Gedanken über die Zukunft von Social Media

Social Media wird oft als Synonym für das Web 2.0 angesehen. Doch was kommt danach? Wie wird das Web 3.0 aussehen? Wo liegt die Zukunft von Social Media? Der Schweizer Gymnasiallehrer Philippe Wampfler hat sich darüber einmal Gedanken gemacht.

In seinem Beitrag zeigt Wampfler den Kerngedanken des Web 2.0 auf, wie es sich vom Netz einer digitalen Avantgarde in ein soziales Netz vieler verwandelte. Von seinen Annahmen ausgehend, wie das Web 3.0 gestaltet sein wird, zeigt Wampfler auf, wie Kommunikation in der Zukunft gestaltet sein könnte und plädiert für die Einführung der temporären Kommunikation in der digitalen Sphäre.

Was ist Social Media?

Social Media ist oft Synonym für Web 2.0, das Miriam Meckel wie folgt definiert:

Web 2.0 ermöglicht die selbst organisierte Interaktion und Kommunikation der Nutzerinnen und Nutzer durch Herstellung, Tausch und Weiterverarbeitung von nutzerbasierten Inhalten über Weblogs, Wikis und Social Networks. Über kommunikative und soziale Vernetzung verändern die Nutzer die gesellschaftliche Kommunikation – weg von den Wenigen, die für Viele produzieren, hin zu den Vielen, aus denen Eins entsteht: das virtuelle Netzwerk der sozial und global Verbundenen.

Interaktion und soziale Verbindung zeichnen die zweite Version oder die zweite Entwicklungsstufe des Internets aus – das zunächst von einer kleinen Elite mit Inhalten bespielt wurde, die dann viele abrufen konnten.

Im Moment erleben wir einen Übergang zu einer dritten Entwicklungsstufe, deren Bedeutung vor allem eine wirtschaftliche ist: Im Web 2.0 erfolgreiche Unternehmen wie Facebook und Zynga geraten in Schwierigkeiten, weil sie die Entwicklungen nicht bewältigen können. Um welche Entwicklungen geht es?

Das Web 3.0 zeichnet sich wahrscheinlich durch folgende Eigenschaften aus (vgl. diesen Artikel von TechCrunch):

 

  • Es ist mobil – d.h. überall dabei.

 

 

 

  • Es ist real-time – d.h. es gibt keine zeitliche Distanz zwischen den Inhalten und ihrem Konsum.

 

 

 

  • Es wird an kleineren Bildschirmen bedient und wahrgenommen.

 

 

 

  • Es bedient sich automatisierter Sensoren, die Interaktion teilweise ersetzen: Das Netz weiß automatisch, wo wir sind etc.

 

 

Was heißt das für die Schule?

Ich sehe zwei zentrale Herausforderungen:

 

  • Die heutige Schule orientiert sich an räumlichen und zeitlichen Konzepten aus dem 19. Jahrhundert. Sowohl räumlich wie auch zeitlich wäre heute eine viel größere Flexibilität möglich – eine Flexibilität, die zwar denkbar scheint, aber sehr schwierig in wirkungsvolle didaktische Modelle umzugießen. Schon soziale Medien überfordern uns – und zwar uns alle.

 

 

  • Auch Digital Natives schaffen es nicht, die nötige Distanz zur Technologie einzunehmen, sie zu reflektieren etc. Mobiles Internet im Sinne von Web 3.0 wird noch präsenter sein und die virtuelle Realität mit der physischen Realität vermengen. Wir werden viele Kulturtechniken und Lernmethoden überdenken müssen, die Bedeutung entscheidender Konzepte wie »lernen«, »lesen/schreiben/rechnen«, »Leistung«, »Konzentration« wird sich massiv wandeln.

 

Temporäre Kommunikation

Unsere Wahrnehmung ist gelöst von unserer Erinnerung. Wir sehen, wir hören, wir riechen und fühlen – aber nur einmal dasselbe. Begegnen wir uns direkt, dann kommunizieren wir in vergänglichen Medien: Wir sprechen miteinander, verwenden Gesten, Gesichtsausdrücke, berühren einander – immer so, dass unsere Kommunikation nur im Augenblick existiert und dann verschwindet.

