Fokus auf Nutzen statt Angst – Aufruf zum Perspektivwechsel!

In der Debatte um die Nutzung von Smartphones und digitaler Medien ist ein Wechsel der Perspektive dringend notwendig – der Nutzen muss im Fokus stehen, weniger die Gefahren. Die sich immer schneller entwickelnden Kommunikationstechnologien und die heute erreichte Ausstattung von Jugendlichen mit Smartphones führen zu einer Durchdringung aller Lebensbereiche: 97 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen besitzt ein eigenes Mobiltelefon – bei 88 Prozent ist dies ein Smartphone mit Touchscreen und Internetzugang (JIM-Studie 2014: 7). Mit der Verbreitung von Smartphones geht eine vermehrte Nutzung sozialer Medien einher: Insbesondere Facebook, Instagram, YouNow sowie die Messenger-Dienste Whatsapp und Snapchat schaffen neue Möglichkeiten zur Kommunikation und zur Vernetzung.

Aber sie schaffen auch Risiken: Cybermobbing, Cyberbullying, Sexting, Datenmissbrauch, Kinderpornografie – die Liste ist lang und sie wird noch länger. Hirnforscher warnen vor Verdummung, Psychologen vor Sucht und Vereinsamung, Ärzte vor Haltungsschäden und Fettleibigkeit durch Bewegungsmangel. Betrachtet man die Meldungen über Gefahren durch die Nutzung digitaler Medien scheint eine reflektierte Medienkritik mehr und mehr einer Gefahrenhysterie zu weichen.

In der Konsequenz werden immer neue Strategien zur Vermittlung von Medienkompetenz entwickelt: Bund und Länder fördern Projekte zum richtigen Umgang im Netz, Schulen veranstalten Themenabende mit Titeln wie „Die Risiken im Netz erkennen“, Polizisten sollen Schüler über Datenschutz aufklären und im Netz finden orientierungslose Eltern massenhaft Ratschläge zur sinnvollen Medienerziehung.

Merkwürdigerweise scheinen viele Maßnahmen ins Leere zu laufen und Rat suchende Eltern werden ob der divergenten öffentlichen Meinungen zur Medienerziehung immer orientierungsloser, Mediennutzung immer häufiger zum Streitthema zwischen Eltern und Kindern – trotz der Vielzahl an Informationsangeboten (vgl. Wagner, Gebel, Lampert 2013:11, 54).

Die einzigen, die sich nicht verunsichern lassen, sind die Jugendlichen selbst: Für 87 Prozent der zwölf- bis 19-Jährigen ist das Handy ständiger Begleiter (JIM-Studie 2014:11). Vor allem soziale Netzwerke stehen mit 44 Prozent hoch im Kurs. Die intensive Nutzung von Instagram, WhatsApp und Co. zieht eine Reihe von divergenten Reaktionen nach sich. Pädagogische Konzepte und Strategien bewegen sich zwischen Bewahrpädagogik und partizipatorischen Ansätzen – ressourcenorientiert auf der einen, risikoorientiert auf der anderen Seite.

Hinzu kommt die mediale Berichterstattung, die besonders die Risiken medialer Nutzung fokussiert und aus populärwissenschaftlicher Sicht unterstützt wird. Daneben werden aber auch Stimmen aus Anwender- bzw. Elternsicht präsenter, die einen natürlichen Umgang mit digitalen Medien fordern und bestrebt sind, die risikofokussierten Positionen zu relativieren.

Für Eltern ist es in Hinblick auf die gegensätzlichen Positionen eine Herausforderung, ihre Kinder auf dem Weg in das digitale Leben zu begleiten. Erschwert wird dies durch den Umstand, dass weder Eltern noch Pädagogen auf Erfahrungswerte zurückgreifen können, weil sie nicht mit digitalen Medien aufgewachsen sind, sondern mit diesen erst im Erwachsenenalter in Berührung gekommen sind. Als „digital Immigrants“, die den Umgang mit der neuen Technik erst lernen mussten oder noch müssen, ist die Nutzung und das Verhältnis zu den neuen Kommunikationstechnologien eine ganz andere, als bei Kindern und Jugendlichen.

