Facebook und der Vorwurf der Zensur

Dass soziale Netzwerke im Zuge der arabischen Revolution als wertvolles Instrument der Demokratie gelobt wurden, ist bekannt und gerechtfertigt. Blogger und Aktivisten haben über Facebook und Twitter die Massen organisiert und so eine beispiellose Revolution losgetreten, die dem schlechten Image – gerade vom Zuckerberg-Imperium – lange Zeit einen Heiligenschein aus fremden Federn gesichert hatte. Neuerdings zeichnet sich aber ein anderes Bild ab: Über Facebook wurden einige Stimmen in den letzten Wochen immer lauter, die erklärten, dass bestimmte politische Inhalte zensiert werden. Facebook jedoch dementiert das: „Facebook hat kein Interesse daran, die Veröffentlichungen bestimmter Inhalte zu kontrollieren“, entgegnet Facebooks deutsche PR-Stimme Tina Kulow auf kritische Stimmen…

Facebook vs. Occupy?

Facebook ist und bleibt also in aller Munde und wird mal wieder kräftig unter Beschuss genommen. Neben der langatmigen und kaum noch nachvollziehbaren Diskussion, um das Privatsphäre- und Datenschutz-Dilemma und dem Für und Wider des Frictionless Sharing, kommt nun auch noch der Vorwurf der Zensur. Die Unterstellung, dass Grafiken, die einem Post zusätzliche Aufmerksamkeit sichern sollen, nicht ausgegeben werden, gilt hier noch als Bagatelle. Viel extremer ist es in den Augen einiger Nutzer, dass Facebook, das Teilen bestimmter Inhalte unterbindet und sogar ganze Pages löscht. Ein heftiger Vorwurf, der durchaus gerechtfertigt ist, jedoch einen Beweis schuldig bleibt, ob es sich dabei wirklich um Zensur handelt oder ob es vielmehr nur technischen Problemen oder gar den Ambitionen bestimmter Nutzer geschuldet ist – oder eben den Terms Of Use.

Das entgegnet nämlich Tina Kulow, die Pressesprecherin von Facebook Deutschland, den Kritikern. Ihrer Meinung nach liegen die Gründe für die augenscheinliche Zensur darin, dass anstößige Inhalte, die von anderen Nutzern gemeldet werden, von Facebook im Zweifel gelöscht werden dürfen. Entsprechend den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Jedoch, sagt sie auch, dass vorher immer der Einzelfall von einem Team geprüft werde. Ebenfalls gebe es einen automatischen Spam-Mechanismus, der den Administrator der Page benachrichtigt, sobald das System einen Post als Spam identifiziert hat. Die Löschung obliegt dann aber dem Admin selber.

Nun ist das alles schön und gut. Doch erklären tut das die im Raum stehenden Vorwürfe nicht gänzlich. Zumindest nicht die folgenden Beispiele, die alle einen Occupy-Hintergrund gemeinsam haben. Stefan Urbach vom Hackernetzwerk Telecomix zum Beispiel stellt fest, dass private Nachrichten von Occupy-Aktivisten oft nicht zugestellt werden. Auch der Betreiber einer Occupy-Eventseite, Carlo von Loesch, bemängelt, dass von ihm eingestellte Events, wie die große Occupy-Demo vor dem Bundestag, nach einigen Monaten kommentarlos gelöscht wurde, während alte Partys, die von Loesch besucht hat, noch drei Jahre später zu sehen sind. Was hat es auf sich mit diesen merkwürdigen Fehltritten?

Die Aussagen von Tina Kulow und die der Kritiker widersprechen sich jedenfalls. Administratoren werden scheinbar weder benachrichtigt, noch kann man von Spambenachrichtigungen durch Nutzer sprechen. Oder gibt es einen Weg, als Dritter in die persönlichen Nachrichten anderer reinzuschauen und dort einen Spam-Button zu betätigen? Mir ist solch eine Möglichkeit nicht bekannt.

