Livestreaming kann unsere Privatsphäre gefährden

Es scheint so, dass eine sehr teure und seltene Datenbrille mit Kamera eine größere Bedrohung für die Privatsphäre darstellt(e), als allgegenwärtige Smartphones mit den neuen Apps zum Livestreaming. Einst war Google Glass für viele Kritiker der größte Feind der Privatsphäre, da der Träger vermeintlich unbemerkt Fotos und Videos von einem aufnehmen und im Internet veröffentlichen konnte. Dabei kann jeder Smartphone-Besitzer mit den uns allgegenwärtig umgebenden Geräten nicht nur Fotos und Videos von uns aufnehmen und teilen, sondern dank Livestreaming-Apps wie Meerkat und Periscope auch Videos live streamen. Diese Apps scheinen vergleichsweise eine große Bedrohung für die Privatsphäre – umso überraschender, dass dies niemanden zu stören scheint.

Google Glass war eine Bedrohung für die Privatsphäre

Als Google Glass im Jahr 2012 erstmals öffentlich vorgestellt wurde, war die Begeisterung über die Datenbrille, die einem die wichtigsten Informationen direkt vor dem Auge präsentiert, gewaltig. Das Smartphone kann künftig in der Tasche bleiben und man hat die Hände frei, selbst wenn man Fotos oder kurze Videos aufnimmt. Lange hielt diese ungebremste Begeisterung allerdings nicht an, denn gerade die eingebaute Kamera erzeugte bei vielen Beobachtern ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend – ermöglicht diese doch, dass ein Google-Glass-Träger in jeder Situation Fotos und Videos von einem aufnimmt, ohne dass man etwas davon bemerkt. Für sehr pessimistische Zeitgenossen bedeutete dies einen Überwachungsstaat, wie ihn sich Orwell oder die ostdeutsche Staatssicherheit nicht hätten ausdenken können.

Google hat zugegebenermaßen einen schlechten Job gemacht, was die Öffentlichkeitsarbeit für die Datenbrille betrifft. Die Ängste um die von Google Glass ausgehende Gefahr für die Privatsphäre waren nämlich größtenteils unbegründet gewesen. Für lange Videoaufnahmen müsste der Akku schon vollständig geladen sein, was bei der schwachen Akkulaufzeit der Datenbrille eher unwahrscheinlich ist. Aber selbst mit vollem Akku, müsste man die Videoaufnahme erst betätigen, entweder an dem Bedienelement an der Gehäuseseite, oder aber per Sprachbefehl.

Als unauffällig kann man beim besten Willen weder das herumhantieren an der Schläfe, noch den Befehl „Okay Glass, record a Video“ bezeichnen. Natürlich hätte Google die Probleme von Anfang an umgehen können und eine rote LED neben die Kamera platzieren können, die signalisiert, wenn ein Video aufgenommen wird – doch diese besitzen handelsübliche Smartphones ja auch nicht.

Live-Broadcasting mit dem Smartphone? Na und!?

Eines der größten Probleme von Google Glass war sicherlich, dass es eine komplett neue Produktkategorie war und somit sehr leicht zu identifizieren. Anders sieht es bei Smartphones aus. Nahezu jeder scheint hierzulande mindestens eines zu besitzen und auch ständig damit beschäftigt zu sein. Diese Allgegenwärtigkeit der Geräte sorgt dafür, dass es eigentlich niemanden mehr interessiert, wenn von ihnen umgeben ist. Längst hat man sich damit abgefunden, wenn man beispielsweise in der U-Bahn drei Kameralinsen gegenübersitzt.

Aber warum eigentlich? Schließlich kann man ständig und in jeder Situation mit dem Smartphone fotografiert oder gefilmt werden, so wie auch mit Google Glass. Und schlimmer noch, mit Apps wie Periscope oder Meerkat kann man sogar Livestreams unbemerkt anfertigen, die dann von vielen Menschen gesehen werden.

Man kann also heutzutage nicht mehr wissen, ob mit einem der Smartphones um einen herum gerade ein Foto, ein Video oder gar ein Live-Stream aufgenommen wird – und trotzdem scheint sich niemand daran zu stören. Dieses Szenario sollte gerade im Hinblick auf Unternehmen wie Ditto, die für Twitter, Tumblr und viele andere soziale Netzwerke dort gepostete Fotos auf Markensymbole analysieren, oder das unausweichliche Big-Data-Netz deutlich mehr Unbehagen erzeugen, als Google Glass es tat.

Das Explorer-Programm von Googles Datenbrille, was einem öffentlichen Betatest entspricht, wurde inzwischen eingestellt und das Unternehmen will das Wearable aufgrund der daraus gewonnenen Erkenntnisse überarbeiten – vielleicht kommt die nächste Version also ohne Kamera, oder mit Signal-LED auf den Markt. Smartphones dagegen werden höchstens noch mehr verfeinert und mit besseren Kameras und Apps ausgerüstet.

Als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vor fünf Jahren das Ende der Privatsphäre ausrief, gab es zwar viele entsetzte Reaktionen, doch so ganz Unrecht hatte er mit dieser Aussage anscheinend leider doch nicht, wenn man sich die Gleichgültigkeit gegenüber Periscope und Meerkat im Bezug auf die Privatsphäre ansieht.


Image (adapted) „Meerkat App and Periscope App from Helicopter over New York City“ by Anthony Quintano (CC BY 2.0)


 

ist Wahl-Berliner mit Leib und Seele und arbeitet von dort aus seit 2010 als Tech-Redakteur. Anfangs noch vollkommen Googles Android OS verfallen, geht der Quereinsteiger und notorische Autodidakt immer stärker den Fragen nach, was wir mit den schicken Mobile-Geräten warum anstellen und wie sicher unsere Daten eigentlich sind. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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