Günter Metzges über das Modell Campact

Im Interview spricht Campact-Gründer Günter Metzges über vergangene Erfolge und eigene Zukunftspläne. // von Gina Schad

Campact-Gründer Günter Metzges

Campact wurde vor zehn Jahren gegründet, damals waren Onlinepetitionen noch neu. Mittlerweile hebt sich Campact durch seine Orientierung an progressiven Werten von anderen Plattformen ab. Indem die Kampagnen nicht nur online, sondern auch offline auf die Straße getragen werden, ist der Erfolg oft umso größer. Gina Schad hat sich Günter Metzges über die Plattform unterhalten.

Gina Schad: Sie haben Campact vor 10 Jahren gegründet. Wie haben sich die Rahmenbedingungen für die Arbeit einer an Kampagnen orientierten Plattform in der Zwischenzeit verändert?

Günter Metzges: Vor zehn Jahren war das Instrument der Onlinepetition noch neu. Damals war Campact in Deutschland weitgehend alleiniger Vorreiter. Heute gibt es eine Vielzahl von Petitionen von einer Vielzahl von Organisationen zu allen möglichen Themen. Und es gibt heute Unternehmen wie change.org, bei denen es fast egal ist, wofür eine Kampagne steht, und die vom Verkauf von “gesponserten Petitionen” an Verbände und Unternehmen leben. Das macht es um so wichtiger, klar herauszuarbeiten wofür wir stehen.

G.S.: Was unterscheidet Campact von anderen Plattformen, die wir in Deutschland haben?

G.M.: Campact ist nicht eine Plattform, sondern eine Bürgerbewegung, mit der inzwischen mehr als 1,6 Millionen Menschen für progressive Politik streiten. Wir debattieren mit Politiker/innen, schmieden Bündnisse und tragen unseren Protest auf die Straße: mit großen Demonstrationen und lokalen Aktionen. Auf diese Weise treiben unsere Kampagnen sozialen, ökologischen und demokratischen Fortschritt voran – für eine Welt, in der alle Menschen in Frieden leben und ihre Freiheit gleichermaßen verwirklichen können. Das Besondere an Campact ist also eine politische Orientierung an progressiven Werten, während andere Plattformen für alle Arten von Anliegen offen sind.

Weiterhin ist für uns sehr wichtig, das Engagement aus dem Netz auch mit Aktionen auf die Straße zu tragen. Häufig gewinnt das Anliegen erst dadurch seine politische Wirkung.

Im Gegensatz zu manchen Plattformen legen wir sehr großen Wert auf Datenschutz. Newsletterabonnements müssen immer noch einmal per Mail bestätigt werden. Ebenso kann auf campact.de nicht herausgefunden werden, ob jemand bereits unterzeichnet hat oder Newsletterabonnement ist.

Wir verkaufen keine „gesponserten Petitionen“ an andere Organisationen und Firmen, wie dies manche Plattformen tun. Campact finanziert sich ausschließlich durch Spenden und Förderbeiträge. Im Jahr 2013 hatten 99,8% aller Einzelspenden einen Betrag von unter 500 Euro. Der durchschnittliche Förderbeitrag betrug rund 7 bis 8 Euro im Monat. Es sind also Menschen „wie Du und ich“, die die Arbeit von Campact mit ihren Spenden und Beiträgen finanzieren.

G.S.: Gibt es Kampagnenerfolge, auf die Sie besonders stolz sind?

G.M.: Im Bündnis mit vielen Partnern haben wir Deutschlands Felder gentechnikfrei gemacht und das Verbot von Gen-Mais MON810 durchgesetzt. Auch der Atomausstieg nach Fukushima war Ergebnis des massiven Protests, den Campact als Teil einer breiten Bewegung organisiert hatte. Das Scheitern des Steuerabkommens mit der Schweiz ist ebenfalls ein wichtiger Erfolg. Noch offen ist die Auseinandersetzung um die Freihandels-/Deregulierungsabkommen TTIP und CETA. Doch hat der Protest von Hunderttausenden schon jetzt Wirkung bei der Politik gezeigt. Ein einfacher Durchmarsch, wie ihn sich die EU-Kommission sicher vorgestellt hat, ist nun nicht mehr möglich.

