“Hässlich, aber praktisch”: Londons erster Briefkasten

Eine kleine Kulturgeschichte über den Briefkasten – von allen kritisiert und von Konservativen gefürchtet, hat er sich doch durchgesetzt.

Na, heute schon in den Briefkasten geguckt? Oder zumindest das Mailpostfach gecheckt? Ganz bestimmt! Der Gang zum Briefkasten ist uns mittlerweile so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir uns kaum vorstellen können, wie man früher ohne einen Postkasten auskam – sei er nun physisch oder digital. Wie kam das eigentlich? Eine kleine Kulturgeschichte der britischen Post.

Vom Erfinder zum Dichter: Anthony Trollope

Bis vor 160 Jahren musste man auf den Postboten warten. Der kam, wenn es gut ging, alle paar Tage vorbei und nahm mit, was man wem auch immer mitzuteilen hatte. Klingt unpraktisch? Das fanden die Leute damals auch. Aber es dauerte erstaunlich lange, bis man ein System entwickelt hatte, wie man Mitteilungen oder Waren an einem zentralen, jederzeit zugänglichen Platz ermöglichen kann.

Ein Herr namens Anthony Trollope, der sich später eher als Dichter denn als Erfinder einen Namen machen sollte, gilt hierbei als der Mitbegründer der britischen Post. Vor und neben seiner Dichterkarriere, die nicht sonderlich lukrativ gewesen zu sein scheint, arbeitete er als Briefträger. Wenn er gerade keine Post umher trug, legte er viel Wert auf Auslandsreisen, um Inspirationen für seine Dichtkunst zu finden.

Bei einer seiner Reisen nach Frankreich und Belgien bemerkte er, dass in den Städten immer öfter mysteriöse Kästen an den Straßenrändern aufgestellt wurden. Er erkundigte sich, was es damit auf sich hatte und erfuhr von dem neuen Postsystem. Das hatte einige Vorteile: Man konnte anonym und unabhängig von der Uhrzeit seine Briefe loswerden und sich mehr oder weniger darauf verlassen, dass sie rechtzeitig ankamen. Also: Kein Warten auf den Postboten mehr, und keine merkwürdigen Blicke, wenn man schon wieder einen Liebesbrief an die Dame seines Herzens schrieb.

Die Idee eines staatlichen Postsystems fand Trollope so genial, dass er sie nach England mitbrachte und seinen Vorgesetzten vorstellte. Man vereinfachte außerdem das System, indem man die vom Absender zu bezahlende Briefmarke einführte. Briefe waren zwar schon vorher kostenpflichtig, aber damals musste der Empfänger zahlen, was auch immer ihm geliefert wurde. Das neue System war deutlich praktischer – und so wurde nebenbei das erste Prepaid-System der Welt eingeführt.

Schicksal großer Erfindungen: Hässlich, aber praktisch

Nach einem Testlauf auf den Kanalinseln und in Jersey war man überzeugt, dass sich die Kästen durchsetzen könnten. Schließlich wurde am 11. April 1855 der erste Briefkasten in London aufgestellt. Er war allerdings etwas anders gestaltet, als wir ihn heute kennen. Er war etwa mannshoch, rund 1,5 Meter breit, quadratisch und mit einem Spitzdach versehen, das von einer kleinen Kugel gekrönt wurde. Die charakteristische rote Farbe, wie wir sie heute bei den englischen Briefkästen kennen, war auch noch nicht vorgesehen, stattdessen erstrahlte er in einem eindrucksvollen dunklen Flaschengrün.

So zierte er die Straßenecke Fleet Street/Farringdon Street, eine der belebtesten Straßen Londons. Vielleicht sollte man aber eher sagen, er zog die Skepsis der Bürger auf sich, denn sie fanden ihn, gelinde gesagt, enorm hässlich. Hässlich, aber praktisch, denn das System setzte sich, trotz Beschwerden über eine “Verunstaltung der Straßen”, immer weiter durch.

Über das ganze Land hinweg kamen nun immer mehr Briefkästen hinzu. Diese waren allerdings alles andere als einheitlich, in Farbe, Form und Größe unterschieden sich die einzelnen Kästen enorm. Man könnte sagen, das Einzige, was sie alle gemeinsam hatten, war der Briefschlitz. Schließlich konnte man sich um die 1860er herum auf einen einigermaßen wiedererkennbaren Standard einigen: Einen freistehenden, säulenförmigen Kasten. Als Standardfarbe legte man schließlich ein helles, kräftiges Rot fest.

Dies geschah, um das System weiter zu vereinheitlichen, aber auch, weil die Leute sonst ständig dagegen rannten, denn das passierte tatsächlich recht häufig bei den zurückhaltend angepinselten Kästen, also musste etwas Auffälligeres her. Ja, die Post hatte es nicht leicht damals.

“He knew he was right”

Doch auch als dieses Problem gelöst war, waren die Leute nicht zufrieden. Es gab Kritik aus konservativen Kreisen, dass das neue Postsystem nichts anderes als ungehörig sei: Junge Frauen könnten nun ganz anonym und ohne äußere Kontrolle jede Menge schlüpfriger Post empfangen – wo sollte das nur hinführen?

Trollope selbst machte sich später über diese Bedenken in seinem Werk “He knew he was right” lustig, in dem er eine junge Dame über die neuen “Eisenstümpfe” auf den Straßen wettern ließ. Er schrieb: “Sie glaubte nicht, dass auch nur ein einziger Brief je sein Ziel erreichen würde.”

Diese Bedenken können wir heute – zumindest größtenteils – zerstreuen. Auch wenn gerade in der Vorweihnachtszeit ab und an ein Paket oder Brief in die ewigen Jagdgründe eingehen könnte.

Ansonsten gibt es heute mit den digitalen Postfächern jede Menge Möglichkeiten, sich anderweitig Nachrichten zu schicken – ob nun schlüpfrig oder nicht. Das sollte man sowieso viel öfters tun.

Da können wir nur sagen: Danke, Anthony!


Image (adapted) “GOC Leagrave to Harpenden 037: Victorian pillar box at Wardown Park, Luton” by Peter O’Connor aka anemoneprojectors (CC BY-SA 2.0)


 

ist freischaffende Autorin und Redakteurin bei den Netzpiloten. Sie ist Historikerin, Anglistin, Kinonerd, Podcasterin und Hörspielsprecherin. Seit das erste Modem ins Elternhaus einzog, treibt sie sich in allen möglichen Ecken des Internets herum. Sie twittert als @keksmadam und bloggt bei Die Gretchenfrage. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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