Von Mikroben und Maschinen: Wie Kunst und Wissenschaft zu „Bio-Art“ verschmelzen.

Es gibt Wissenschaft in der Kunst – die Alchemie der Farbe, die Binärcodes, die in der Kamera rechnen, die ausdrucksvolle Anatomie in Portraits und Skulpturen.

Es gibt Kunst in der Wissenschaft – die künstlerische Präzision des Skalpells, die kühle Ästhetik des Labors und die Beobachtungen, die von Wissenschaftlern durchgeführt werden, um neue Materialien und Mikroben zu entdecken, die bisher unentdeckt existieren.

„Bio-Art“, ein künstlerisches Genre, das sich in den 1980er Jahren durchsetzte, verfestigt und erweitert diese organische Beziehung. Laut dem Künstler und Schriftsteller Frances Stracey stellt „Bio-Art“ eine Kreuzung aus Kunst und Biologie mit lebender Materie wie Genen, Zellen oder Tieren als ihr neues Medium dar.

Bio-Künstler nutzen Abbildungstechnologien, abgestorbene oder lebendige Materialien und integrieren sie in ihre Kunst. Damit ziehen sie Metaphern aus der Biologie, um ihre Kunstwerke mit verletzenden oder heilenden Tendenzen anzureichern.

Bei der BioCouture zum Beispiel werden die Themen Mode, Kunst und Biologie miteinander verwoben, neue Materialien werden in den Vordergrund gestellt. Wie die Autorin Suzanna Anker bemerkte, haben Donna Franklin und Gary Cass Kleider aus Zellstoff hergestellt, der durch Bakterien aus Rotwein generiert wurde. Suzanne Lee setzt „wachsende“ Textilien zu Sakkos und Kimonos zusammen, die ausä Zucker, Tee und Bakterien produziert werden.

Bio-Art beinhaltet die Haut und die Zellen von Zelluloid und digitalem Film, die Klangmembranen und die Flüssigkeiten von Körperteilen und Augäpfeln. Um ein anderes Beispiel zu nehmen: In Christian Böks „The Xenotext“ wird ein „chemisches Alphabet“ genutzt, um Poesie in DNA-Sequenzen zu übersetzen, damit hinterher die Genome eines Bakteriums implementiert werden können.

Wenn diese Poesie in ein Gen übersetzt und in eine Zelle integriert wird, legt sie eine Reihe von Anweisungen fest, die alle dazu führen, dass der Organismus daraufhin ein lebensfähiges, gutartiges Protein herstellt. Bök schreibt dazu: „Ich schaffe eine Lebensform, die nicht nur ein haltbares Archiv zur Aufbewahrung eines Gedichtes ist, sondern auch einen wirksamen Apparat zum Schreiben eines Gedichtes darstellt – einen, der auf diesem Planeten bestehen bleibt, bis Welt untergeht.“

Wissenschaftler und Künstler arbeiten zusammen an den entstehenden Bereichen der Mitschöpfung. Sie setzen „Bio-Art“ in aktuelle Debatten zu Fragen ein, wie Beispielsweise, was das Leben ausmacht, was als empfindungsfähiges Wesen gilt und wer entscheidet, welche Leben gerettet oder zerstört werden.

Die „Bio-Art“ bringt Hoffnungen und Sorgen von Wissenschaftlern in einer Zeit zusammen, in der menschliches Leben und der Alltag radikalen und teilweise gefährlichen Veränderungen unterworfen zu sein scheint. Wie Autor Sheel Patel in Anlehnung an Böks Arbeit andeutet: „Wenn eine lebende Zelle dazu gezüchtet werden kann, neue Poesie zu produzieren, könnten wir dann irgendwann in einer Gesellschaft leben, in der Menschen nicht mehr gebraucht werden, um neue Gedanken und Literatur zu produzieren?“

Kunst und Krankheit

Auf der interaktiven Kunstausstellung mit dem Titel Morbus Artis: Disease of the Arts werden tatsächliche und metaphorische Kommunikationskrankheiten genutzt, um das oftmals toxische Verhältnis zwischen menschlichem und nicht-menschlichem Leben zu erforschen.

