Warum man nie ein Gehirn in die Cloud hochladen kann

Um die Frage zu klären, ob man ein Gehirn in die Cloud hochladen kann, müsste erst ein wichtiger erkenntnistheoretischer Durchbruch geschehen. In dem ersten Artikel dieser Serie haben wir gesehen, dass man den Verstand und den Körper nicht voneinander trennen kann und auch, warum die Robotertechnik es nicht schafft, beide Sachen nachzuahmen. Die Wissenschaft stellte sich schon immer die Frage, ob es möglich ist, Verstand und Körper zu trennen. Rein technisch ist dies nicht möglich. Doch nehmen wir mal an, dass wir irgendwann vielleicht doch alle körperlichen Probleme mit Sensoren, Muskeln und so weiter gelöst haben und akzeptieren, dass das hochzuladende Hirn nicht wirklich unser individuelles Wesen widerspiegelt. Nun kommt die eigentliche Herausforderung: Wir wollen das Gehirn hochladen.

Aber was genau ist ein Gehirn? Der Begriff bezieht sich meistens auf den Cortex (Hirnrinde) und wahrscheinlich einige subkortikale Strukturen, einschließlich der Amygdala, dem Hippokampus und der Basalganglien. Das zentrale Nervensystem ist aber zusätzlich aus mehreren und anderen Strukturen gemacht, die nicht weniger wichtig sind, wie das Kleinhirn, der Thalamus, der Hypothalamus, das Rückenmark und das Stammhirn.

Verbindungen schaffen

Wenn wir uns nun das gesamte zentrale Nervensystem ansehen, dann sind wir mit ca. 86 Milliarden Neuronen konfrontiert und jeder dieser Nervenzellen kontaktiert im Durchschnitt 10.000 andere Nervenzellen, was ungefähr 860 Millionen Verbindungen darstellt. Das ist ganz schön viel. Also was genau müssen wir nun im Computer hochladen? Den Typen, die Größe und die Geometrie einer jeden Nervenzelle? Das aktuelle Membranpotential der Zelle? Die Größe und Position des Axon und dessen Status in der Myelinisation? Die komplette Geometrie des Dendritenasts? Die Lage der verschiedenen Ionen-Pumpen? Die Anzahl, Position und den Status der verschiedenen Neurotransmitter?

Jede dieser Überlegungen könnte entscheidend sein und diese können nur mit einem hochmodernen Computer in die Tat umgesetzt werden (und dies gilt auch nur für ein paar Neuronen). Das Problem ist, dass wir nicht genau wissen, was genau uns zu dem macht, was wir sind und uns von anderen unterscheidet – und ich rede hier nicht einmal vom Lernen.

Überlegen wir einmal – wenn wir nur die richtigen Mittel hätten, um jede dieser Rahmenbedingungen einmal aufzunehmen, könnten wir versuchen, alles zu übertragen. Dies würde allerdings möglicherweise Tausende oder sogar Millionen Informationen für ein einzelnes Neutron erfordern. Wenn man nur die Neuronenanzahl betrachtet, würde dies eine Zahl im Zettabereich bedeuten (wie beim Speicherplatz: Die Reihenfolge lautet auch hier Kilo, Mega, Giga, Peta, Exa und Zetta, jedes mal mit 1.000 multipliziert). Diese Zahl ist so groß, dass selbst die Computerwissenschaft sie noch nicht händeln kann – und wir reden hier nur über den Speicher des Gehirns, wir müssten zudem sicherstellen, dass dieses Modell zusätzlich in Echtzeit läuft, da niemand einen künstlichen Verstand akzeptieren würde, wenn er dazu noch mit gedrosselter Geschwindigkeit arbeitet.

