Felix Stalder: „Transparenz ist Voraussetzung für soziales Vertrauen“

Im Interview mit den Netzpiloten spricht der Medientheoretiker Felix Stalder über Vor- und Nachteile von Transparenz und die Monopolstellung von sozialen Netzwerken. // von Gina Schad

Felix Stalder (Bild: Tobias Schwarz/Netzpiloten, CC BY 4.0)

Auf der Konferenz „Einbruch der Dunkelheit“ sprachen wir mit dem Medientheoretiker und Aktivisten Felix Stalder über Transparenz, Facebook und was die Telekom mit sozialen Netzwerken gemeinsam hat. Für Stadler ist Transparenz vor allem Sichtbarkeit, die einen sehen lässt, wer jemand anderes ist. Das ist die Grundlage von Vertrauen. Trotzdem kann Transparenz uns schaden, zum beispiel wenn wir transparent gemacht werden gegenüber Institutionen und Akteuren, die uns gegenüber eben nicht transparent sind.
Es sollte deshalb politisch erzwungen werden, dass wir mit Freunden bei Facebook auch kommunizieren können, ohne selbst dort angemeldet zu sein.

Gina Schad: Warum reden wir eigentlich über Transparenz?

Felix Stalder: Weil es ein Bedürfnis, eine Notwendigkeit gibt zu wissen, was in mächtigen Institutionen passiert. Und das ist auch die traditionelle Idee von Transparenz im politischen Sinne, dass wir erfahren, was innerhalb von Institutionen passiert. Und wenn dort etwas passiert, was nicht passieren sollte, haben wir Mechanismen über die Gesetze und über politische Prozesse, um einzugreifen.

Sollte aus diesem Grund Transparenz auch anders gedacht werden?

Das Problem mit der Transparenz ist, dass sie eben nicht nur im klassischen Sinne gegenüber Institutionen des Staates oder großen Firmen benutzt wird, sondern eben auch, um Netzwerke zu strukturieren. Und da hat sie eine ganz andere Wirkung: Anstatt, dass sie die Träger der Macht sichtbar und damit verantwortbar für ihre Handlungen macht, erweitert Transparenz in diesen Netzwerken die Reichweite der Mächtigen, weil diese jetzt besser durch das Netzwerk agieren können; sie können mehr sehen und besser und genauer eingreifen. So eingesetzt hat Transparenz genau den gegenteiligen Effekt: Anstatt, dass Transparenz die Macht kontrolliert, erweitert sie die Macht. Das ist das Problem mit dem Begriff der Transparenz.

Sollten wir uns alle mehr trauen? Oder anders gefragt: Warum ist Transparenz wichtig?

Transparenz ist Sichtbarkeit; dass wir sehen, wer jemand anderes ist, damit wir eine Vorstellung davon bekommen, was eine Person bisher gemacht hat, und wie wir sie ungefähr einschätzen können. Dies ist Voraussetzung für soziales Vertrauen. Ich kann nur einer Person vertrauen, wenn ich abschätzen kann, wie diese Person handelt. Eines der Dinge, die das Internet kreiert hat, ist eben diese Form von Sichtbarkeit.

Die Frage an der Stelle ist, wie bewahren wir eigentlich den Teil, der sehr positiv ist, ohne dass wir uns ausliefern gegenüber zentralen Instanzen wie beispielsweise Facebook, die zwar ermöglichen, dass wir uns gegenseitig sehen, aber gleichzeitig zu dem Preis, dass sie alles auch sehen?

Wir sind gerade bei einem negativen Beispiel. In welchen Fällen könnte uns Transparenz schaden?

Transparenz schadet uns, wenn wir transparent gemacht werden gegenüber Institutionen und Akteuren, die sich uns gegenüber nicht transparent verhalten. Wenn Transparenz auf einer horizontalen Ebene stattfindet zwischen Personen, die sich gegenseitig sehen, und dabei im Hintergrund eine Stelle beobachtet, was in dem Netzwerk passiert, und entsprechend das Netzwerk so manipulieren kann, dass das, was in ihrem Interesse passieren sollte, auch tatsächlich passiert. Oder anders gesagt: dass das, was passiert oder passieren kann, aufgrund der Tools und der Möglichkeiten im Interesse dieser einen zentralen Instanz ist und vielleicht nicht so sehr im Interesse all dieser Leute, die darauf angewiesen sind sich in diesem Netzwerk zu bewegen.

Aber denkt man nicht immer, dass man, was man über sich mitteilt, doch selbst in der Hand hat?

