Wie wurde Justin Trudeau Kanadas neuer Premier?

Wie der Vater, so der Sohn – Justin Trudeau tritt als neuer kanadischer Premierminister in die Fußstapfen seines berühmten Vaters. Doch nicht nur das ist an sich schon überraschend. Nach einer hart umkämpften Parlamentswahl hat die Liberale Partei Kanadas eine entscheidende parlamentarische Mehrheit gewonnen. Bald wird Kanada einen unbekannten Premier mit einem bekannten Nachnamen haben. Der Aufstieg des 43-jährigen Justin Trudeau an die Spitze der kanadischen Politik, war jedoch keineswegs ein Selbstläufer, trotz seines außergewöhnlichen politischen Stammbaums.

Sein bereits verstorbener Vater Pierre Trudeau beherrschte die kanadische Politik zwischen 1968 und 1984, gewann vier Wahlen und war außerhalb des Landes hoch angesehen, was einzigartig für einen kanadischen Politiker war. Obwohl er zum Zeitpunkt seines Todes im Jahre 2000 vergöttert wurde (zwei der ehrenamtlichen Sargträger waren Fidel Castro und Jimmy Carter), war er eine kontroverse und spaltende Figur in Kanada. Von vielen geliebt, wurde er gleichermaßen von zahlreichen Wählern während seiner Karriere in der Bundespolitik gehasst, insbesondere im Westen Kanadas und von den Separatisten und Nationalisten aus Quebec.

Während die Karriere des älteren Trudeau ohne Frage ein Erfolg war, gewann er nie mehr als 46 Prozent der Stimmen. Als er zurücktrat, ließ er die Liberale Partei in Trümmern zurück und obwohl sie zwischenzeitlich Wahlen gewann, erholte sie sich nie wirklich davon.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Pierres ältester Sohn Justin das Wiederaufleben der Liberalen anführt – und dies, ohne so wie sein Vater zu sein.

Ein anderer Weg

Stephen Harper, seit 2006 Kanadas Premier aus der Konservativen Partei, ähnelte, dreist gesprochen, dem älteren Trudeau mehr als Justin.

Pierre Trudeau wurde für seinen Intellekt geachtet – er war Professor für Jura und Schriftsteller – und gleichzeitig für seine Arroganz und Distanziertheit geschmäht. Er war nie für Herzlichkeit bekannt und sein Charakter wäre in der heutigen, mehr gefühlsbetonten Politik, die durch das Fernsehen und sozialen Medien geformt wird, fehl am Platze.

Während sein Vater Trudeau Premier war, verbrachte das Kind von Margaret und Pierre seine Kindheit direkt vor den Augen der Medien – insbesondere als die Ehe seiner Eltern in den 1970er Jahren öffentlich zerfiel. Seiner Persönlichkeit wird nachgesagt, dass sie eher der seiner lebhaften Mutter entspricht als der seines stoischen Vaters und dass er für ein Leben außerhalb der kanadischen Politik bestimmt schien.

Er wurde Lehrer in einer Schule, kaum ein typischer Startplatz für einen Höhenflug an die Spitze der kanadischen Politik. Dann jedoch unterbrach Justin seine relative Anonymität, um im Oktober 2000 einen im Fernsehen gezeigten und allgemein viel beachteten Nachruf auf der Beerdigung seines Vaters zu halten. Dieses Ereignis schien einen Drang, sich mehr politisch engagieren zu wollen, bei ihm ausgelöst zu haben.

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Wahrscheinlich durch den Mangel an politischer Erfahrung oder seiner selbst gewählten Laufbahn galt der jüngere Trudeau als politisches Leichtgewicht. Sein Aufstieg zum Vorsitzenden der Partei, die sein Vater einst führte, war sicherlich nicht vorprogrammiert.