Folglich können Eltern und Pädagogen nur auf vorhandene Regeln und Konzepte zurückgreifen, die sich in der Medienkompetenzforschung bewährt haben. Die Frage ist allerdings, ob diese Regeln für soziale und interaktive Kommunikationsmöglichkeiten, die nicht nach einem bloßen Input-Output Modell funktionieren, überhaupt geeignet sind. Nur: Wie können sinnvolle Regeln aufgestellt werden, wenn die Generation, die die Regeln aufstellt, Kommunikationstechnologien ganz anders nutzt, als die Generation, für die die Regeln gelten sollen? Sollte nicht zunächst ein gemeinsamer Konsens geschaffen werden, auf dessen Grundlage Kommunikationsregeln und Regeln für den Umgang mit neuen Kommunikationsräumen gestaltet werden können?

Der Diskurs über Medienkompetenz und dessen Vermittlung ist geprägt von Heterogenität: Die Vielzahl der Definitionen darüber, was Medienkompetenz ist, was sie beinhaltet, wie sie vermittelt wird und letztendlich ob dieser Begriff überhaupt noch tragbar ist oder es nicht vielmehr um Medienbildung geht, unterschlägt die Sorge der meisten Eltern, die sich vor allem eins fragen: Was macht mein Kind? Und sie unterschlägt die Relevanz sozialer Medien für Jugendliche und die tiefe Verwurzelung in deren Alltag.

Wer kein Smartphone hat, kann gar nicht wissen, wie wichtig Whatsapp ist“. Es muss also zunächst ein Perspektivwechsel erfolgen: Eltern und Pädagogen sollten den Blickwinkel der Jugendlichen einnehmen, um ein Verständnis entwickeln zu können, auf dessen Basis eine authentische Diskussion zwischen Jugendlichen und Erwachsenen stattfinden kann und darauf aufbauend Regelwerke für den Umgang mit neuen Kommunikationstechnologien erschlossen werden können, die auch aus Sicht der Medienkompetenzforschung Anknüpfungspunkte bieten.

Neue Medien werden in der Diskussion über Medienkompetenzvermittlung als notwendiges Mittel betrachtet, das es zu beherrschen gilt und für das bestimmte Schlüsselqualifikationen erarbeitet werden müssen. Je nach Situation werden sie als störend, gefährlich oder als Ressource betrachtet – nicht aber als zu unserer Kultur gehörende Kommunikationsräume.

Meiner Meinung nach bedarf es einen Perspektivwechsel auf die Nutzung von Smartphones bzw. digitalen Medien und damit der Akzeptanz dieser als ein Bestandteil unseres Lebens. Mehr noch: Ich bin sicher, wenn wir es schaffen würden, den Nutzen digitaler Medien vor die Gefahren zu stellen und uns darauf zu fokussieren, würden sich viele Probleme neutralisieren. Wenn wir unseren Kindern den sinnvollen Umgang mit digitalen Medien von Anfang an beibringen, werden bestimmte Risiken automatisch an Kraft verlieren und die Hysteriewelle könnte auf ein verträgliches Maß absinken.

Hierfür fehlt es allerdings noch an einem Konzept, das den Auftakt zu einem Perspektivwechsel öffentlichkeitswirksam bereiten kann – die Erarbeitung eines solchen Konzeptes sollte in Hinblick auf die temporäre Entwicklung der Digitalisierung von Bund, Ländern und externen Partnern gleichermaßen gefördert werden. Damit digitale Medien das werden können, was sie eigentlich sind: Kommunikationsräume.


Image (adapted) “Texting on a Friday” by Garry Knight (CC BY 2.0)


 


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