Mediathekenumschau vom 08. September

Es ist so eine Sache mit den Mediatheken: Für viele Digital Natives sind sie schon Fernsehersatz – alles ist überall abrufbar. Doch nur auf Zeit: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme sind oft nach einer Woche wieder offline. Verlängertes Fernsehen statt digitales Archiv. Bevor sie verschwinden, fischen wir die besten Perlen aus der TV-Flut.

MENSCHEN ZUR WAHL: Volksvertreter

3Sat +++ Sendung vom 4. September: Politik mal mit den Mitteln des Dokumentarfilms gezeigt. Das heißt, ohne schnelle Schnitte, mit Zeit zum Nachdenken und Beobachten und, zumindest wirkt es so, ohne dass jedes Wort in PR-Gold abgewogen wird und der politische Gegner einen Strick drehen kann. Siegfried Ressel stellt fünf Bundestagsabgeordnete bei ihrer täglichen Arbeit in Berlin und in ihrem Wahlkreis vor. So entschleunigt zeigt der Film ohne Off-Kommentar, dass Politiker auch Menschen sind. Was abgedroschen klingt wirkt wie Balsam, zum Beispiel wenn die FDP-Abgeordnete Sylvia Canel im Zug von Männer- und Frauensprache spricht und dabei ehrlicher wirkt, als die mächtigen Frauen in Kanzleramt und Ministerien. Die Einzelinterviews – ein toller Einfall der 3Sat-Redaktion – sind übrigens in der Mediathek auch in langer Form abrufbar.

AUCH DABEI: Die Wahl der Migranten

zdf kultur +++ Forum am Freitag +++ Sendung vom 6. September, weitere Folgen: Ganz andere Form, ähnlicher Inhalt. Obwohl, wie ähnlich sind Bundestagskandidatinnen und -kandidaten mit eigentlich ihren Konkurrenten ohne Migrationshintergrund ? Die lockere und distanzlose Caféatmosphäre wie beim Interview mit der SPD-Abgeordneten Aydan Özoguz und der erklärende Off-Ton nerven ab und zu ein wenig, aber auch hier gibt es die Möglichkeit, eine sonst wenig beachtete Form Poltiker kennenzulernen. 5,8 Millionen Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund stehen übrigens sieben Millionen Menschen in Deutschland gegenüber, die auf Grund fehlender Staatsangehörigkeit gar nicht erst wählen dürfen. Viele von ihnen zahlen Steuern und sind bestens integriert, wie die Kommentatorin der Berliner Zeitung, Mely Kiyak, empört feststellt. Der Frage nach der demokratischen Teilhabe dieser Menschen müssen sich die bisher befragten Kandidaten in der Sendung nicht stellen. 

MODERNE REPORTER: Deals mit Waffen

zdf kultur +++ VICE-Reports +++ Sendung vom 6. September: Beängstigend, die Neue Welt, in die einen die Investigativ-Hipster der VICE-Reports ziehen. Sie besuchen Waffenmessen und stellen verschwiegenen Einkäufern und gesprächigen „Drone-Dealern“ nach. Wie schon bei den anderen Reportagen über Designer-Drogen oder Massentierhaltung zeichnet sich das Format durch einen erfrischenden Hands-on-Journalismus aus, der mit reichlich Chuzpe daher kommt. Geschickt verwebt die Produktion auch immer mehr deutsche Beiträge in die Sendereihe, die sich auch aus dem für ein internationales Publikum gemachten Material vom Youtube-Kanal des VICE-Magazines bedient. Das ehemalige Skater-Label operiert inzwischen weltweit mit einem sehr profitablen Kultstatus. Die Partnerschaft tut dem ZDF gut, auch wenn das Mutterhaus aus den USA inzwischen einiger Kritik ausgesetzt ist, besonders nach dem Einstieg des Murdoch-Imperiums vor wenigen Wochen.

AUFNAHMEZUSTAND: Dillon

3Sat +++ Sendung vom 5. September: 

Die junge Musikerin Dillon aus einer deutsch-brasilianischen Familie klingt schön. Die Musik an sich – Dillon verwebt ihre kindliche Ausnahmestimme mit zauberhaft leisen elektronischen Arrangements – ist schon ausreichend, um in diese Studioaufnahme reinzuhören. Doch es geht hier auch um mehr: Die Produktionen aus dem Berliner „Funkhaus der DDR“ gehören zu dem besten, was man im Musikfernsehbereich zur Zeit geboten bekommt. Die wunderschön geschnittenen Darbietungen im Tonstudio schaffen eine besondere Atmosphäre, ganz anders, als es eine Konzertaufnahme vermag. Hinzu kommen kurze Interviewsrecken und zauberhafte Situationen, die sich quasi während der Arbeit im Studio ergeben. Schön gemacht. Auch die Auswahl der eingeladenen Künstler zeugt von Geschmack: Von Boy über CocoRosie bis Little Dragon sind tolle Indie-Perlen dabei.

 

wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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