Zurückgeklickt: Die NiemanLab Predictions für 2015, Teil 1

Was sagte das NiemanLab vor einem Jahr über die Entwicklungen des Journalismus im Jahr 2015? Der Bestandsaufnahme erster Teil. Seit Dezember 2010 wirft das Nieman Journalism Lab einen Blick auf das jeweils anstehende Jahr und befragt die nach eigener Aussage schlauesten Menschen aus Journalismus und digitalen Medien, wie sich ihre Branche in den kommenden zwölf Monaten entwickeln wird. Was hatten die klugen Köpfe für 2015 vorhergesagt und haben sie Recht behalten? Im ersten Teil geht es um News Mixtapes.

Den Anfang macht Katie Zhu mit ihrer Vorhersage “The News Mixtape”. Homepages, Streams, die Rückkehr zu Newslettern – das waren die Trends der Vorgängerjahre. 2015 sollte dann das Jahr der Nachrichten-Mixtapes werden, war Zhu sich sicher. Was sie damit meinte? Gebündelte Inhalte, sorgfältig ausgewählt, liebevoll zusammengestellt, dem Empfänger ans Herz gelegt. Statt lediglich über Links zu Artikeln auf Facebook oder Twitter zu stolpern und den Wert auf einzelne Geschichten zu legen, ohne diese in einen größeren Kontext zu setzen, sollen dem Nutzer ganze Lese-, Hör- und Schaupakete zur Hand gegeben werden – feinsäuberlich ausgewählt, den Interessen angepasst, Überraschung und Entdeckerfreude werden gleich mitgeliefert.

Diese News Mixtapes sollen im Idealfall vor allem fünf große Pluspunkte (hier in teilweise ungelenken Übersetzungen) haben: 1. Serendipität – das Phänomen, etwas zu finden, nachdem man gar nicht gesucht hat: Ein ganzes Bündel an spannenden Inhalten vor die Nase gesetzt bekommen – da ist freilich oft etwas aufregendes dabei, dass mir sonst niemals untergekommen wäre. 2. Intimität: Hat jemand für mich ausgewählt, welchen Inhalten ich Beachtung schenken sollte, ist Vertrauen vorausgesetzt – das Paket ist also ein höchst persönliches Statement, ein Zeichen der Intimität. 3. Entdeckbarkeit: Um Neues zu entdecken ist das Konzept ebenfalls wunderbar. Zwischen die aufregenden Artikel der Großen, der Profis, der Wunderschreiber einfach mal einen Beitrag eines unbekannten Journalisten setzen. Aufmerksamkeit ist garantiert, Leser und Schreiber profitieren beide. 4. Engagement: Ein Mixtape ist nichts Elitäres, jeder darf sich daran probieren. Das Engagement der Leser beim Zusammenstellen eines Inhaltsbündels macht sie zu aktiven und interagierenden Teilnehmern der Medienwelt. 5. Kuratierung: Schlichtweg nötig bei den unglaublichen Mengen an Informationen, die für uns bereitstehen.

Aus Alt mach Neu

Das Konzept von Zhus Mixtapes gefällt, und scheinbar nicht nur mir. Mixtapes wurden die gesammelten Inhalte zwar nicht genannt, hochgeschätzt wurden sie 2015 nichtsdestotrotz. Vor allem in Form von Aggregatoren und Newslettern fanden sie Beachtung. Nachrichten per Mail sind keine Erfindung des vergangenen Jahres, auch Aggregatoren sind schon ein paar Tage älter, viele erprobt, einige schon längst wieder eingegangen. Doch beide Verbreitungswege waren 2015 schwer beliebt. Kein neues Medienunternehmen, das beim Launch nicht gleich einen Newsletter rausgehauen hat. Hatte ich die Zeit und Muße, morgens schon Neues zu entdecken, waren vor allem die Krautreporter Morgenpost und die täglichen Empfehlungen von Blendle wunderbare Artikellieferanten.

Auch Aggregatoren waren nicht nur weiterhin erfolgreich – ich denke gerade neben anderen zum Beispiel an das fantastische Nuzzel –, sondern wurden sogar neu ins Leben gerufen und planen Großes. Man denke nur an die Partnerschaft zwischen Samsung und Axel Springer und das daraus entstandene Baby Upday. Werden einige Ungereimtheiten aus der Beta-Phase beim tatsächlichen Launch nicht wieder auftauchen, hat die App eine große Zukunft. Auch, wenn viele andere vorher schon gescheitert sind.

2015 war definitiv das Jahr der News Mixtapes, Katie Zhu hat also Recht behalten. Doch ein Mixtape, das die fünf genannten Qualitätsmerkmale auf ideale Weise verbindet, ist mir noch nicht untergekommen. Das mag möglicherweise nur ein sehr subjektiver Eindruck sein; wie gesagt, Mixtapes sind ein persönliches Statement, ein intimes Angebot an die Nutzer. Die notwendige Personalisierung hat aber bislang kein Ansatz erfolgreich umgesetzt. Diese beschränkt sich meist auf die Auswahl von Themengebieten.

Mixtapes genau angepasst

Das Grundkonzept eines Mixtapes beinhaltet jedoch viel mehr als die bloße Eingrenzung von groben Interessen. Ein Mixtape ist ursprünglich eine Kassette, auf der Musikstücke, bekannte und unbekannte, aber immer möglichst passend zum Geschmack des Empfängers, liebevoll zusammengetragen werden, in einer Ansammlung, die einfach zueinander passt. Da fragt man doch nicht nur: Mag er Rock, Hip-Hop oder Techno und wirft dann einfach alles aus diesen vagen Gattungen auf ein Speichermedium. Für ein perfektes Mixtape, dass der heutigen digitalen Zeit angemessen ist, muss die Zielperson genau gekannt werden: Welche Musik mag sie? Wann hört sie am liebsten Musik? In welcher Form möchte sie ihre Musik serviert bekommen? Und auch: Wie viel Zeit hat sie zum Musikhören? Diese Fragen müssen Aggregatoren auch für Nachrichten beantworten können.

Wir können selbstfahrende Autos konstruieren, lassen Roboter Artikel für uns schreiben, haben bald Kühlschränke, die automatisch Nahrungsmittel für uns ordern, und und und. In einer solchen Zeit soll es nicht möglich sein, diesen perfekten Aggregator zu erschaffen? 2015 werde ich stets mit Zhus Mixtapes, der Bündelung von Inhalten vor allem in Newslettern und Aggregatoren verbinden. 2016 wird dem aber in nichts nachstehen, auf eine Optimierung des Mixtape-Konzepts darf gehofft werden.


Image (adapted) “crazy blur” by lecates (CC BY-SA 2.0)


 

hat Anglistik, Amerikanistik und Geographie studiert. Er volontiert beim Kölner Stadt-Anzeiger und schreibt für die Netzpiloten die Kolumne "Zurückgeblättert" und Texte über die Entwicklung der Medien.


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