Warum die Evolution klüger ist als wir dachten

Die Evolutionstheorie nach Charles Darwin bietet eine Erklärung dafür, warum biologische Organismen scheinbar so gut konzipiert sind, um auf unserem Planeten leben zu können. Dieser Prozess wird typischerweise als  “unintelligent” beschrieben – also basierend auf zufälligen Variationen ohne Ausrichtung. Doch trotz ihres Erfolges stellen sich einige dieser Theorie entgegen, da sie nicht glauben, dass lebendige Dinge sich Schritt für Schritt entwickeln können. Sie behaupten, dass etwas so komplexes wie das Auge eines Tieres schlichtweg das Produkt eines intelligenten Schöpfers sein muss.

Ich denke nicht, dass das Berufen auf eine übersinnliche Schöpfergestalt eine wissenschaftlich brauchbare Erklärung darstellen kann. Aber was ist mit einer Intelligenz, die nicht übersinnlich ist? Neueste Ergebnisse, die auf Computer-Modellen basieren, verbinden den Evolutionsprozess mit den Prinzipien des Lernens und intelligenter Problemlösung – ohne ein Mitwirken jeglicher höherer Kräfte. Dieser Umstand deutet an, dass, obwohl die Evolution zunächst “blind” mit ihrem Werk begonnen hatte, nach ein paar Milliarden Jahren um einige Erfahrung reicher geworden ist.

Was ist Intelligenz?

Intelligenz kann Einiges sein, aber manchmal ist es nicht viel mehr, als ein Problem von dem richtigen Standpunkt aus zu betrachten. Eine intelligente Lösung zu finden, kann einfach nur bedeuten, wahrzunehmen, dass etwas, was als gleichbleibend vermutet wurde, durchaus variierbar ist – so wie die Ausrichtung des Blattes im unteren Bild. Es kann genauso darum gehen, ein Problem mit den richtigen Bausteinen anzugehen.

Mit entsprechend guten Bausteinen (hier beispielsweise mit ein paar Dreiecken) ist es leicht, eine Kombination von Schritten (hier visualisiert durch Knicke) zu finden, die in der Lage ist, das Problem durch eine schrittweise Verbesserung (hier: jeder Knick deckt etwas mehr vom Bild ab) zu lösen. Aber mit schlechten Bausteinen (hier demnach: Knicke, die zu langen, dünnen Rechtecken werden) ist eine vollständige Lösung unmöglich.

Beim Menschen entsteht die Fähigkeit, ein Problem mit den entsprechend passenden Bausteinen anzugehen, durch die Erfahrung – weil wir lernen. Bisher haben wir geglaubt, dass Evolution, die auf natürlicher Selektion basiert, nicht lernen kann – sie kommt unerwartet und hämmert, ohne Rücksicht auf Verluste, mit einer Art “Hammer” auf alles drauf. Dabei können minimale Veränderungen entstehen, wenn sie sich als Vorteil herausstellen.

Die Evolution der Evolvierbarkeit

In der Computerwissenschaft benutzen wir Algorithmen, etwa wie solche, die die neuronalen Netze im Gehirn formen, um zu verstehen, wie Lernen funktioniert. Lernen ist an sich kein Hexenwerk: Maschinen können mit schrittweisen Algorithmen dazu gesteuert werden zu lernen. Solche erlernten Algorithmen sind ein nachvollziehbarer Part innerhalb der künstlichen Intelligenz. Zum Lernen in einem neuronalen Netz gehört das Anpassen der Verbindungen zwischen den Neuronen (diese können stärker oder schwächer sein) in die Richtung, die die Belohnungen möglichst groß ausfallen lässt. Mit den einfachen Methoden wie dieser ist es möglich, neuronale Netzwerke dazu zu programmieren, Probleme nicht nur zu lösen, sondern Lösungen in Laufe der Zeit zu verbessern

Aber was ist mit der Evolution – kann sie sich auch im Laufe der Zeit weiterentwickeln? Diese Idee ist bekannt als die Evolution der Evolvierbarkeit . Die Evolvierbarkeit, hier beschrieben als die Fähigkeit, sich zu entwickeln, hängt von der passenden Variation ab, Selektion und Vererbung. Dies sind die Eckpfeiler, mit Hilfe derer auch Darwin seine Theorie aufbaute. Interessanterweise können all diese Komponenten, durch eine bereits geschehene Entwicklung, verändert werden. Das bedeutet, dass vergangene Evolutionsstufen die Handlungsweise der zukünftigen Evolution beeinflussen kann.

