Mein 90er-Flashback mit der Barbie-Handtasche: Clamshell iBook G3 revisited

Apples farbenfrohes iBook G3 kam im Sommer 1999 auf den Markt. Kurz nach dem Launch des inzwischen legendären Desktop-Rechner iMac G3, bot Apple mit dem passenden Notebook nun einen weiteren betont anwenderfreundlichen Computer an. Zu dieser Zeit besaß ich ein silbernes Sony Vaio PCG-505. Ein superdünnes, leichtes und stylisches Windows-Notebook mit jeder Menge Schnittstellen und allerlei vorinstallierten Multimedia-Programmen von Adobe. Die bunten iBooks mit der Clamshell-Deckelkonstruktion und mit ihren Ausklapp-Henkeln fand ich damals eher albern und die hämischen Spitzenamen wie „Klodeckel“, „Barbie-Handtasche“ oder „Puderdose“ gerechtfertigt, wenn man sich die oft unbedarften User dazu ansah.

Gute 20 Jahre später liegt mein Vaio längst auf dem großen japanischen Elektroschottfriedhof. Hingegen lässt sich das alte iBook G3 meines Mannes vom Dachboden so problemlos in macOS 9.2 booten, als hätten wir es gestern zuletzt genutzt und danach ordnungsgemäß heruntergefahren. Das iBook zählt dank seiner robusten Technik und langlebigen Komponenten rückblickend zu den verlässlichsten Notebooks von Apple. Das gilt in weiten Teilen auch für unser Indigo-Modell (M6411) mit einem 366 Megahertz getakteten PowerPC-G3-Prozessor, 64 Megabyte Arbeitsspeicher und der zehn Gigabyte Festplatte– aber die Zeit hat doch auch ein paar tiefe Spuren an der blauen Puderdose hinterlassen.

Input – Output – kaputt

Ein Rechner ohne Ein- und Ausgabemöglichkeiten lässt sich kaum sinnvoll nutzen. Das 12,1 Zoll große Aktivmatrix-TFT-Display unseres Clamshell iBooks war zerbrochen und ausgelaufen, so dass große Teile des 600 x 800 Pixel auflösenden Displays nicht abzulesen waren. Das Trackpad reagiert bis jetzt nur sehr eingeschränkt oder gar nicht auf Input. Ebenfalls funktioniert der Schließmechanismus des Schubladenlaufwerkes nicht mehr, so dass sich praktisch keine Disks einlesen lassen, obwohl die Spindel hörbar arbeitet. Das Display des iBook G3 habe ich inzwischen durch ein komplett neues Oberteil ausgetauscht und das kaputte Trackpad umgehen wir hier mit einer USB-Mouse von Dell. Leider ist damit der einzige USB-Port belegt. Aber eine ganze Menge andere Dinge funktionieren dem Alter des Geräts entsprechend erstaunlich gut.

Ins Internet mit dem Netscape Navigator

Das Internet zum Beispiel, selbst wenn man hier noch mehr rausholen könnte, indem man Arbeitsspeicher erweitert, das Betriebssystem aktualisiert und sich einen neueren Browser besorgt. Auf unserem iBook G3 ist der Internet Explorer 5 von Microsoft für Macintosh installiert. Leider lässt sich das Programm weder starten noch reparieren. Glücklicherweise entdecke ich noch einen Netscape Navigator in Version 4.5 von 1998 und kann nach ein paar Anmeldeschritten auch schon ein bißchen browsen. Übrigens über LAN, denn obwohl der kabellose Datenaustausch über Airport damals eines der innovativsten (optionalen) Features war, ist in unserem Gerät keine Airport-Card verbaut.

Mit der Verbindung hat der Netscape Browser dann auch weniger ein Problem, als mit den Websites selbst. Für die 20 Jahre alte Version des Browsers sind die meisten Websites einfach nicht mehr erreichbar, weil er das WebSocket-Protokoll nicht unterstützt oder heutige Verschlüsselungsalgorithmen nicht versteht. Pure HTML-Sites funktionieren tatsächlich am besten. Andere Angebote lassen sich immerhin aufrufen und lesen, wie die Google-Suche oder sind sogar klickbar, wie etwa SPON. Das Surfen auf diesem iBook bleibt aber garantiert kindersicher und wenn man sich doch mal ins Netz verirrt, geht der Suchtfaktor hier gegen Null. Seht es selbst.

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90th Flashback with Netscape Navigator 4.5 from Klena on Vimeo.

Auf Knopfdruck alle Fenster auf: Apple Works 6

Wirklich lohnenswert ist aber Apple Works 6 auf dem iBook G3. Ein sehr umfangreiches Office-Paket mit Anwendungen für Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, und das Erstellen von Zeichnungen, Bildern und Präsentationen. Dabei punkten die einzelnen Anwendung noch heute mit ihrem komplexen Funktionsumfang einerseits und der intuitiven Bedienung andererseits. So lassen sich etwa in der Textverarbeitung mit nur einem Klick bis zu neun Spalten zu einer Seite hinzufügen. Außerdem gefällt mir sehr gut, dass sich die verschiedenen Fenster in Apple Works teilen und übereinander anordnen lassen.  Nutzer können einfach zwischen den einzelnen Anwendungen hin und her klicken und müssen keines der Fenster erst wieder nach vorne holen.