G.S.: Die Stärke von Campact scheint darin zu liegen, die „Online-Bewegung“ auch zu einer „Offline-Bewegung“ zu machen. Wie wichtig ist Ihnen der analoge Protest?

G.M.: Der Protest auf der Straße ist nach unserer Erfahrung häufig die eigentliche Quelle der Veränderung. Wir versuchen immer Online-Campaigning mit Protest auf der Straße zu verbinden. Durch die Unterzeichnung eines Appells bei Campact beziehen Bürger/innen Stellung zu ganz konkreten politischen Fragen. Sie nehmen die Rolle des Citoyens ein. Mit Campact vernetzen sie sich und haben die Möglichkeit, ihrem Anliegen politisch Wirkung zu verschaffen – auf der Straße, vor dem Wahlkreisbüro, in der Nachbarschaft oder am Ort der politischen Entscheidung, vor Parlamenten und Ministerien.

Die Zahlen sind dabei eindrucksvoll: 40.000 Menschen zeigten durch ein Türschild „Ein Bett für Snowden“, dass sie im Gegensatz zur Bundesregierung bereit wären, den Whistleblower Edward Snowden bei sich aufzunehmen. 27.000 Bürger haben vor der Europawahl überall in Deutschland 6,5 Millionen Türhänger in ihrer Nachbarschaft verteilt, um über die Positionen der Parteien zum TTIP-Abkommen zu informieren. Gegen TTIP fanden acht Flashmobs bei Wahlkampfauftritten von Angela Merkel und Martin Schulz statt, deren Bilder bis heute das öffentliche Bild des TTIP-Protests prägen. An 3.700 Orten sammelten Campact-Aktive im Herbst Unterschriften unter die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative „Stop TTIP & CETA„.

Bei der Kampagne zur Energiewende wurden die Bürger besonders aktiv: Es fanden im Frühjahr 2014 in ganz Deutschland in vier Monaten 40 Aktionen statt, darunter vier Großdemonstrationen mit insgesamt 42.000 Teilnehmern. Acht MinisterpräsidentInnen nahmen die über 200.000 Unterschriften entgegen, manchmal erst nach einer „Verfolgungstour“ mit mehreren Aktionen, jeweils mit großem Presseecho. Unterschriftenübergaben fanden auch in sieben Wahlkreisen von Mitgliedern des federführenden Wirtschaftsausschusses statt. Dabei waren in der Regel etwa 10 Prozent der Unterzeichner des Campact-Appells präsent, um mit ihren Abgeordneten auf der Straße zu diskutieren. Campact-Aktive schrieben mindestens 1.000 Leserbriefe, um zur Berichterstattung über die Energiewende in ihren Lokalzeitungen Stellung zu nehmen.

Bei alledem ist uns die Bündnisarbeit auch sehr wichtig. Campact bringt sich in Bewegungen ein und unterstützt sie, wie z.B. das Bündnis für eine Agrarwende, das jährlich Demonstrationen unter dem Motto “Wir haben es satt” organisiert.

G.S.: Werfen Sie auch ab und zu einen Blick auf andere Länder, wie dort Kampagnen funktionieren?

G.M.: Schon bei der Gründung haben wir viel von MoveOn in den USA gelernt. Heute vernetzen wir uns mit zahlreichen Schwesterorganisationen im OPEN-Netzwerk (Online Progressive Engagement Network). Dabei haben wir schon viel gelernt: So stammt z.B. die Idee der Türhänger, die Campact-Aktive vor der Europawahl verteilt haben, von GetUp! aus Australien. Wo immer es Sinn macht, arbeiten wir auch international zusammen, wie in der Kampagne zum Schutz des Great Barrier Riffs mit unserer australischen Schwester GetUp! Die hat dazu geführt, dass die Deutsche Bank ein Engagement bei der Finanzierung eines Kohlehafens am Riff klar ausgeschlossen hat.

