Gerard Ryle: Wichtig ist, dass Journalismus unabhängig bleibt

Damit Journalismus auch in Zukunft existiert, bedarf es neuer Wege in der Finanzierung. Wichtig dabei ist für ICIJ-Direktor Gerard Ryle nur, dass Journalismus unabhängig bleibt. // von Tobias Schwarz

Gerard Ryle (Bild: Tobias Schwarz, CC-BY)

Am Sonntag Abend hat sich Gerard Ryle, Direktor des ICIJ (International Consortium of Investigative Journalists) und Christian Mihr, Geschäftsführer Reporter ohne Grenzen Deutschland mit Matthias Spielkamp, Redaktionsleiter iRights.info, in Berlin über die Internationalisierung der Recherche diskutiert. Wir haben uns im Anschluss mit Gerard Ryle über die Internationalisierung und Zukunft des Journalismus unterhalten. Ryle sieht eine Zukunft, aber dazu müssen neue Wege der Finanzierung gegangen werden und die Unabhängigkeit gewahrt bleiben.

Netzpiloten: In Ihrem Vortrag haben Sie über die globale Zusammenarbeit von Journalisten gesprochen. Warum ist Journalismus etwas Globales geworden?

Gerard Ryle: Journalismus wurde global, weil es die besseren journalistischen Ergebnisse bringt, wenn Journalisten miteinander zusammenarbeiten. Heutzutage sind die meisten Geschichten länderübergreifend. Wenn zum Beispiel hier in Deutschland eine Epidemie ausbricht, wird das gleiche wahrscheinlich auch in den USA oder Kanada oder sonst wo in Europa passieren. Kombiniert man jetzt die Rechercheergebnisse der verschiedenen Journalisten aus unterschiedlichsten Ländern und jeder hat Zugang zu den spezifischen Informationen von vor Ort, wird die Geschichte im Ganzen meist besser.

Das ist meines Erachtens eines der Hauptziele des ICIJ: lokale Augen schauen auf lokale Quellen zum Nutzen von allen. Also muss nicht wie bisher ein Reporter extra ins Ausland geschickt werden, wenn die Informationen auch von einem Journalisten von vor Ort besorgt werden können, der sich meistens sowieso besser auskennt und vor Ort Kontakte hat. Das ermöglicht Journalisten auch, ihre Geschichten zu behalten. Sie tauschen zwar Informationen aus, aber sie behalten die Geschichte für jeweils das Land, in dem sie veröffentlichen für sich. Das nimmt auch viel vom Konkurrenzdruck zwischen Journalisten und Medien hinaus.

Vergangene Woche haben wir Netzpiloten uns mit Experten über Sprachbarrieren im internationalen Journalismus unterhalten, die als Problem für einen Blick über den jeweiligen lokalen Tellerrand betrachtet werden. Sehen Sie das genauso und wenn ja, wie geht der ICIJ damit um?

Sprachbarrieren sind ein Problem für uns, aber kein sonderlich großes Problem, denn wir lernen mit jeder Recherche damit besser umzugehen. Die kulturellen Unterschiede der Reporter erweisen sich meist als viel komplizierter, denn die journalistischen Standards sind teilweise extrem unterschiedlich. In manchen Ländern ist es zum Beispiel in Ordnung auch verdeckt zu ermitteln. In den USA, in dem das ICIJ seinen Sitz hat, geht das gar nicht. Viele Fragen, zum Beispiel ob die Verwendung anonymer Quellen akzeptabel ist, müssen oft von Fall zu Fall ausdiskutiert werden.

Wir erlauben deshalb unseren Reportern eine Geschichte nach dem journalistischen Standard in ihrem Land zu veröffentlichen. Arbeitet also ein deutscher Journalist mit uns zusammen, behält dieser die redaktionelle Kontrolle über die Geschichte. Ein mit ihm arbeitender Kollege wird vielleicht seinen Teil der Geschichte auf eine andere Arbeit erstellen, ob dieser dann aber in Deutschland verwendet werden kann, weil den Artikel abnehmende Zeitungen die Arbeitsweise kritisieren könnten, entscheidet der deutsche Journalist.

Versucht das ICIJ für die bessere internationale Zusammenarbeit einen gewissen universellen Standard in der internationalen Recherche zu etablieren?

Nein, das versuchen wir nicht. Wir wollen anderen Reportern nicht vorschreiben, wie sie arbeiten sollen. Unsere Unterstützer wollen den Kern des investigativen Journalismus erhalten, denn dieser hat in den weltweiten Finanzproblemen von Redaktionen stark gelitten. Darum geht es. Große Medienunternehmen investieren nicht mehr genug in die investigative Recherche und genau das übernimmt bei bestimmten Geschichten das ICIJ unentgeltlich. Dafür sind wir da.

Bei der Recherche zu den Offshore Leaks hat das ICIJ mit über 80 Journalisten aus mehr als 46 Ländern zusammengearbeitet. Sind diese Journalisten die Pioniere in ihren Ländern oder ist die globale Zusammenarbeit inzwischen normal in einer zunehmend vernetzten Welt?

Wir haben bei der Recherche vor allem auf unsere Mitglieder gesetzt. Die Hälfte der Reporter waren allerdings keine Mitglieder, sondern Journalisten, die uns empfohlen wurden oder die wir während der Recherchen kennenlernten. Andere wiederum wurden von Mitgliedern empfohlen, die keine Zeit für das Projekt hatten. Was das Besondere an ihnen allen ist, ist die Kombination all ihrer Erfahrungen und Fähigkeiten. Manche von ihnen waren sehr jung, andere waren wiederum die berühmtesten Reporter in ihrem Land. Sie waren alle sehr unterschiedlich, aber sie arbeiteten hervorragend zusammen.