Zum Beispiel kann die zufällige genetische Variation die Länge der Gliedmaßen eines Tieres verändern. Aber sie kann genauso Einfluss auf die vorderen und die hinteren Gliedmaßen haben, ob sie sich unabhängig oder in Korrelation miteinander verändern. Eben diese Veränderungen können die zukünftigen Bausteine der Evolution umwandeln. Wenn frühere Evolutionsstufen die Bausteine gut geformt haben, kann die Lösung neuer Probleme leichter erscheinen – zumindest leicht genug, um mit schrittweiser Verbesserung gelöst zu werden. Wenn sich beispielsweise Gliedmaßen so entwickelt haben, dass sie sich unabhängig voneinander verändert haben, erfordert die Entwicklung, einer veränderten Körpergröße, eine vielfache Veränderungen (auf jede Gliedmaße betreffend). Zwischenstadien kann es sogar noch schlechter treffen. Aber wenn Veränderungen miteinander korrelieren, dann könnten individuelle Veränderungen von Vorteil sein.

Die Idee der Evolution der Evolvierbarkeit ist schon seit einiger Zeit im Umlauf, aber die detaillierte Anwendung der Lerntheorie stellt erst den Anfang dar, um diesem Bereich die notwendige theoretische Grundlage zu geben.

Unsere Arbeit zeigt, dass die Evolution der regulierenden Verbindungen zwischen Genen, die bestimmt, wie Gene sich auf unsere Zellen auswirken , die gleichen Lernfähigkeiten besitzen wie die neuronalen Netze. Anders ausgedrückt, die genetischen Netze entwickeln sich so, wie die neuronalen Netze lernen. Während Verbindungen sich in den neuronale Netzen insoweit verändern, dass sich die Belohnung maximiert, wird durch die natürliche Selektion in der genetischen Verbindung die Kondition verstärkt. Die Fähigkeit zu lernen ist an sich nicht etwas, das entwickelt werden muss – es ist ein unweigerliches Produkt einer zufälligen Variation und Selektion, wenn an den entsprechenden Verbindungen gearbeitet wird.

Das spannende an dieser Schlussfolgerung ist hierbei, dass Evolution sich ebenfalls zum besseren entwickeln kann , und zwar in der exakt gleichen Weise, wie das neuronale Netzwerk lernt, die Probleme besser zu lösen: durch die Erfahrung. Der intelligente Teil ist nicht explizit das “Denken im Voraus” (oder irgendetwas anderes Undarwinistisches) – es ist die Evolution der Verbindungen, die es erlaubt, neue Probleme zu lösen, ohne vorauszuschauen.

Wenn sich ein evolutionärer Prozess, der als besonders schwierig empfunden wurde (wie etwa das Design und die Herstellung eines Auges), doch durch eine zunehmende Verbesserung möglich wird, kann nicht angenommen werden, dass eine “stumpfe” Evolution hierfür ausreicht. Im Gegenteil, es sollte erkannt werden, dass die Evolution durch das Finden von Bausteinen, die das Problem einfacher aussehen lassen, einen intelligenten Schritt gemacht hat.

Interessanterweise hat Alfred Russel Wallace (er schlug eine Theorie natürlicher Selektion, beinahe zeitgleich zu Darwins Theorie, vor) später den Fachbegriff “intelligente Evolution” dazu genutzt, um für die göttliche Intervention in der Zeitschiene des Evolutionsprozesses zu argumentieren. Wenn die formelle Verbindung zwischen Lernen und Evolution weiter ausgebaut wird, könnte der gleiche Begriff demnächst vielleicht dafür genutzt werden, das genaue Gegenteil zu implizieren.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

The Conversation


Image (adapted) „IMG_0157.JPG“ by Darrell Rudmann (CC BY 2.0)


ist außerordentlicher Professor für Informatik an der Universität Southampton und Leiter der Forschungsgruppe „Agents, Interactions and Complexity“. Sein Spezialgebiet umfasst die Evolutionsbiologie, neurale Netzwerke und Populationsgenetik.


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