Man hat es ganz fundamental eben nicht in der Hand, weil die Tools, mit denen man kommuniziert, bereits vorgegeben sind. Man hat natürlich in der Hand, was man kommuniziert. Facebook sind die Inhalte eigentlich egal. Facebook möchte, dass man seine Tools nutzt, und dass man Verbindungen schafft und damit für das Unternehmen immer sichtbarer wird. Die Frage, die sich uns stellt: Wie gehen wir mit dieser Situation um? Die Antwort, die uns an dieser Stelle meist gegeben wird, lautet: Du bist ja freiwillig da. Wenn es Dir nicht passt, dann geh doch. Und tatsächlich ist es diese Art und Weise, wie Macht auf Transparenzbasis funktioniert: Es ist tatsächlich freiwillig. Niemand zwingt uns zu Facebook zu gehen. Aber die Wahl ist eben nicht frei, weil die Optionen so unterschiedlich sind. Entweder ich habe den Zugang zu allen meinen Freunden, oder zu niemandem. Und das ist natürlich keine freie, faire Wahl. Insofern wird Zwang ausgeübt, obwohl man seinen Einstieg in das soziale Netzwerk freiwillig entscheidet. Und eine der Möglichkeiten, dies zu ändern wäre beispielsweise zu sagen: Facebook muss sein Protokoll öffnen, so dass es mir möglich ist, mit Leuten bei Facebook zu kommunizieren, ohne selbst dort sein zu müssen. D.h. ich könnte sagen: Mit meinen Freunden möchte ich weiter kommunizieren, aber nicht unter den Bedingungen, die Facebook mir anbietet.

Jetzt aber ein alternatives Netzwerk zu gründen ist praktisch unmöglich, weil alle schon in einem Netzwerk sind. Wenn ich mit meinen Twitter Followers reden will, muss ich das bei Twitter machen. Immerhin erlaubt Twitter auch ganz viele verschiedene Clients. Aber es läuft dennoch alles über ihre Server. Es stellt sich daher die Frage: Gibt es nicht Möglichkeiten, Messages zu bekommen von Leuten, die auf Twitter sind, ohne dass ich selbst dort bin?

Und wie sollte das funktionieren?

Ähnlich wie E-Mail auch funktioniert: Es ist möglich, mit jemandem, der bei Google ist, zu kommunizieren, ohne selbst bei Google zu sein. D.h. das Protokoll ist offen und verschiedene Organisationen bieten Dienste aus diesem Protokoll an. Ich kann zu Google gehen, kann meinen eigenen E-Mail-Server machen, oder zu einem Anbieter gehen, der eine starke Verschlüsselung hat, oder was auch immer. Es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Providern, die auf einem offenen Protokoll agieren. Und deshalb kann ich auch, wenn ich will, meinen E-Mail-Provider wechseln und mein Adressbuch mitnehmen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass das funktioniert?

Technisch ist das kein Problem. Es muss der politische Wille da sein, dies zu erzwingen. Den sehe ich im Moment überhaupt nicht. Wir hatten eine ähnliche Situation schon einmal mit dem Telekom-Monopol. Wo die Telekom auch gesagt hat: wir müssen das ganze Netzwerk kontrollieren, sonst bricht alles zusammen. Und dann kam doch der Gesetzgeber, der den Monopolisten gezwungen hat, das Protokoll aufzumachen. Das ist möglich.

Können Sie uns eine Zukunftsprognose geben? Was kommt nach Einbruch der Dunkelheit?

Es wird heller, irgendwann. Wann genau, das ist unklar. Ich denke, die verstärkte politische Auseinandersetzung mit diesen Fragen … wäre ein guter Anfang.

Wie wichtig ist so eine Konferenz wie diese hier?

Ich glaube, eine derartige Konferenz ermöglicht, dass Themen, die in sehr spezifischen Communities diskutiert werden, in andere Communities übertragen werden können. Ich sage nicht, dass es die ganz große Öffentlichkeit ist, aber ich glaube, viele Leute, die hier waren und die nicht so tief in dem Diskurs drin sind, tragen die Erkenntnisse, die sie hier gewonnen haben, in ihre Öffentlichkeiten weiter. Und ich glaube, diese Fähigkeit ist genau das, was eine Konferenz gut leisten kann.

Also brauchen wir mehr solche Diskussionen?

Ich glaube solche Diskussionen sind durchaus nützlich, um unterschiedliche Erfahrungen abzugleichen.


Teaser & Image by Tobias Schwarz/Netzpiloten (CC BY 4.0)


hat Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin studiert. Ihre Masterarbeit hat sie zum Thema „Risiken und Chancen der Digitalisierung für Gesellschaft und Kultur“ verfasst. Derzeit forscht sie weiter zu den Themen Privatsphäre und Öffentlichkeit in der Digitalen Welt. Auf ihrem Blog medienfische bloggt sie über Menschen, Ideen und Netzkulturdings. Privat schreibt sie mit einem Stift auf Blätter, bei Twitter ist sie unter @achwieschade zu finden. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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