Deutschlands digitale Bräsigkeit

Digitale Wirtschaft braucht digitales Management. Mit dem „Kosten-senken-und-Zeit-sparen-Mantra” der deutschen Führungskräfte kann man keinen Blumentopf mehr gewinnen. // von Gunnar Sohn

Deutschlands Management braucht Innovation (Bild: edar [CCo Public Domain], via pixabay)

 

Warum ist die Digitalisierung immer noch eine Achillesferse von deutschen Unternehmen? Diese Frage untersucht eine Zukunftsstudie des Münchner Kreis, die in dieser Woche in den Räumen des Bayerischen Landtags vorgestellt wurde.

61 Prozent der Befragten sehen den Fachkräftemangel als strukturelle Herausforderung. Um dem zu begegnen, müsse das Bildungssystem so schnell wie möglich an die Gegebenheiten der digitalen Welt angepasst werden, die Lehrerausbildung besser ausgestaltet und die digitale Kompetenz jedes einzelnen Bürgers erhöht werden.

Auch die Politik – was für ein Wunder – sei der Digitalisierung in ihrer heutigen Organisationsform nicht gewachsen. 86 Prozent der Experten sehen hier Restrukturierungsbedarf und denken dabei insbesondere an die Schaffung eines fachübergreifenden Bundesministeriums für Digitalisierung und Medien.

Ausgediente Handlungsmuster in deutschen Unternehmen

Die Umsetzung von Innovationsstrategien durch deutsche Unternehmen wird von mehr als der Hälfte der teilnehmenden Experten als zu selten, zu langsam und mit zu geringem wirtschaftlichem Erfolg beurteilt. „Think BIG“ müsse zur Tugend in deutschen Unternehmen werden. Drei Fünftel der Experten geben zu Protokoll, dass die deutsche Wirtschaft zu sehr in bisher oft erfolgreichen, jedoch ausgedienten Handlungsmustern verharrt. Dadurch wird die Verwirklichung von innovativen Produktstrategien und Geschäftsmodellen vielfach verhindert. Erfolgreich könne Deutschland in Zukunft nur sein, wenn die Unternehmen mehr Mut zur „Selbst-Kannibalisierung“ beweisen, branchenübergreifend kooperieren und den Mittelstand einbeziehen.

Die Experten bestätigen, dass das bisherige Fördersystem von Forschung und Entwicklung sowie die Umsetzung und internationale Vermarktung den digitalen Märkten nicht genügen. Um digitale Produkte erfolgreich einzuführen, müsse eine schnelle Erprobung ebenso erfolgen wie eine frühe Verbreitung. Alle Akteure – Politik, Wissenschaft, Medien, Wirtschaft und Verbände – sollten sich mit den Prinzipien und den Chancen der digitalen Welt nachhaltig auseinandersetzen. Soweit die Kurzform der Ergebnisse einer TNSInfratest-Online-Befragung von 517 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.

Systemimmanente Dummheiten im Management

Ich sehe die Hauptursache für die digitale Bräsigkeit von Verwaltung und Wirtschaft in überkommenen Management-Konzepten, die noch aus der Zeit der Industrialisierung stammen und die heute nur einen modernen Anstrich erhalten:

In einer Wirtschaft, die sich schneller dreht als je zuvor und von technologischen Transformationswellen überrollt wird, macht nach Ansicht von Harvard Business Manager-Chefredakteur Christoph Seeger am Ende der Mensch den Unterschied. Die Zeiten der alleinherrschenden Industriekapitäne, die mit Pathos und Post herrschen, sollte eigentlich vorbei sein. Die Technologie ist nicht das Problem, es ist die systemimmanente Dummheit des Managements, die uns drosselt, so Buchautor Gunter Dueck im HBM-Interview (Januar Special zum Thema „Leadership – Wie geht Führung im Zeitalter digitaler Transformation?“).

In den Führungsmethoden setzt man auf Konditionierung und nicht auf Partizipation, Transparenz oder gar liquide Demokratie. „Viele Top-Manager betrachten ihr Unternehmen immer noch als einen in sich geschlossenen Kosmos“, sagt der Management-Experte Ralf Graessler in der neuen Hangout-Reihe „Kompetenzgespräche“.