Von einer rein technischen Perspektive lässt sich sagen, dass wir deshalb ziemlich weit (sogar sehr, sehr weit) davon entfernt sind, tatsächlich so etwas zu erschaffen. Schlimmer noch, die Forschung weist darauf hin, dass das Mooresche Gesetz, welches besagt, dass sich der Speicherplatz und die Geschwindigkeit etwa alle 18 Monate verdoppelt, sein Limit erreicht, was bedeutet, dass wir vielleicht niemals das benötigte Technologielevel erreichen. Das Human Brain-Project hat dieses Problem schon geahnt und von Anfang an geplant, nur simple Neuronen- und Synapsenmodelle zu benutzen.

Falls Sie an noch detaillierteren Modellen interessiert sind, hilft ein Blick auf ein Projekt namens OpenWorm. Hier werden nicht mehr als nur ein paar einfache Neuronen simuliert.

Der Vogel in der Maschine

Die Idee, das eigene Gehirn in eine Maschine einzubauen, ist in der Literatur und im Kino weit verbreitet. Durch die neuesten Entdeckungen in der künstlichen Intelligenz wurde das Interesse an diesem Thema wiedererweckt. Dennoch kann es hier zu ein paar Missverständnissen kommen, vor allem bei der Frage was Künstliche Intelligenz (KI) eigentlich ist und um welches Ziel es dabei geht.

Sobald die Medien über Künstliche Intelligenz berichten, beziehen sie sich meist auf Machine Learning und Robotertechnik. Beides jedoch ist nicht dazu angelegt, das Gehirn oder die Wahrnehmung zu verstehen (mit einigen nennenswerten Ausnahmen, wie die Arbeit von Pierre-Yves Oudeyer). Diese Missverständnisse stammen wahrscheinlich daher, dass neue Algorithmen erschaffen wurden, die exzellente Performances bieten und die Dinge können, die wir bisher nur dem menschlichen Wesen zugeschrieben haben – wie beispielsweise Bilder wiederzuerkennen, Autofahren und so weiter.

Aber auch wenn sich maschinelles Lernen und Robotertechnik in einem derart raschen Tempo entwickelt, sagt uns dies nichts darüber, wie das biologische Gehirn eigentlich funktioniert – oder zumindest nicht direkt. Wenn wir das erfahren wollen, müssen wir uns der Neurowissenschaft, oder genauer gesagt, der rechnergestützten Neurowissenschaft zuwenden. Eine Parallele kann gezogen werden zwischen der Aeronautik (AI) und der Ornithologie (Neurowissenschaft).

Obwohl die ersten Flugversuche vom Prinzip des Vogelflugs abgeleitet war, wurden diese Flugmodelle schon vor langer Zeit beiseite gelegt, um bessere Flugzeuge zu designen (Schnelligkeit, Traglast, usw.). Dabei wurde Technik genutzt, die sich speziell auf die Aeronautik bezieht. Um Vögel besser zu verstehen, muss man sich mit Ornithologie und Biologie beschäftigen. Daher kann man festhalten, dass die Idee, ein Gehirn in einen Computer hochzuladen, wegen des Fortschritts der Künstlichen Intelligenz genauso sinnvoll ist, wie Federn an ein Flugzeug zu kleben und so zu tun, als sei es ein künstlicher Vogel.

Niemand wird je wissen, ob es möglich ist, ein Gehirn “in einen Computer hochzuladen”. Aber es ist sicherlich so, dass dieser Gedanke beim heutigen Forschungsstand wenig Sinn ergibt – und so wird es auch bleiben, solange nicht ein wichtiger erkenntnistheoretischer Durchbruch geschieht, mit dem wir das Gehirn und seine Funktionsweise gänzlich verstehen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) “Exercise Plays Vital Role Maintaining Brain Health” by A Health Blog (CC BY-SA 2.0)


The Conversation

ist Forscher am INRIA, das Nationale Institut für Forschung im Bereich Informatik und Kontrolle Frankreichs. Er arbeitet derzeit, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Neurodegenerative Erkrankungen, am „MNEMOSYNE“ Projekt, das an der Grenze zwischen integrativer und computationaler Neurowissenschaft liegt.


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