Der Vorwurf ist nicht neu…

Dass Facebook sich gerne mal in politisches Terrain begibt und mit angeblich technischen Problemen, Kampagnen und Aktivisten blockiert, ist ein alter Hut. Schon im Oktober 2010 berichtete die TAZ darüber, dass Castor-Gegner dem sozialen Netzwerk ebenfalls Zensur vorwarfen. Laut einem Administrator der Facebook-Page „Castor Schottern“ hat Facebook damals die Passwörter der Administratoren für zwei Tage gesperrt und ferner auf der Page dafür gesorgt, dass einige Beiträge gelöscht wurden. Auch wieder ohne Benachrichtigung der Verantwortlichen und scheinbar völlig grundlos.

Auf Anfrage der TAZ zur damaligen Zeit, reagierte Facebook aber zunächst nicht. Vielmehr erschien der Eindruck, dass durch den daraus entstanden öffentlichen Blick auf die Causa, Facebook die „Fehler“ behob und sich im Nachhinein, genauso wie momentan, mit anscheinenden technischen Problemen aus der Affäre gestohlen habe.

Technische Probleme kann man natürlich nie ausschließen. Heute klappt alles wunderbar und morgen fliegt einem eine Codezeile um die Ohren oder ein Update zerschießt eine Funktion, die eigentlich gar nicht mehr im Visier der Programmierer lag. Tatsächlich aber kann man die Art und Weise der Aufklärung beanstanden. Denn, um welche technischen Probleme es sich bei „Castor-Schottern“ oder auch bei den aktuellen Occupy-Anlässen handle, wurde bisher nicht wirklich geklärt, was natürlich für jede Menge Spekulationen sorgt. Zu Recht fragt man sich, warum es keine offenen Protokolle gibt? Warum lässt die Transparenz hier auf sich warten? Vertrauen wird so jedenfalls abgebaut.

Facebook zensiert nicht, auch wenn es angebracht wäre…

Dass die mediale Berichterstattung um das Thema derzeit, bei vielen eher für große Fragezeichen sorgt, ist verständlich. Setzt sich Facebook momentan doch mit großer Leidenschaft gegen die Zensur ein. Zum einen geht der Internet-Riese massiv gegen den, in den USA eingebrachten Gesetzesentwurf SOPA (Stop Online Piracy Act) vor und zum anderen stellt er sich in Indien auch gegen die Folgen eines Gesetzes, das Webseitenbetreiber in die Pflicht nimmt, anstößige Inhalte vorab zu filtern und per se zu blockieren.

Schaut man sich die Schlagzeilen dieser Tage an, fragt man sich ebenfalls zu Recht, wo genau denn nun Facebooks Grundsatz liegt? Inhalte blockieren oder getreu der freien Meinungsäußerung Informationen offen transportieren? In den öffentlich zugänglichen Facebook-Grundsätzen wird jedenfalls von Offenheit und Transparenz geschwärmt, die das Portal, für die Community festlegt. In den AGBs schränkt man diese Grundsätze berechtigter Weise ein Stück weit ein und führt einige grobe Verstöße auf, die man sich als Nutzer verbieten sollte. So distanziert sich Facebook u.a. von pornografischen oder gewaltverherrlichenden Beiträgen sowie von Hassbotschaften.

Ein mögliches Fehlverhalten beim Erstellen von Inhalten, die einer politischen Ansicht entsprechen, findet sich hier allerdings nicht. Facebook macht deutlich, dass sich alles teilen lässt, solange es mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen und den AGBs im Einklang ist. So ist zum Beispiel eine Fanseite, der NPD auf dem sozialen Netzwerk, den Verantwortlichen kein Dorn im Auge. Auch wenn die hier geteilten Inhalte, wie z.B. ein Musikvideo der „patriotischen Rapperin“ Dee Ex (der man deutliche Avancen in extremistische Kreise nachsagt) demokratisch mehr als zweifelhaft gelten dürften. Die Stichworte „Volkshetze“ (gesetzlicher Verstoß) und „Hassbotschaften“ (AGBs) scheinen diesbezüglich für Facebook dehnbar zu sein. Tatsächlich wäre hier Zensur angebracht. Schon aus eigenem Rechtsempfinden heraus.

Verstehen Sie Spaß? Nicht wirklich…

Bei einer Aktion, die innerhalb der freien Meinungsäußerung schlichtweg möglich sein sollte, verstand Facebook im November 2010 allerdings keinen Spaß. Vielen wird noch die Satire-Seite Lamebook bekannt sein. Hier hatte sich Facebook ziemlich deutlich zur Zensur bekannt.