Die Ausstellung untersucht den schmalen Grat, der zwischen Leben und Tod in einer verwirrenden Zeit der Zerstörung von Arten und Lebensräumen existiert und erforscht, wie das Gewebe der heutigen Körper zunehmend durchlässig wird.

Besonders der wissenschaftliche Diskurs bringt uns dazu, überall Krankheiten zu sehen und danach zu suchen. Die mikroskopischen und biotechnologischen Möglichkeiten reichen bis ins jede Atom hinein.

Selbstverständlich heißt es in der vorherrschende Diskussion auch, dass manche Räume, Dinge und Objekte stärker erkrankt sind als andere. Uns wird beigebracht, Krankheiten bei Außenstehenden, in den Nestern von Insekten, im Gefüge von Paria-Staaten und im Gewebe bestimmter Religionen und Philosophien zu erkennen.

Zur gleichen Zeit hinterfragen der neue Materialismus und die Tierphilosophie, was genau das Leben eigentlich ist und wo man es entdecken kann. Die neuen Denkweisen lenken die Krankheitsfrage auf die Menschheit, deren Handeln alles verdirbt, was sie berührt. Daraus folgt ein angsteinflößendes Aufeinandertreffen der Möglichkeiten und Grenzen des menschlichen und nicht-menschlichen Lebens, ist wie zwischen Albtraum und Traum gefangen.

‚Morbus Artis: Desease of the Arts‘ besteht aus elf Kunstwerken, wobei jedes Werk ein unterschiedliches Medium oder eine andere Kunstform nutzt, um das Chaos der Welt zu entdecken. Jeder Künstler stellt sich Krankheiten anders vor – und doch ist mitten im Schrecken ihrer Vorstellungen Schönheit und Hoffnung zu finden.

In der Videoprojektion von Drew Berry werden ansteckende Zellen „freigelassen“, sodass das Bindegewebe des Ausstellungsraumes vor Leben und Tod nur so strotzt. Herpes, Grippe, HIV, Polio und Pockenerreger werden auf die Galeriewand projiziert, als könnten sie fliegen. Die Darstellumg isr enorm vergrößert und so chaotisch, dass jeder, der den Raum betritt, von ihrem Ausmaß und ihrer Größe erschlagen zu werden droht.

Lienors Torres multimediale Darstellung zu degenerierter Sicht veranschaulicht, wie sich unser Blick auf die Welt durch digitale Technologien begrenzt und verfärbt. An ihrer Illustration kann man zwei große Augäpfel aus Glas, eine flüssige Animation und einen Glasschrank voller Marmeladengläser, gefüllt mit Wasser unterschiedlicher Trübheit, erkennen. Jedes Glas unterscheidet sich durch eingravierte Bilder von Augen. Diese Augen werden zu Regentropfen, während das Blickfeld zu flüssigem Leben gebracht wird. Tränen und Narben werden in den Augen dieses Kunstwerks reflektiert.

In dem von Alison Bennett erschaffenen Werk, das mit einem Touchscreen betrieben wird, wird der Betrachter mit einem hochauflösenden Scan von zerstörter Haut konfrontiert. Betrachter können den Touchscreen nutzen, um das weiche und kaputte Gewebe direkt vor sich zu verändern. Ihre Augen werden zu Fühlorganen: Wie fühlt es sich an, einen blauen Fleck anzufassen und selbst eine Prellung zu haben?

Die Galerie ist also beides – Labor und Studio. In all ihren verschiedenen Formen und mit einem Skalpell und einem Pinsel zur Hand formt „Bio-Art“ die Welt neu.

Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image „organism“ by PeteLinforth (CC0 Public Domain)


ist Dozent für Sound Design am Royal Melbourne Institute of Technology.


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