G.S.: Könnte man das Modell Campact auch auf andere Länder erfolgreich übertragen?

G.M.: Es ist kein deutsches Modell. Erfahrungen mit dieser Art von Campaigning werden parallel in vielen Ländern gemacht. OPEN hat starke Mitglieder außer in Deutschland auch in USA, Kanada, Großbritannien und Australien. Campact unterstützt derzeit die Gründung von OPEN-Gruppen in anderen europäischen Staaten (Schweden, Irland) und den Aufbau einer europäischen Kampagnenorganisation, die sich der EU-Politik widmen wird.

G.S.: Wo sieht sich Campact in der Zivilgesellschaft verortet?

G.M.: Campact ist eng verbunden mit der politischen Zivilgesellschaft, mit zahlreichen NGOs, die auf der Grundlage der gleichen progressiven Werte arbeiten. Wir sind Teil dieser Zivilgesellschaft und verstehen uns zugleich als Impulsgeber und Unterstützer. Wir suchen die Zusammenarbeit und sind überzeugt, dass sich immer Formen finden lassen, die für uns und unsere Partner im Sinne der gemeinsamen Sache fruchtbar sind.

G.S.: Sehen Sie einen Widerspruch zwischen bürgerschaftlichem Engagement und zunehmender Professionalisierung der Kampagnenarbeit?

G.M.: Wenn wir von den Herausforderungen ausgehen, vor denen wir stehen – ich nenne hier beispielhaft nur die Klimakrise, die Integration von Flüchtlingen, umfassende Überwachung und wachsende Ungleichheit – dann ist Professionalisierung zwingend notwendig. Sie hilft auch den Bürger/innen Orte zu finden, in denen sie sich mit Ihrem Engagement wirkungsvoll einbringen können. Denn auch mit der Zeit, die Bürger/innen für ihr Engagement aufbringen, muss sorgfältig umgegangen werden.

G.S.: Wie geht es mit Campact als Plattform weiter, welche Ziele verfolgen Sie aktuell?

G.M.: Campact ist nicht nur Plattform, sondern immer auch Akteur. Campact-Aktive wollen etwas, sie streiten für etwas. Aktuelle Schwerpunkte von Campact sind die Freihandels-/Deregulierungsabkommen TTIP und CETA – mit dem Zwischenziel über 2 Millionen Unterschriften unter die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative zu sammeln -, und der Kohleausstieg als zentraler Baustein des Klimaschutzes und der Energiewende.

Darüber hinaus geht es Campact darum, WeAct als Plattform für Bürgerpetitionen unserer progressiven Community zu etablieren.

G.S.: Wenn wir einen Blick in die Zukunft werfen könnten: Wo sollte Campact in 10 Jahren stehen?

G.M.: Unsere Vision ist Campact als Community für politisch aktive, progressive Bürger/innen. Ein Ort, wo man Anregungen und Angebote bekommt, wo man viel selbst initiieren kann, und wo man sich mit anderen zusammenschließen kann. Und zugleich eine lebendige, eng mit anderen europäischen Bewegungen verbundene Bewegung, die nicht aufhört unsere Gesellschaft voranzubringen, sie gerechter, demokratischer, ökologischer zu machen.

hat Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin studiert. Ihre Masterarbeit hat sie zum Thema „Risiken und Chancen der Digitalisierung für Gesellschaft und Kultur“ verfasst. Derzeit forscht sie weiter zu den Themen Privatsphäre und Öffentlichkeit in der Digitalen Welt. Auf ihrem Blog medienfische bloggt sie über Menschen, Ideen und Netzkulturdings. Privat schreibt sie mit einem Stift auf Blätter, bei Twitter ist sie unter @achwieschade zu finden. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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