Digitale Transformation – Disruption oder Weiterentwicklung?

Der Begriff Disruption ist zurzeit in aller Munde und rückte auch auf dem NewTV Kongress 2016 wieder in den Fokus. Nicht alle sind sich einig, dass sie wirklich existiert und gerade Unternehmer betonen im Zusammenhang mit neuen Technologien gern ihren Charakter der Weiterentwicklung – im Gegensatz zur simplen Substitution alter Produkte und Dienstleistungen. So sehen einige im momentanen Wandel der Bewegtbild-Branche eine weitere Disruption und andere schlicht eine Weiterentwicklung.

Disruption beschreibt das Phänomen, dass neue Technologien oder Produkte alte ersetzen und diese damit überflüssig machen. Im Bereich Musik kann man zum Beispiel Musikstreaming-Plattformen wie Spotify als Ergebnis einer Disruptionsentwicklung bezeichnen. Nachdem der Kauf von Platten und CDs durch die Möglichkeit des MP3-Downloads ersetzt wurde, bieten Spotify und Co. heute den einfachsten und preiswertesten Zugriff auf Songs. Disruptionen dieser Art passieren zunächst oft unbemerkt und zeigen ihr volles Ausmaß erst im Nachhinein.

Bewegtbildtrends

Ob sich diese Entwicklung auf das Bewegtbild übertragen lässt, wurde beispielsweise diese Woche auf dem NewTV Kongress 2016 diskutiert, der dieses Jahr in der Handelskammer Hamburg stattfand. Einer der Gäste war Jette Nygaard-Andersen, CEO der Modern Times Group (MTG) und Keynote-Sprecherin der Veranstaltung. Die MTG ist ein skandinavischer Medienkonzern und Anbieter für Fernsehen und Rundfunk. Neben Free und Pay-TV-Sendern betreibt das Unternehmen das schwedische Online-Portal Viaplay.

 

Für Nygaard-Andersen, die sich selbst nur ungern als Expertin in ihrer Branche bezeichnet, ist das Thema ein eindeutiges. Sie sieht die derzeitige Entwicklung des TV bereits als zweite Disruption in der Geschichte des Fernsehens. Schon die Einführung von Privatsendern lasse sich als Disruption bezeichnen – die des öffentlich rechtlichen Fernsehens. Hinter der Idee der Entwickler von damals verberge sich die gleiche wie heute: etwas Altes durch etwas Neues und Besseres zu ersetzen.

Digitalisierung des Fernsehens

Die neue Art der Disruption im Bereich Bewegtbild erscheint heute in der Tendenz zu Online-Angeboten und -Portalen. Die Besonderheit liegt hier offensichtlich in der Ungebundenheit an einzelne Geräte. Damit wächst vor Allem das Angebot für mobile Geräte. Wie es so oft der Fall ist, wandeln sich die Anforderungen der Nutzer und die Industrie reagiert darauf. Wie es Nygaard-Andersen in ihrer Präsentation deutlich betont hat, ist es immer entscheidender die aktuellen Trends der jungen Generationen zu verfolgen. “Follow the eyeballs” nennen sie und viele andere dieses Prinzip. Eine wichtige Zielgruppe bei der Planung neuer Entwicklungen sind die Millenials – auch Generation Y genannt. Sie werden gern pauschal als Digital Natives bezeichnet und deshalb als wichtige Zielgruppe in der Medienbranche angesehen. In den Vereinigten Staaten liegt ihr Anteil in der Bevölkerung beispielsweise bei 30%. Ähnlich sehen die Zahlen in Deutschland aus und die Tendenz steigt. Ihr Verbraucherverhalten zeichnet sich im Bewegtbild vor allem dadurch aus, dass sie Fernseh- und Videoportale viel mehr über mobile Geräte nutzen und einen Fernseher oft gar nicht mehr besitzen. Die klassische Art des Fernsehens hat bekanntermaßen stark an Bedeutung verloren. An Bedeutung zugenommen haben dagegen Streamingportale, wie YouTube, Vevo oder Zattoo und Netflix. Der Konsum von Bewegtbildern spielt sich zunehmend im Netz ab, woran sich die Industrie in Zukunft immer stärker orientieren wird. Was das für Ausmaße annehmen kann, zeigen aktuelle Trends. Einer dieser Trends zeichnet sich in der starken Nutzung von YouTube ab. Waren die beliebtesten Stars der jüngeren Generationen früher noch aus Hollywood, findet man jetzt fast zwei Drittel von ihnen bei YouTube. Berühmte YouTuber gibt es inzwischen etliche. Gerade für Jugendliche, die bereits der “Generation Z” angehören, werden viele von ihnen zum Idol. Startups wie ReachHero, dessen Mitgründer übrigens selbst erfolgreicher YouTuber ist, nutzen diese Entwicklung und integrieren die neuen Stars in die Werbewelt. Ein weiterer Trend, der aus der zunehmenden Nutzung mobiler Geräte resultiert, ist das Streamen vertikaler Videos. Sie sind vor allem für Smartphone-Nutzer attraktiv und gleichzeitig ein Resultat aus der zunehmenden Nutzung mobiler Geräte. Sie bilden ein neues Format, an dem sich immer mehr Anbieter, wie beispielsweise Snapchat Discover oder Mashable, orientieren. Dass das Bewegtbild aber nicht nur auf Online-Plattformen gebracht werden muss, sondern anders herum auch die Netzwelt selbst in großen Fernseh-Events verpackt werden kann, zeigt das Beispiel der Intel Extreme Masters-Meisterschaften. Es ist eines der größten eSports-Events der digitalen Generation. Live-Übertragungen im Sport sind generell zu einem Angebot geworden, das viele auch von Unterwegs nutzen. Wie zum Beispiel auch Jette Nygaard-Andersen, die sich im Interview mit nextMedia.Hamburg als Chelsea-Fan outete. Viel reisende Menschen müssen dank mobiler Geräte nicht mehr auf ihre Lieblingsevents verzichten.

