Medien: Die Ökonomie des Einflusses

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Eine der einflussreichsten Veranstaltungen über Medien und ihre Zukunft wurde in den vergangenen Jahren von Ross Dawson unter dem Begriff Future of Media international bekannt.
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Im Jahr 2009 war die globale Entwicklung der Medien so grundsätzlich, dass er kurzerhand den Titel ändert in Future of Influence. Weitgehend ohne kontinentaleuropäische Beteiligung und Wahrnehmung wurden weichenstellende Themen diskutiert. Finden in Deutschland erste ernstzunehmende Gespräche über die link economy oder die attention economy statt, war die parallel in den USA und Australien stattfindende Konferenz ein Stelldichein der sogenannten Meinungsführer wie Howard Rheingold, Brian Solis und Louis Gray.
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Ross Dawson erklärte, dass der Einfluss selbst als Kern von Medien übrig bleiben wird, wenn alle technologischen Kanäle konvergieren, denn früher war ein Medium eng an die Herrschaft über seinen Distributionskanal gebunden. Noch heute vertreten viele Wissenschaftler die These, dass es aufgrund verschiedener technischer Distributionswege zum Zuhörer, Zuschauer oder Leser auch verschiedene Medien gäbe. Die Wahrheit sieht anders aus. Denn die Diskussion, ob nun ein technischer Verteiler den anderen mehr oder weniger verdrängt, verharmlost die Hauptsache: Die Inhalte in Bezug auf den journalistischen Gehalt sind weitgehend unabhängig.
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Die Zukunft der Medien steht und fällt also mit ihrem Einfluss. Wenn Radio und Fernsehen per Internet empfangbar sind und auch viele Zeitungen große Teile ihres Angebots ins Netz stellen, kommt es zu einer Konkurrenzsituation, in der der Konsument vergleichen kann. Der Einfluss eines Mediums bemisst sich also an seinem Gehalt, seiner Aussage und seiner lebensweltlichen Relevanz für die Menschen. Durch das Netz wird der Einfluss demokratisiert. Ein Blogger kann einen ebenso großen Einfluss gewinnen, wie früher ein ganzes Zeitungsimperum – es hängt von seiner Stimme ab.
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Und auch das Auffinden von diesen persönlichen und gehaltvollen Stimmen hängt nicht mehr wie früher von wenigen Institutionen ab. Wir erkennen das nicht nur beim Journalismus, sondern auch bei Waren. Die Stiftung Warentest ist bzw. war für drei Generationen eine der Institutionen, die über das Wohl und Wehe von Waren entschieden haben. Heutzutage sind die Nutzer selbst die Testinstanz und vermitteln über Soziale Netzwerke den Nutzen oder Schaden, den einzelne Produkte anrichten. Und die Referenz „Meinung eines Freundes oder guten Bekannten“ ist deutlich einflussreicher als die Stiftung Warentest.
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Das Besondere am Begriff des Einflusses ist seine Relation zu einer anderen neuen ökonomischen Theorie der Reputation, die als Glaubwürdigkeit jede Information – unabhängig vom Inhalt – qualifiziert. Es ist also möglich, dass ein Medium mit hohem Einfluss, aber wenig Reputation, Meinungen verteilt, die eine hohe Reichweite haben, aber keine Tiefe. Man kann hier von einem Verwässerungseffekt sprechen, ähnlich wie in der Aktienwelt.
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Dawson hat fünf Trends definiert, die rund um den neuen Kernbegriff Einfluss in der Medienwelt aktiv sind:
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Einfluss ist demokratisiert.
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Früher erwarben Menschen durch ihre Stellung bzw. ihren Beruf Einfluss (Geschäftsführer, Journalist). Heute wird der Einfluss nur durch den Gehalt der aktuellen Verlautbarung selbst bestimmt. Jeder kann also eine Stimme mit hohem Einfluss artikulieren, die Zuhörer bei Twitter, Facebook oder die Blogleser, bzw. Leser einer Website entscheiden durch die Verbreitung, wer Gehör findet.
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Einfluss ist messbar.
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Jeder macht sich seine eigene vorläufige Liste der einflussreichsten Quellen. Sie ersetzen die fadenscheinigen Listen der Reichweitenmessungen. Durch die sozialen Suchen ist über den Verbreitungsgrad via Soziale Netzwerke der Einfluss direkt und neutral messbar. Man könnte das sogar für Recruiting, Kunden-Controlling oder sogar die Partnerwahl nutzen.
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Reputation wandert von den Firmen zu den Einzelnen.
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Heutzutage ist die Reputation von Firmen weniger wichtig als die Reputation der Menschen. Konsumenten vertrauen immer seltener einer Firma, aber sie können zu einzelnen Mitarbeitern eine Vertrauensbasis aufbauen. Dies wird einen bisher unbekannten Einfluss des Charakters auf Bewerbungsverfahren habe. Der Begriff High Potentials wird nur noch bedingt in Zeugnissen seine Ursache finden.
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Einfluss ist die Zukunft der Medien.
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Wir brauchen kaum noch Tageszeitungen und Fernseher um das Neueste zu erfahren. Genauso wie bei den Produkt-Empfehlungen unserer Freunde und Bekannten, sind auch die Nachrichten abhängig vom Einfluss dessen, der sie verbreitet.
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Geschäftsmodelle werden rund um Einflüsse konstruiert.
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Was also passiert, wenn du Einfluss hast? Heutzutage kann man Einfluss und Respekt per TweetROI und IZEA messen. Das ist der Anfang der influence economy. Das könnte einen Einfluss auf die 500–Milliarden–Werbeindustrie haben.
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Es wäre schon wünschenswert, wenn die hiesige Diskussion rund um Reichweiten etc. auf diese aktuellen Beine gestellt werden könnte. Das entmachtet zwar den gesamten Sektor der Kommunikationsagenturen, wie wir sie bisher kennen. Aber angesichts der Tatsache, dass wir immer mehr immunisiert sind gegenüber plakativen Werbekampagnen, kann es auch den Firmen nicht egal sein, Millionen in eine Werbeindustrie zu pumpen, die kaum handfeste Nachweise für ihre aktuellen Strategien liefern. Da hilft auch die mystifizierende Pseudofachsprache wenig. Wer sich ein wenig mit der Influence Landscape von Dawson befasst, wird schnell selbst erkennen, wie unabhängig Firmen von Agenturen sein könnten, wenn sie sich glaubwürdige und dialogstarke Mitarbeiter ins Haus holen, die den Kontakt zur Umwelt direkt und authentisch aufnehmen. Stellen Sie sich einfach vor, Sie brauchen einen Anchorman oder eine Moderatorin, der oder die ihre Firma persönlich in den vielen Konversationen vertritt. Das erfordert Vertrauen von allen Seiten.
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Vodafone – eine Kampagne ohne Kenntnis der Echtzeit-Kommunikation
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Der Fall Schnutinger (Hillebrand/Lumma/Lobo) lässt erkennen, was für Fehler stattfinden, wenn die Währungen awareness und links ohne tiefere Verankerung und ohne ein Einbinden in so eine Landschaft des Einflusses mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts in die Welt des Echtzeitweb transponiert wird.
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Und vor allem bei der Betrachtung der Diskussionen um die Person Lobo als besonderer „influencer“ macht die Tragik einer unbedarften Werbestrategie offenbar. Die schiere Anzahl der Follower bei Twitter und der Einladungen zu Panels bei Events deutet auf eine Person mit hohem Einfluss. Das sagt aber noch nichts über die Reputation der Person aus. Die Agentur schafft also eine enorme Reichweite ohne jegliche Tiefe. Die Glaubwürdigkeit wurde fahrlässig oder absichtlich missachtet. Dass der Anbieter keine spezifischen Produkte mitbrachte für die anvisierte Zielgruppe, die er auch noch mit einem eigenen Label etikettierte – was an sich schon eine Grund für den Ausschluss aus dem Proseminar Marketing bedeuten würde – machte die Sache noch schlimmer.
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So blieb einfach der verzweifelte Versuch, mit heavy rotation in allen Medien die Marke zu inflationieren, ohne eine Substanz zu verbreiten. Es ist das erste Beispiel des Platzen der brand bubble, aber das ist eine andere Geschichte für das nächste Mal.