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Die Wirtschaftswelt tut immer noch so, als seien Menschen und Märkte vollkommen rational und steuerbar sowie die Welt um uns herum vollkommen logisch, bestätigt Dueck: „Die Ur-Annahmen über den Menschen als Stimulus-Response-Blackbox sind noch immer die Grundlage heutiger Management- und Incentive-Systeme.” Statt auf die Potenziale ihrer Mitarbeiter zu setzen, verstecken sich die Excel-Führungskräfte hinter Berichtsorgien und Kennzahlen-Management.

„Der dauernde Druck und die ständigen Vorgaben zwingen die Leute dazu, sich den halben Tag Gedanken darüber zu machen, wie sie es schaffen, am ‘Ende des Tages’ – Lieblingsformulierung der Manager – gut dazustehen. Mit Strategieentwicklung, dem Fördern von Innovation und Kreativität oder Personalführung – den eigentlichen Kernaufgaben einer Führungskraft – hat das herzlich wenig gemein”, erläutert Dueck.

Eine Organisation im Optimierungswahn über bürokratische Prozesse fördert die kollektive Dummheit in Unternehmen. Exzellenz, Aufbruchstimmung und visionäres Denken lässt sich nicht verwalten „oder in Listen und Tabellen organisieren – und schon gar nicht aus Vergangenheitsdaten extrahieren”, moniert Dueck. Bestleistungen erzeugt man nicht mit Kontrollen, sondern mit Freude und Leidenschaft.

Die Samwer-Brüder und das Karrieristen-Syndrom

Mit dem „Kosten-senken-und-Zeit-sparen-Mantra” der deutschen Führungskräfte kann man keinen Blumentopf mehr gewinnen. Statt ewig über Disruptionen zu jammern oder an der eigenen Ignoranz zu sterben, sollten wir nach Ansicht von Dueck die neuen technologischen Möglichkeiten nutzen, um Neues zu schaffen. Das müssten die Manager allerdings jeden Tag vorleben, anders könne man keine Kultur ändern. Die Excel-Tabelle von heute bildet das Geschehen von gestern ab.

Auf der Strecke bleibt die Gegenwart. In einer Excel-Ökonomie aus Ängsten, Planungsillusionen und sinnlosen Kontrollschleifen gedeiht weder Vertrauen noch wirtschaftliche Prosperität. Einen Anfang könnte man machen, wenn die Personalentwicklung in Unternehmen nicht mehr als Kostenfaktor, sondern als Investition verbucht wird, fordert Heiko Fischer in der Sendung „Kompetenzgespräche“. Es reiche nicht aus, Organisationen nur auf Profit auszurichten: „Mir widerfuhr die traurige Ehre, dass ich nur drei Tage Personalchef von Groupon war und mit den Samwer-Brüdern zusammen gearbeitet habe, bis ich mich mit einem dieser Typen so anlegte, dass ich in der Mittagspause gegangen bin“, erläutert Fischer.

Den Führungsstil solcher Karrieristen müsste man aufbrechen. Nach Ansicht von Graessler sollte man die Orga-Pyramide auf den Kopf stellen und Unternehmen radikal auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter und Kunden ausrichten.

„Organisationen arbeiten in herkömmlichen Strukturen, in herkömmlicher Geschwindigkeit und sind herkömmlich (also kaum) vernetzt“, stellt der Berater Willms Buhse fest. Wenn ein Unternehmen nur in einem Bereich exzellent sei, wird das 2015 deutlicher als je zuvor sichtbar werden.

Kommunikation und Zusammenarbeit müssten sich gleichermaßen agil weiter entwickeln: Vernetzungsanalysen, Digital Needs, Einführung und Umsetzung digitaler Führung und Kultur, Implementierung neuer Kollaborationsplattformen. Auf die liebwertesten Gichtlinge des Managements warten in diesem Jahr einige Hausaufgaben.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European.


Teaser & Image by edar (CC0 Public Domain)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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