Der Faktor Social Media

Neben der Rolle der Millenials und mobiler Medien, betont die Geschäftsführerin der MTG die Bedeutung sozialer Netzwerke. “Social media has become a factor shaping the industry”, so Nygaard-Andersen bei ihrer Präsentation auf dem NewTV Kongress. Sie sind ein wichtiges Tool, um eine große Gruppe an Usern zu erreichen und zeigen zudem die aktuellen Trends der Zielgruppen auf. Soziale Plattformen bieten daher eine gute Orientierung für die Industrie, was im Grunde nichts Neues ist. Was hierbei jedoch essentiell ist und auch von Nygaard-Andersen nochmal betont wird, ist die zunehmende Interaktion. E-Communication kennzeichnet die digitalen Medien und beeinflusst so auch den Bereich Video und Film.  

Disruption Online-Streaming

Mit dem Bereich der Stremingportale für Filme, Serien und Fernsehen verbindet man meistens große internationale Anbieter wie Netflix. Deshalb tauchte auch auf dem NewTV Kongress die Frage auf, ob nationale Portale (in Deutschland beispielsweise Zattoo) nicht an Relevanz verlieren. Nygaard-Andersen sieht diese Sorge eher als überflüssig. “Ich glaube, Deutschland hat eine große Kundennachfrage nach lokalen Inhalten. Diese Nachfrage ist ein wenig stärker ausgeprägt als auf unserem skandinavischen Markt, aber ähnlich wie in Zentral- und Osteuropa.”, sagt sie im Interview. Daher sei es ratsam, Produkte anzubieten, die sowohl lokal als auch global die Menschen erreicht. Guckt man sich die aktuellen Angebote an, wäre demnach in nächster Zeit kein großer Wandel zu erwarten.

Eines bleibt bei der ganzen Entwicklung eindeutig. Neue Arten der Anforderungen verlangen auch neue Finanzierungsmöglichkeiten, um vorhandene “Monetarisierungslücken” zu schließen. Es ist an den Unternehmen der Bewegtbild-Industrie, diese zu finden. Wie alle anderen Medienbereiche, muss sich somit auch das Fernsehen an die Digitalisierung und die damit einhergehende Entwicklungen der Gesellschaft anpassen. Wie man in den Online-Medien so schön sagt, geht der Trend von “Mad Men” zu “Math Men”. Der traditionelle “Broadcaster” erlebt seine Transformation zum digitalen “Entertainer”. Oder um es schlicht mit den Worten Nygaard-Andersens auf den Punkt zu bringen: “The only constant is change”.


Image (adapted) “old tv stuff” by Gustavo Devito (CC BY 2.0)


kommt aus Hamburg und studiert derzeit in Bremen Germanistik und Frankoromanistik. Seit Februar 2016 arbeitet sie als Praktikantin bei den Netzpiloten.


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