Golem.de testet bezahlten Content

Beim IT-Portal Golem.de wird derzeit ein neues Bezahlmodell ausprobiert. Für 2,50 Euro monatlich kann man jetzt alle Artikel ohne Werbung und Tracking genießen. // von Lars Sobiraj

Golem Pur (Screenshot: Daniel Peter, via Golem.de)

Bei der Berliner Klaß & Ihlenfeld Verlag GmbH wurde gestern ein neues Experiment gestartet. „Golem pur“ kostet pro Monat 2,50 Euro. Dafür sind alle Artikel des IT-Newsportals Golem.de ohne Werbung oder Tracking verfügbar. Zudem kann man zahlreiche Videos nicht nur anschauen, sondern auch direkt herunterladen. Mehrseitige Beiträge werden bequem auf einer Seite angezeigt, der RSS-Feed wird ungekürzt als Volltext ausgeliefert. Weitere Features sollen folgen. Ob genug Leser anbeißen werden?


Warum ist das wichtig? Nichts erscheint derzeit schwieriger, als der Verkauf von qualitativ hochwertigem Content. Neue Bezahlmodelle müssen her. Aber kaum jemand traut sich, sie auszuprobieren.

  • Mit monatlich rund einer Million Seitenzugriffen ist Golem selbst in der lauen Sommerzeit einer der Platzhirsche im IT-Sektor.

  • Alle bisherigen Versuche den eigenen Content zu vermarkten, ist mehr oder weniger am Unwillen des eigenen Publikums gescheitert.

  • „Golem pur“ soll die Leser mit speziellen Features und einem niedrigen Preis überzeugen.


Neues Honorarmodell für Autoren

Vor etwa einem Jahr eröffnete Firmengründer Jens Ihlenfeld allen freiberuflichen Autoren, dass sie wahlweise erfolgsorientiert entlohnt werden können. Wer bei Golem.de einen Artikel veröffentlicht, kann seinem Auftraggeber entweder einen festen Satz oder eine Art Erfolgshonorar pro Tausend Zugriffe in Rechnung stellen. Bei spannenden Themen kommen für freie Journalisten pro Artikel schnell über 400 Euro und mehr zusammen. Die Resonanz beim Fachpublikum war entsprechend positiv.

Trotz oder gerade wegen der hohen Vergütung der Autoren müssen im Gegenzug Modelle her, die der Betreibergesellschaft entsprechende Umsätze garantieren. Im Mai 2013 wurden alle Leser gebeten, ihre Adblocker auszuschalten. Viele Nutzer hatten wegen der animierten und aggressiven Anzeigen jegliche Werbung von ihren Browsern verbannt. An der hohen Quote der Nutzer eines Adblockers ist es trotz der Aufforderung geblieben. Die Aufforderung hatte sogar einen gegenteiligen Effekt. Zwar haben einige Nutzer freiwillig ihr Plug-in deaktiviert. Der Appell wurde von den meisten Lesern aber wie eine Werbung für Adblocker verstanden, der Anteil der Werbeverweigerer stieg entsprechend an. An den hohen Kosten zur Erstellung der Inhalte und des Betriebs der Redaktion hat sich natürlich nichts geändert. Auch der freiwillige Verzicht auf besonders nervige aber zugleich extrem gut bezahlte Werbung konnte die hohe Quote der Werbeverweigerer nicht beeinflussen.

Paywalls sind meistens sinnlos

Die Redaktionsleitung von Golem hat auf jeden Fall verstanden, dass die Errichtung einer Paywall grundsätzlich keinen Sinn macht. Die Beschränkung des Zugangs für Premium-Kunden stellt keine Lösung dar. Die Artikel müssen für Suchmaschinen wie Nutzer frei zugänglich sein. Bezahlschranken funktionieren nur bei sehr speziellem Content, der den Nutzern einen direkten finanziellen Vorteil bringt. Wenn Anleger und Broker aus dem Wall Street Journal vorab Firmeninterna erfahren können, sind sie bereit, dafür zu bezahlen. Bei allen anderen Inhalten wartet man lieber ab, bis die Informationen kurze Zeit später kostenlos im Web verfügbar sind. Auch der Appell der taz an das Gewissen seiner Leser ging in großen Teilen ins Leere.

