Haustür-Wahlkampf genauestens vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet. Zwar sei die Datenlage in den USA eine andere als in Deutschland – aber in Deutschland würde nicht einmal das Mögliche genutzt. Wie weitreichend Obamas Präsenz im Netz war, zeigt die Statistik, dass 98 Prozent der Amerikaner auf Facebook mit Leuten befreundet waren, die die Obama-Seite geliked haben. Es gab eine eigene Facebook-App, die unter anderem die Autorisierung verlangte, im Namen der Nutzer zu posten. Die Obama-Kampagne wurde möglich durch eine riesige Anzahl an Freiwilligen, aber auch durch viele Hauptamtliche. Dass sich der Aufwand gelohnt hat, hat das Wahlergebnis bewiesen – trotz der schlechten Ausgangslage für Obama (Wirtschaftslage).

ist freier Journalist, Dozent und Lehrbeauftragter an der Hochschule Darmstadt. Er schreibt über die Themen Medien, Technik und digitale Wirtschaft. Zu seinen Auftraggebern gehören unter anderem etailment.de, LEAD digital, Mobilbranche, das Medium Magazin, MobileGeeks.de und die Friedrich-Ebert-Stiftung. Vom Medium Magazin wurde der Südhesse 2013 unter die "Top 30 bis 30" Nachwuchsjournalisten gewählt. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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