Warum Disneys Zoomania vielleicht der wichtigste Film des Jahres ist

Bei Disneys neuestem Film, dem hochgelobten Zoomania (oder Zootropolis, bzw. Zootopia, je nachdem wo Sie den Film sehen), handelt es sich um ein animiertes Filmkonzept mit einem interessanten Twist – alle Charaktere in dieser Stadt, von Tundra Town bis Rainforest, sind Tiere.

Der Film begleitet Judy Hopps, ein Kaninchen vom Land, das davon träumt, die erste Kaninchen-Polizistin der Zoomania-Polizei zu werden. Sie trifft den durchtriebenen, aber auch liebenswerten Fuchs Nick Wilde, entdeckt eine Verschwörung, die alle „Raubtier“-Bürger in Wilde verwandeln möchte und droht sich schließlich selbst im Verwirrspiel und die Hysterie zu verfangen, als sie versucht, den Bösewicht aufzuspüren.

Es ist eine Kombination aus Kumpel-Film, romantischer Komödie, Mystery und Action-Streifen – eine pelzige Version von Lethal Weapon.

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Doch das ist nur die oberflächliche Ebene der Geschichte. Während man über die lebensechte Computeranimation staunt und über die Faultiere lacht, die die Kraftfahrzeugbehörde mit ihrer einzigartigen und zur Weißglut treibenden Geschwindigkeit leiten, wird man in einen wichtigen politischen Film hineingezogen. Denn Zoomania ist auch eine essentielle Reaktion auf die Politik der Angst in den Vereinigten Staaten – nicht nur auf das neueste Trumpopolis der Aggression und des Hasses, sondern auch die Jahrzehnte des Argwohns und der gelegentlichen Panik, die dem vorausgegangen sind, Stimmungen, die das Fundament für die Wahlkampfkampagne von 2016 gelegt haben.

Raubtiere und Beute

Zootropolis ist eine Mega-Stadt, in der die Bürger den tierischen amerikanischen Traum leben. Alle Arten, von der kleinsten bis zur größten, Pflanzenfresser und Fleischfresser, zahm und ehemals wild, leben in Harmonie zusammen. Es ist kein zuckrig süßer Schmelztiegel – Nick Wilde, der Fuchs, ist nach wie vor ein Hochstapler und die Kaninchen-Polizeibeamtin Judy Hopps muss Diskriminierung durchstehen – aber dennoch ist Zoomania ein Beweis für Amerikas Vormachtstellung eines “natürlichen” Zustands des Konflikts und der Aggression.

Der Zustand ist jedoch nicht annähernd beständig. Es braucht nur einen bösartigen Auslöser, um die zerbrechliche Waffenruhe zwischen den “Beutetieren”, die 90 Prozent der Bevölkerung von Zootropolis ausmachen, und den “Raubtieren” zu zerstören.

Und wie aufs Stichwort nutzt ein machthungriger Politiker die Serie von Vermisstenfällen, um ein Klima der Spaltung und Angst zu erzeugen. Arbeiter tauschen beunruhigte Blicke untereinander aus. Eine Mutter zieht ihr Kind näher zu sich heran, wenn sich ein Löwe in der U-Bahn neben sie setzt. Fensehsender verbreiten die neuesten Nachrichten von Angriffen der Raubtiere auf Beutetiere und der Beutetiere auf Raubtiere. Bald fordert man, alle Raubtiere zusammenzutreiben.

Dies ist keine direkte Reaktion auf die Politik von Donald Trump, da sich Zoomania bereits lange bevor der Geschäftsmann seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gab, in der Produktion befand. Der Film ist in der Tat noch viel nachhaltiger, da seine Botschaft nicht bloß an Donald und seine Unterstützer gerichtet ist – er ist eine Kampfansage an die gesamten amerikanische Öffentlichkeit.

An einem der Wendepunkte des Films spricht Polizeibeamtin Judy Hopps – inzwischen eine Heldin – bei einer Pressekonferenz an, dass Raubtiere möglicherweise “biologisch” handeln, da sie auf urzeitliche Instinkte zurückfallen. Panische Reporter fragen, ob dies nun bedeute, dass überall in Zoomania die Barbarei ausbrechen werde – und so geht auch Judys Freundschaft zu Nick Wilde in die Brüche, während sie tiefer in die Politik des “wir gegen sie” hineingerät.