Lamebook ist ein Blog, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, lustige Statusmeldungen und Bilder, die innerhalb des sozialen Netzwerkes geteilt werden, herauszupicken und auf der eigenen Domain anonymisiert zu veröffentlichen. Ganz zum Spaß, der Besucher. Die Betreiber hatten unter anderem auch eine Page auf Facebook betrieben, die hohe Wellen schlug. Von der Resonanz, um die Parodie Facebooks getrieben, reichte das Unternehmen damals eine Klage wegen Markenrechtsverletzung ein und – in diesem Kontext viel wichtiger – löschte die Page von Lamebook. Außerdem wurde der Begriff „Lamebook“ innerhalb des Habitats gesperrt und konnte weder in Statusmeldungen, noch Nachrichten benutzt werden. Selbst das Verlinken zum Blog wurde unterbunden. Ferner hat sich Facebook sogar in die Kommentarfunktion von Usern eingemischt und sie vor der Verwendung des Begriffs gewarnt.

Diese Handlungen wurden nicht gerne gesehen. Einerseits sorgten sie für weitere Witzeleien gegen das Netzwerk („Klopf, klopf!“ … „Wer ist da?“ … „LAME…“ … „LAME Wer?“ ) und anderseits bekam Facebook es auch mit ganz schlechter PR zu tun. Das Eingreifen in die Kommunikation und die unangebrachte Löschung dieser Elemente nahmen sich die Medien gerne vor und zerrissen Facebook dafür förmlich in der Luft. Der Druck wurde dann sogar so groß, dass Facebook einknickte, jegliche Blockaden revidierte und sich schlussendlich öffentlich für die Aktion entschuldigte. Immerhin.

Facebook als Meinungsmedium…

Dass diese Zensuren, woran auch immer sie liegen mögen, zu einem Problem werden können, liegt auf der Hand. 800 Millionen User weltweit konzentrieren sich bei Ihrem täglichen Streifzug durch das Netz und der damit verbundenen Suche nach Informationen, wesentlich auf den Information-Flow der sozialen Netzwerke. Man kann sagen, sie verlassen sich auf die Nachrichten und Inhalte, die dort erscheinen. Wer liest denn schon noch regelmäßig Zeitungen? Unter der Generation, der „Digital Natives“ jedenfalls kaum einer. Die Pages der Qualitätsmedien und Meinungsmacher transportieren Nachrichten genauso gut. Doch neben diesen, auch die Pages der Blogs, Satire-Seiten, Diskussionsgruppen oder eben auch der Aktivisten.

Facebook ist somit ebenfalls schon lange zum Meinungsmedium geworden und bündelt übergeordnet die Macht der Content-Lieferer. Es ist essentiell wichtig, dass die kritischen und konstruktiven Meinungen weiterhin eine unvoreingenommene Plattform vorfinden. Ist dem nicht mehr so, wird das „Über-den-Tellerrand-blicken“ schwierig werden. Die Konsequenz daraus ist entweder eine schöngefärbte Realität oder ein Rückzug aus dem Portal. Beides sollte nicht im Interesse Facebooks liegen.

Der Vorwurf der Zensur wiegt schwer. Auch wenn er sich bisher noch nicht zugespitzt hat. Dass sich so etwas schnell ändern kann, beweisen Shitstorms und laute Blogger weltweit, sobald das Interesse einmal geweckt ist. Davon können nicht nur Politiker wie Wulfferine ein Liedchen singen, sondern auch gestandene Unternehmen, Staaten und Institutionen. Insofern sollte Facebook die Vorwürfe ernst nehmen und alles tun, um die Flammen nicht entfachen zu lassen. Einerseits durch die Distanzierung von Aktionen, wie die Lamebook-Causa und anderseits, durch die Offenlegung der Fehlerprotokolle. Authentizität und Transparenz sind die Motoren des Vertrauens. Leider haben beide Merkmale auf Facebook zu oft Kratzer abbekommen.

schreibt seit 2011 für die Netzpiloten und war von 2012 bis 2013 Projektleiter des Online-Magazins. Zur Zeit ist er Redakteur beim t3n-Magazin und war zuletzt als Silicon-Valley-Korrespondent in den USA tätig.


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