Wenn Sie mit externen Freelancern zusammenarbeiten, müssen es immer Journalisten sein oder sind Blogger, Akademiker oder Aktivisten ebenfalls mögliche Partner bei der Recherche?

Nein, wir arbeiten nicht mit Bloggern oder Aktivisten zusammen. Nur Journalisten, die in ihrem Land bereits etabliert und angesehen sind. Akademiker helfen uns manchmal, denn viele Mitglieder sind inzwischen selber an Hochschulen und unterrichten investigativen Journalismus. Sie vermitteln uns dann vielleicht einen Kontakt oder einen ihrer Studenten, sind aber selber nicht an der Recherche beteiligt.

Journalismus macht gerade einen erheblichen Wandel durch. Techniken und Werte verändern sich. Bewerten junge Journalisten die Bedeutung einer investigativen Recherche anders als ihre älteren Kollegen?

Ich glaube, dass manche der jungen Journalisten heutzutage sehr gut ausgebildet sind. Besonders im Umgang mit Computern haben sie Fähigkeiten, die ältere Kollegen nicht besitzen. Diese haben sich aber über die Jahre einen gewissen Sinn für die Arbeit angeeignet, den besonders unerfahrene Kollegen noch nicht haben. Die Kombination beider Gruppen ist ideal für unsere Arbeit beim ICIJ. Ich habe bisher immer etwas gelernt und ich kennen niemanden beim ICIJ, der bei einer Recherche nicht etwas über seinen Beruf gelernt hat, dass er vorher noch nicht wusste.

Muss eine Geschichte ein gewisses Potential haben, damit das ICIJ eine Recherche beginnt?

Für mich muss die Geschichte sogar ein sehr großes Potenzial haben, damit das ICIJ sich damit beschäftigt. Wenn ich damit zu unseren Mitgliedern und kooperierenden Medien gehe, dann müssen diese sofort davon überzeugt werden können. Wir können nicht alle unsere Mitglieder selber bezahlen und sind darauf angewiesen, dass Redaktionen unsere Mitglieder für eine Recherche abstellen und bezahlen. 90 Prozent unserer Mitglieder werden von ihren Redaktionen finanziert und diese müssen überzeugt sein, dass sie am Ende eine große Geschichte bekommen. Eine potenzielle Titelgeschichte in der Hand zu haben ist mein einziges Verhandlungsargument und deshalb unglaublich wichtig.

Während es dem Journalismus gut geht, funktionieren die ihn finanzierenden Geschäftsmodelle nicht mehr. Viele Medien suchen nach neuen Möglichkeiten der Finanzierung von Journalismus und arbeiten dabei auch mit Unternehmen zusammen. Ist die Unabhängigkeit von Journalisten, die von den Partnermedien bezahlt werden, immer nachvollziehbar und gewährleistet?

Medien mussten schon immer mit Unternehmen zusammenarbeiten, um sich finanzieren zu können. Auch mit der Schaltung von Anzeigen und der finanziellen Abhängigkeit von den Auftraggebern entstanden Gefahren für die Medien. Wir haben diese Form der Finanzierung gesellschaftlich akzeptiert, solange die Unabhängigkeit der Medien gewahrt bleibt. Ich könnte mir also auch theoretisch vorstellen, dass ein Unternehmen eine unserer Recherchen sponsert. Es ist etwas, über das ich auch schon nachgedacht habe, aber mir ist noch nicht klar, wie das genau funktionieren kann.

Feststeht, sollte es einmal dazu kommen, dass auch fremdfinanzierte Recherchen für sich genommen unabhängig und ohne Einfluss von Dritten sein müssen. Wir müssen im Journalismus auch offen für neue Ideen sein, denn die Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr wie einst. Damit es aber weitergeht und daran sollte uns gelegen sein, wenn wir daran glauben, was wir hier machen, dann müssen auch neue Wege eingeschlagen werden. Solange wir die Ergebnisse auf eine von uns gewählten Art und Weise bekommen und die Unabhängigkeit gewahrt bleibt, können und müssen neue Modelle getestet werden.

Auch das spendenbasierte Finanzierungsmodell des ICIJ stecht jedes Jahr auf wackligen Füßen. Müssen in Zukunft vor allem Kooperationen mit Firmen oder die Annahme von staatlichen oder wohltätigen Geldern versucht werden?

Das Wichtigste für uns ist, dass uns nicht in die Arbeit hinein geredet wird. Wenn wir Geld annehmen sollten, dann nur, wenn daran keine Bedingungen geknüpft sind. Würden wir zum Beispiel Geld von einer Tierschutzstiftung annehmen, um eine Recherche zur Gefährdung einer bestimmten Tierart durchzuführen, wäre unsere Geschichten potenziellen Medienpartnern kaum als unabhängig darzustellen. Potenziell wird es solche Kooperationen geben, aber wie steht noch nicht fest. Ich weiß auch nicht, was die Zukunft da bringt und wer in Zukunft den Journalismus finanziert, aber wichtig ist, dass wir als Journalisten bei unseren Recherchen entscheiden können, was wichtig ist und was nicht.


Das Interview führte und übersetzte Tobias Schwarz.


Image & Teaser by Tobias Schwarz (CC BY 2.0)


ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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