Problematisch wird es allerdings beim Speichern oder Exportieren der erstellten Dateien. Bilder lassen sich zwar in geläufigen Formaten speichern, allerdings erkennt mein MacBook Pro die Dateien trotzdem nicht. Das Problem lässt sich beheben, indem man das .jpg-Suffix anfügt. Bei Präsentationen klappt das aber nicht so einfach. Dennoch ließe sich das iBook G3 immer noch als praktische Reiseschreibmaschine einsetzen, indem man Texte in Simple Text, im Notizblock oder auf einem Notizzettel verfasst.

Apple Platinum: User Interface mit Regenbogen-Logo

Apropos Notizzettel: ein gutes Stichwort, um noch einmal auf das unverwechselbare Platinum Interface und das skeuomorphe Design von Apple zu sprechen zu kommen. Gilt die Nachempfindung von realen Objekten in einer Bedienoberfläche heutzutage als verspielt, war das vor 20 Jahren noch Teil eines großartigen Konzept. Es zielte vor allem darauf ab, die Interaktion zwischen Mensch und Computer weiter zu erleichtern. Angefangen hatte das bei Apple schon Ende der 1970er mit Interface-Designer Jef Raskin. Der Visionär für (Benutzer-) freundliche Computer machte mit seinem Macintosh-Projekt die grafischen Bedienoberfläche von Xerox und Interaktions-Paradigmen wie “click-and-drag“ beliebt.

Auch unter MacOS 9.2, auf der Platinum-Oberfläche sieht also der Mülleimer aus wie eine mit Papier gefüllte Tonne. Ein Taschenrechner mit plastisch gestalteten Tasten oder das Icon der Suche als Lupe sollen die Interaktionen auf der grafischen Oberfläche so intuitiv wie möglich machen. Und so gleicht auch die Notizzettel einem Post-it – ich mag das.

Als Systemschrift des iBooks ist Charcoal eingestellt, aber die guten alten Erinnerungen werden vor allem bei Chicago geweckt. Die serifenlose Schrift von Susan Kare war von 1984 bis 1997 die Systemschrift für Apples Betriebssysteme und wird bis heute mit der Apple-Marke assoziert. 1997 entschied man sich dann für die ähnlich aber weicher gestaltete Charcoal als Systemschrift, weil sie besser lesbar sein sollte. Im Kontrollfeld „Erscheinungsbild“ lassen sich neben Chicago und Charcoal noch fünf weitere Schriftarten auswählen, die geradewegs einen 90er-Flashback auslösen.

Letzter Einsatz: iBook G3 als Lieblingsreisespielzeug

Das Clamshell ist und bleibt ein Hingucker – häßlich oder hübsch entscheidet nur der Betrachter; vielleicht im London Design Museum, wo auch der erste iMac zu sehen ist. Definitiv hat es noch immer eine Menge Fans und lässt sich auch 2018 noch durchaus sinnvoll einsetzen. In alter Familientradition nutzen es die Kinder hier zum Bugdom-Spielen und Malen. Außerdem eignet es sich super als trendige Reiseschreibmaschine. Dank des kleinen Keyboards mit sehr angenehmen Tastendruck schreibt es sich damit schnell und komfortabel. Und mit einem frischen Akku ausgestattet, genießt ihr sechs bis zwölf Stunden lang mobiles Tippvergnügen.

Mit einem intakten optischen Laufwerk könnte man dank der zwei sehr guten Lautsprecher außerdem Musik und Filme abspielen. Überdies ließe sich noch mehr Performance aus dem Clamshell herausholen, indem man den Arbeitsspeicher auf bis zu 576 Megabyte erweitern und eine neue Festplatte einbauen würde. Dann wäre das iBook unter den OS.X-Systemen Tiger oder Panther einwandfrei zu booten und es ließe sich beispielsweise ein aktueller Web-Browser installieren.

Was kostet die Liebhaberei?

Wollte ich unser Clamshell iBook jetzt tatsächlich tunen, hier alle Reparaturen und Upgrades durchführen, müsste ich noch mal rund 150 bis 200 Euro netto in Hardware investieren; oder großes Glück mit einer Ersatzteil-Spenden auf eBay Kleinanzeigen haben. Notfalls könnte ich in den Auktionen ab rund 70 Euro ein komplettes iBook G3 ersteigern. Für unsere Zwecke ist das alles nicht nötig. Wer mit Apples portabeler Design-Ikone beeindrucken will, kann ihm aber auch nach zwanzig Jahren noch erstaunlich gute Leistungen abgewinnen.

Fazit: Wenn ich mich nochmal entscheiden müsste?

Betriebssystem hin oder her, ganz ehrlich: ich würde mir das Vaio nochmal kaufen und es besser behandeln. Zwar bietet das iBook G3 mit iMovie ebenfalls ein Schnittprogramm, der eingebaute CD-Brenner ist sicherlich auch ein Plus und die Rechner-Hardware mehr als ebenbürtig. Dennoch ist es schnittstellenmäßig unterlegen und wiegt trotz Kunststoffgehäuse mit über drei Kilo mehr doppelt soviel wie das Vaio in seinem schicken Magnesiumgehäuse. Wenn ihr mich allerdings fragen würdet, welchen Recher ich zwanzig Jahre später für mein Grundschulkind gerne auf dem Dachboden gefunden hätte, dann könnt ihr es euch schon denken. Natürlich das Bonbon unter den Notebooks – das iBook G3.

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Images by Lena Simonis

ist Fachjournalistin für Interactive Design, Technologie, eCommerce, digitale Wirtschaft und Bildung. Lebt seit 2003 in Hamburg und arbeitete dort unter anderem als Redakteurin für einen Kulturverein, verschiedene Fachverlage, Agenturen und Start-Ups. Jetzt bei PAGE.


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