Nach einer Niederlage gegen die Konservativen unter Harper im Jahre 2006, versuchten die Liberalen die Magie Trudeaus mit ähnlich gestrickten Individuen wiederzuerwecken. Der erste Kandidat war Stéphane Dion, ein Akademiker aus Quebec, der zum Politiker wurde. Als er während der Wahl 2008 ins Schwimmen geriet, warb die Partei Michael Ignatieff ab, einen in den USA und Großbritannien äußerst bekannten Akademiker und Intellektuellen. Er führte die Partei während der Wahl 2011 zur höchsten Wahlniederlage überhaupt: Einem dritten Platz mit nur 18,9 Prozent der Stimmen.

Mit diesen drei katastrophalen Niederlagen im Gepäck war die Partei bereit, dem jüngeren Trudeau eine Chance zu geben.

Kniffliges Gelände

Nachdem er 2008 Abgeordneter im Parlament wurde, übernahm Justin 2013 gewandt den Vorsitz der Partei und machte sich schnell durch kontroverse Aussagen und Positionen einen Namen.

Er forderte die Legalisierung von Marihuana und gab – außergewöhnlich für einen westlichen Politiker – zu, im Jahr 2010 gekifft zu haben. Gleichzeitig lehnte er es ab, sich dafür zu entschuldigen. Der neue Vorsitzende der Liberalen nahm eine starke Position zum Recht der Frauen auf Abtreibung ein und weigerte sich, Kandidaten aufzustellen, die dieses Recht bei einer Abstimmung nicht unterstützen. Diese Einstellung rief beißende Kritik hervor.

Am Tag nach dem Bombenanschlag auf den Marathon in Boston forderte er eine Untersuchung nach den Wurzeln solcher Gewalt. Diese Stellungnahme wurde als “naiv” und “zeitlich ungünstig gewählt” verspottet, obwohl die kanadische Regierung selbst Mittel bereitstellte, um die Ursachen des Terrorismus zu verstehen.

Später brachte er viele Progressive gegen sich auf, als seine Partei den kontroversen Anti-Terrorgesetzentwurf C-51 der Harper-Regierung unterstützte.

Justin Trudeaus Patzer und sein Mangel an politischer Erfahrung gaben den Konservativen unter Harper viel Raum, seine Unterstützung in der Öffentlichkeit schwinden zu lassen. Aus diesem Grund wurden schon vor der Wahl 2015 eine Reihe von Fernseh- und Radiospots geschaltet, die sich um die mangelnde Bedeutung Trudeaus drehten.

Einer dieser wiederholt gesendeten Spots zeigte ein Einstellungsgremium, welches Trudeaus Lebenslauf durchsah und entschied: “Er ist einfach nicht bereit – aber er hat schöne Haare”.

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Der ständige Strom von Angriffen gegen Trudeau könnte sehr wohl nach hinten losgegangen sein. Die öffentlichen Erwartungen an ihn waren so gering, dass er sie allein durch sein Vermögen, stehen zu bleiben und sich schlüssig anzuhören, übertraf. Besser noch: Den Liberalen gelang es gut, direkt auf die Spots zu antworten.

Eine frühe Antwort zeigte Trudeau in einem Klassenzimmer, betonend wie stolz er auf seinen Lehrerberuf sei. Eine weitere zeigte Trudeau selbstbewusst in die Kamera sprechend, dass er einfach nicht bereit sei – nicht bereit, Kanada wirtschaftlich zurückfallen zu lassen.

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Letztendlich konnte sich Trudeau sehr gut in den Debatten behaupten, obwohl er teilweise für unpopuläre Maßnahmen plädierte; darunter unter anderem das Recht von Frauen einen Niqab bei der Staatsbürgerschaftszeremonie zu tragen oder das Recht verurteilter Terroristen ihre kanadische Staatsbürgerschaft zu behalten.

Ob nun der Charakter von Justin, ein populäres Verlangen nach einem Wechsel oder die Magie des Trudeau-Namens ausschlaggebend war, das Ergebnis ist eine Mehrheitsregierung. Die Partei erhielt 21 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl 2011. Einst waren sie die dominante politische Partei Kanadas auf der Bundesebene, jetzt sind die Liberalen zurück und eine neue Trudeau Ära hat begonnen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „Justin Trudeau Backstage with Media“ by Mohammad Jangda (CC BY-SA 2.0)


 

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