Die Schrift, die Fotographie und ihre Weiterentwicklungen zeichnen sich durch Permanenz aus. Sie speichern, was ohne sie nicht festhaltbar wäre. Baudrillard hat diesen Prozess als »Museumifizierung« bezeichnet: Eine Wahrnehmung wird zum Objekt und erhält so eine Zukunft, die sie nie gehabt hätte – obwohl sie immer als Vergangenheit betrachtet wird. In ihrem Essay über Photographie hat Susan Sontag diesen Akt als eine Form von Gewalt bezeichnet:

There is something predatory in the act of taking a picture. To photograph people is to violate them, by seeing them as they never see themselves, by having knowledge of them they can never have; it turns people into objects that can be symbolically possessed.

Social Media hat Einfluss auf unsere Erinnerungen

Dieses Wissen, das man von Personen hat, betrifft nicht nur Bilder, sondern auch Texte und Gesprochenes: Wer digital kommuniziert – und wer tut das nicht – muss damit rechnen, dass alles gespeichert wird. Unsere Anrufe auf diverse Hotlines werden aufgezeichnet, Facebook speichert jeden unserer Klicks, unsere Emails sind auf verschiedenen Servern archiviert. Was im Moment entstand, wird dauerhaft.

So verändert sich unser Bezug zur Realität: Nur was als Datensatz archiviert ist, ist wirklich passiert. Wenn wir etwas Außergewöhnliches erleben, sind unsere Kameras immer dabei, wir berichten darüber und wollen unserem Erlebnis Dauer geben. Wie Nathan Jurgenson festgestellt hat: Erfahrung für sich und Erfahrung für Dokumentation geraten durch Social Media durcheinander. Die Filter, die wir auf Instagram nutzen, laden uns ein, die Gegenwart schon als Vergangenheit, als ein Archiv für einen späteren Zugriff durch andere zu betrachten.

Dadurch verliert die Erfahrung ihren Wert, aber gleichzeitig auch die Dokumentation: Wer durch die alten Fotoalben seiner Großeltern blättert, sieht wenige Ausschnitte aus vielen Jahren, die so bedeutsam werden. Unsere Enkel werden sich durch Ordner klicken und sich in unseren digitalen Bildern verlieren, die durch ihre schiere Zahl ihren Wert eingebüsst haben werden.

„Recht auf Vergessenwerden?“

Damit wir uns erinnern können, müssen wir vergessen. Damit wir erleben können, muss etwas vergehen. Die Forderung nach einem »Recht auf Vergessenwerden« ist dabei hilflos und ein juristisches Konstrukt: Datenschutz ist nicht das Problem, wenn wir jeden wichtigen Moment unseres Lebens digital dokumentieren.

Was helfen kann, ist die Einführung der temporären Kommunikation in der digitalen Sphäre: Kommunikationsmittel, die nichts speichern, sondern im Gegenteil alles löschen, was wir eingeben. Ein Beispiel dafür wäre Snapchat: Die damit gemachten Bilder gehen nach 10 Sekunden verloren. Schon allein die Möglichkeit, im Internet vergänglich und nicht-vergänglich kommunizieren zu können, könnte eine Differenz beleben, die für das Funktionieren unserer Erinnerung, für den Wert von Bildern und anderen Medien und für unser Erleben der Realität entscheidend ist.


Dieser Beitrag ist zuerst in zwei Teilen auf schulesocialmedia.com (Teil 1, Teil 2) erschienen und steht unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 3.0 (CC BY 3.0). Philippe Wampfler wird seine Überlegung zur Zukunft von Social Media auf seinem Blog fortsetzen.


 


arbeitet als Gymnasiallehrer für Deutsch und Philosophie in Wettingen (Schweiz). Er denkt auf schulesocialmedia.com über Schule, Social Media und die Bedeutung digitaler Kommunikation nach. Im Juni 2013 erschien sein Leitfaden »Facebook, Blogs und Wikis in der Schule« bei Vandenhoeck & Ruprecht.


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