Käufer brauchen einen Anreiz

Auf jeden Fall brauchen die zahlenden Kunden einen besonderen Anreiz für ihre Investition. Es wird auf Dauer nicht reichen, den Lesern lediglich die Artikel auf einer Seite anzubieten. Auch der ungekürzte RSS-Feed, Video-Downloads oder das Weglassen von Tracking und Werbung ist nicht ausreichend. Die Message ist bereits in Berlin angekommen. Weitere Features von “Golem pur“ sind in Arbeit. Sie sollen innerhalb der nächsten Wochen folgen. Die Nutzer werden außerdem dazu aufgefordert, sich inhaltlich an der Gestaltung von „Golem pur“ zu beteiligen.

Auch die Einführung des Micropayment-Dienstes Flattr konnte bisher nur wenig am anhaltenden Dilemma ändern. Nach eigener Auskunft haben innerhalb eines Jahres nur 0,03 Prozent aller Besucher einen Beitrag mit einer Spende unterstützt. Wenn von rund 1,5 Millionen Besuchern nur etwa 460 Personen Flattr benutzt haben, kann das vorne und hinten nicht zur Finanzierung eines der größten deutschsprachigen Newsportale reichen. Wenn zudem zahlreiche Anzeigen nicht wegen der hohen Rate an Adblockern ausgeliefert werden können, wird es endgültig ernst.

„Golem pur“ – Login auch mit sozialen Netzwerken

Für Abhilfe soll jetzt das neue Angebot “Golem pur“ sorgen. Nach vorheriger Registrierung und Bezahlung können sich alle Nutzer über Golem selbst oder das soziale Netzwerk ihrer Wahl einloggen. Fortan erhalten sie alle Inhalte komplett werbefrei. Zudem wird nicht mehr versucht, die Vorlieben der Surfer per Tracking herauszufinden. Wer sein Abo lediglich für einen Monat abschließt, bezahlt vier Euro. Nur bei einer Vertragslaufzeit von einem Jahr sinken die Kosten auf 2,50 Euro monatlich. Vier Euro pro Monat ist übrigens exakt der Wert, den die meisten Leser im Rahmen einer Umfrage angegeben haben. Das wäre ihnen der werbefreie Genuss der Artikel wert. Doch eine Handlung anzukündigen und sie durchzuführen, wenn es um das eigene Portemonnaie geht, sind bekanntlich zwei verschiedene Dinge. Man darf entsprechend gespannt sein, wie intensiv das neue Angebot genutzt wird. Bei dem ausgeprägten Willen der GmbH Experimente durchzuführen, bleibt es uns lediglich übrig, den Betreibern bei ihrem Vorhaben viel Glück und gutes Gelingen zu wünschen.


Teaser & Image by Golem.de


schrieb von 2000 bis zum Jahr 2002 für mehrere Computerzeitschriften rund 100 Artikel. Von April 2008 bis Oktober 2012 leitete er beim IT-Portal gulli.com die Redaktion als Chefredakteur. Thematische Schwerpunkte der über 1.000 Beiträge sind Datenschutz, Urheberrecht, Netzpolitik, Internet und Technik. Seit Frühjahr 2012 läuft die Video-Interviewreihe DigitalKultur.TV, die er mit dem Kölner Buchautor und Journalisten Moritz Sauer betreut. Seit mehreren Monaten arbeitet Lars Sobiraj auf freiberuflicher Basis bei heute.de, ZDF Hyperland, iRights.info, torial, Dr. Web und vielen weiteren Internet-Portalen und Blogs. Zudem gibt er Datenschutzunterricht für Eltern, Lehrer und Schüler. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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