  ist seit 1999 als Freier Autor und Freier Journalist tätig für nationale und internationale Zeitungen und Magazine, Online-Publikationen sowie Radio- und TV-Sender. (Redaktionsleiter Netzpiloten.de von 2009 bis 2012)


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3 comments

  1. Ich bin mir da nicht so sicher, ob das alles uneingeschränkt zutrifft. In der Theorie vielleicht schon. In der Praxis aber würde ich nicht unbedingt behaupten wollen, dass Einfluss im Internet demokratisiert ist.

    Einige finden mehr Gehör als andere, sei es weil sie mit dem Internet besser umgehen können oder weil sie ihre Reputation transferieren können (wie etwa die „Bloggerin“ Prof. Miriam Meckel). Zudem mag es hier auch Longtail-Effekte geben: Bestimmte Personen erreichen eine hohe Aufmerksamkeit und einen hohen Status, für viele andere bleibt dann in der Aufmerksamkeitsökonomie naturgemäß weniger übrig (eben nur noch der Longtail).

  2. Frau Meckel verfügt über eine hohe Reichweite bei denen, die denken lassen. Wenn man ihre Beiträge kritisch liest, verfügt sie nicht über großen Einfluß. Sie wird kaum zitiert oder als Bezugsgröße bei anderen Posts genannt. Es geht meistens über eine Zustimmung zu ihren gemeinplätzen kaum hinaus. Grundsätzlich hast Du recht, dass es noch immer eine Gehorsamsproblematik gerade in Deutschland gibt. Longtail ist sicher zwangsläufig aufgrund der Tatsache, dass mehr Leute Einfluss in der öffentlichen Diskussion gewinnen.
    Aber mittel- und langfristig wird es eine stark thematisch zentrierte Diskussion in Clustern geben. Dort finden dann auch viele Stimmen Gehör, die sich „verdient“ gemacht haben um Transparenz. An dieser Stelle haben die klassischen Professoren und Journalisten kaum Mehrwert geliefert…

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