Der Film erinnert daran, dass nicht nur ein Politiker der Liga Trump oder ein bösartiges Genie einen Konflikt anzettelt kann, welcher Nachbarn und Partner spaltet. Es muss nicht einmal jemand mit bösen Absichten sein – auch unschuldige und wohlgesinnte Bürger, Bürger wie Judy Hopps können ernsthaften Schaden anrichten, indem sie leichtsinnig “primitive” Aussagen weitertragen.

Natürlich hört der Film an dieser Stelle nicht auf und lässt traumatisierte Kinder und besorgte Eltern zurück. Die Krise in Zoomania geht vorüber, die Pelzträger und scharfzahnigen Mitbürger finden wieder Frieden, die Bösewichte bekommen ihre gerechte Strafe. Aber die Stadt kann den Moment nicht ausmerzen, die Beschlüsse können den Argwohn und die Angst nicht zunichtemachen. Niemand ist immun gegen die aufgepeitschte Bedrohung gegen die Gemeinschaft.

Das amerikanische Paradoxon

Das Timing der Veröffentlichung des Films Zoomania beleuchtet das amerikanische Paradoxon. Die Vereinigten Staaten sind nicht nur ein Land des sozialen Fortschritts oder eines der sozialen Feindseligkeit – sie sind beides.

Letztes Jahr kam der Supreme Court zu der epochemachenden Entscheidung, gleichgeschlechtliche Ehen zu erlauben. Ein Afroamerikaner ist Präsident und viele andere haben hohe Ämter inne, ebenso wie viele Lateinamerikaner, Amerikaner mit asiatischem Hintergrund und anderen ethnischen Wurzeln. Eine Frau leitet das höchste Amt im Land. Die Kultur der USA feiert die Vielfalt der Lebensstile und Wurzeln als ein gemeinsames amerikanisches Erlebnis.

Aber gleichzeitig ist das Land auch zerrissen vom Diskurs des Hasses. Denn obwohl einige amerikanisch-muslimische Gemeinden von der Regierung freudig als ein Beispiel der Harmonie begrüßt werden, finden Politiker wie Trump noch immer einen Weg, um die gesamte Gruppe der Muslime anzuschwärzen.

Öffentlicher Rassismus ist verpönt und dennoch erschießen Polizisten unbewaffnete farbige Männer. Die Ungleichheit des Einkommens hält Angst und Spaltung aufrecht. Lateinamerikaner verfangen sich in dem Wirbel um die das Land überflutenden “Immigranten”, da es keine Mauer um Mexiko gibt. Frauen werden als hysterische Geiseln ihrer Biologie dargestellt oder im Kampf zwischen Politikern zu sexualisierten Stützen.

Das ist bei weitem kein neues Paradoxon. Der Fortschritt der USA im 20. Jahrhundert wurde begleitet von der Roten Angst. Jeder gewöhnlicher Amerikaner war ein potenzieller Kommunist und die perfekte Entschuldigung dafür, Bürgerrechte vorzuenthalten und Progressive auf die schwarze Liste zu setzen. Das Ende des Kalten Krieges brachte keinen Frieden, der “Sieg” löste sich bald in erneuten Rassenspannungen, angefangen bei den Unruhen in Los Angeles von 1992 bis hin zum OJ Simpson-Prozess.

Doch im Jahr 2016 ist gerade der Fortschritt in einigen Bereichen der Grund für die starke Rückentwicklung in der Politik. Gespeist durch den Krieg gegen den Terror und von Medienverlagen, die eher Meinungen polarisieren, anstatt Diskussionen anzuregen, verbreitet sich die Sprache der Angst und des Hasses. Donald Trump ist beides: ein Sympton und Mitwirkender dieses giftigen Diskurses.

Zoomania legt dieses amerikanische Paradoxon offen. Die Frage ist, während der Film viel Lob einheimst, ob er auch zu einem Ausweg beiträgt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image: Screenshot Trailer Zoomania (adapted) by Disney Deutschland, via Youtube


The Conversation

ist bereits seit 1989 an der Universität von Birmingham tätig und lehrt seit 2014 dort als Professor für Internationale Politik. Sein Interesse gilt neben der US-amerikanischen und britischen Außenpolitik vor allem auch internationalen Angelegenheiten, neuen Medien und dem Geheimdienst. Als langjähriger Journalist ist Lucas Gründer und Herausgeber der Nachrichtenwebsite EA WorldView.


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